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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Das neue vcrsichcnmgsrecht

zutreten und VersicherungsMe, die sich später ereignen, abzulehnen. Diese
Mahnpflicht ist für die Gesellschaften bei der ungeheuren Anzahl kleiner Prämien¬
zahlungen unbequem und kostspielig; für die Volksversicherung und die sonstigen
Arten der Lebensversicherung mit kleinern Beträgen kann die Aufsichtsbehörde
Abweichungen von der gesetzlichen Regelung bewilligen. Dies ist auch tatsächlich
geschehen, worauf unten zurückzukommen ist.


II.

Von den einzelnen Versicherungszweigen steht die Feuerversicherung wegen
ihrer großen Verbreitung weitaus im Vordergrunde. Die privaten Feuer-
versicherungsgesellschaften haben sich schon seit 1886 übereinstimmender Bedingungen
bedient, die im Jahre 1904 ergänzt und in einigen Punkten gemildert worden
sind. Die neuen Bedingungen lehnen sich an die frühere Fassung an, zeigen
aber auch, abgesehen von der notwendigen Anpassung an das Versicherungs-
vertragsgesetz, ganz wesentliche Verbesserungen für die Versicherungsnehmer.
Merkwürdigerweise ist es bisher immer noch uicht gelungen, eine vollständig
treffende und allgemein befriedigende Formel für die Grundlage des Ganzen
zu finden, nämlich für den Begriff des Brandereignisses, dessen Folgen der
Versicherungsgesellschaft zur Last fallen sollen. Eine gewisse Grenze ist hier
offenbar: wenn die Hausfrau oder die Köchin beim Braten ein Beefsteak
unglücklicherweise ins Feuer fallen läßt, so wird es dem natürlichen Rechts¬
empfinden und dem gesunden Menschenverstand ohne weiteres einleuchtend
erscheinen, daß für einen solchen Schaden die Feuerversicherung nicht einzutreten
hat. Den hier obwaltenden Unterschied hat am treffendsten der große Dichter
empfunden:at

Die reiten Bedingungen haben die Vorschrift aufgestellt, daß der Verhinderer
solche Schäden nicht zu ersetzen habe, welche die versicherten Sachen durch ein
Feuer erleiden, dem sie ihrer Bestimmung gemäß ausgesetzt werden. Besonders
glücklich und treffend ist auch diese Vorschrift uicht. Die Schäden, um die es
sich hier handelt, die sogenannten Bagatellschäden, spielen im Geschäftsbetriebe
der Versicherungsgesellschaften eine erhebliche Rolle; es sollen nicht weniger als
46 Prozent der Schadenanmeldungen auf Schäden bis zu 20 Mark entfallen.
Es sind dies im wesentlichen die geringfügigen Beschädigungen an einzelnen
Sachen, Kleidungsstücken, Teppichen. Möbeln usw., die durch Unachtsamkeit oder
Zufall, durch brennende Zigarren oder springende Funken hervorgerufen und
von den Gesellschaften, eben wegen ihrer Geringfügigkeit, bisher meist ohne
nähere Prüfung bezahlt worden sind. Die Gesellschaften klagen hier über Über¬
vorteilung; die Entschädigungspflicht an sich kann nicht bezweifelt werden, da
die obenerwähnte Vorschrift hier nicht paßt und die Ursache des Feuers oder
die Art seiner Einwirkung gleichgültig ist; ob etwas direkt verbrennt oder durch


Grenzboten III 1910 42
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zutreten und VersicherungsMe, die sich später ereignen, abzulehnen. Diese
Mahnpflicht ist für die Gesellschaften bei der ungeheuren Anzahl kleiner Prämien¬
zahlungen unbequem und kostspielig; für die Volksversicherung und die sonstigen
Arten der Lebensversicherung mit kleinern Beträgen kann die Aufsichtsbehörde
Abweichungen von der gesetzlichen Regelung bewilligen. Dies ist auch tatsächlich
geschehen, worauf unten zurückzukommen ist.


II.

Von den einzelnen Versicherungszweigen steht die Feuerversicherung wegen
ihrer großen Verbreitung weitaus im Vordergrunde. Die privaten Feuer-
versicherungsgesellschaften haben sich schon seit 1886 übereinstimmender Bedingungen
bedient, die im Jahre 1904 ergänzt und in einigen Punkten gemildert worden
sind. Die neuen Bedingungen lehnen sich an die frühere Fassung an, zeigen
aber auch, abgesehen von der notwendigen Anpassung an das Versicherungs-
vertragsgesetz, ganz wesentliche Verbesserungen für die Versicherungsnehmer.
Merkwürdigerweise ist es bisher immer noch uicht gelungen, eine vollständig
treffende und allgemein befriedigende Formel für die Grundlage des Ganzen
zu finden, nämlich für den Begriff des Brandereignisses, dessen Folgen der
Versicherungsgesellschaft zur Last fallen sollen. Eine gewisse Grenze ist hier
offenbar: wenn die Hausfrau oder die Köchin beim Braten ein Beefsteak
unglücklicherweise ins Feuer fallen läßt, so wird es dem natürlichen Rechts¬
empfinden und dem gesunden Menschenverstand ohne weiteres einleuchtend
erscheinen, daß für einen solchen Schaden die Feuerversicherung nicht einzutreten
hat. Den hier obwaltenden Unterschied hat am treffendsten der große Dichter
empfunden:at

Die reiten Bedingungen haben die Vorschrift aufgestellt, daß der Verhinderer
solche Schäden nicht zu ersetzen habe, welche die versicherten Sachen durch ein
Feuer erleiden, dem sie ihrer Bestimmung gemäß ausgesetzt werden. Besonders
glücklich und treffend ist auch diese Vorschrift uicht. Die Schäden, um die es
sich hier handelt, die sogenannten Bagatellschäden, spielen im Geschäftsbetriebe
der Versicherungsgesellschaften eine erhebliche Rolle; es sollen nicht weniger als
46 Prozent der Schadenanmeldungen auf Schäden bis zu 20 Mark entfallen.
Es sind dies im wesentlichen die geringfügigen Beschädigungen an einzelnen
Sachen, Kleidungsstücken, Teppichen. Möbeln usw., die durch Unachtsamkeit oder
Zufall, durch brennende Zigarren oder springende Funken hervorgerufen und
von den Gesellschaften, eben wegen ihrer Geringfügigkeit, bisher meist ohne
nähere Prüfung bezahlt worden sind. Die Gesellschaften klagen hier über Über¬
vorteilung; die Entschädigungspflicht an sich kann nicht bezweifelt werden, da
die obenerwähnte Vorschrift hier nicht paßt und die Ursache des Feuers oder
die Art seiner Einwirkung gleichgültig ist; ob etwas direkt verbrennt oder durch


Grenzboten III 1910 42
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[0341] Das neue vcrsichcnmgsrecht zutreten und VersicherungsMe, die sich später ereignen, abzulehnen. Diese Mahnpflicht ist für die Gesellschaften bei der ungeheuren Anzahl kleiner Prämien¬ zahlungen unbequem und kostspielig; für die Volksversicherung und die sonstigen Arten der Lebensversicherung mit kleinern Beträgen kann die Aufsichtsbehörde Abweichungen von der gesetzlichen Regelung bewilligen. Dies ist auch tatsächlich geschehen, worauf unten zurückzukommen ist. II. Von den einzelnen Versicherungszweigen steht die Feuerversicherung wegen ihrer großen Verbreitung weitaus im Vordergrunde. Die privaten Feuer- versicherungsgesellschaften haben sich schon seit 1886 übereinstimmender Bedingungen bedient, die im Jahre 1904 ergänzt und in einigen Punkten gemildert worden sind. Die neuen Bedingungen lehnen sich an die frühere Fassung an, zeigen aber auch, abgesehen von der notwendigen Anpassung an das Versicherungs- vertragsgesetz, ganz wesentliche Verbesserungen für die Versicherungsnehmer. Merkwürdigerweise ist es bisher immer noch uicht gelungen, eine vollständig treffende und allgemein befriedigende Formel für die Grundlage des Ganzen zu finden, nämlich für den Begriff des Brandereignisses, dessen Folgen der Versicherungsgesellschaft zur Last fallen sollen. Eine gewisse Grenze ist hier offenbar: wenn die Hausfrau oder die Köchin beim Braten ein Beefsteak unglücklicherweise ins Feuer fallen läßt, so wird es dem natürlichen Rechts¬ empfinden und dem gesunden Menschenverstand ohne weiteres einleuchtend erscheinen, daß für einen solchen Schaden die Feuerversicherung nicht einzutreten hat. Den hier obwaltenden Unterschied hat am treffendsten der große Dichter empfunden:at Die reiten Bedingungen haben die Vorschrift aufgestellt, daß der Verhinderer solche Schäden nicht zu ersetzen habe, welche die versicherten Sachen durch ein Feuer erleiden, dem sie ihrer Bestimmung gemäß ausgesetzt werden. Besonders glücklich und treffend ist auch diese Vorschrift uicht. Die Schäden, um die es sich hier handelt, die sogenannten Bagatellschäden, spielen im Geschäftsbetriebe der Versicherungsgesellschaften eine erhebliche Rolle; es sollen nicht weniger als 46 Prozent der Schadenanmeldungen auf Schäden bis zu 20 Mark entfallen. Es sind dies im wesentlichen die geringfügigen Beschädigungen an einzelnen Sachen, Kleidungsstücken, Teppichen. Möbeln usw., die durch Unachtsamkeit oder Zufall, durch brennende Zigarren oder springende Funken hervorgerufen und von den Gesellschaften, eben wegen ihrer Geringfügigkeit, bisher meist ohne nähere Prüfung bezahlt worden sind. Die Gesellschaften klagen hier über Über¬ vorteilung; die Entschädigungspflicht an sich kann nicht bezweifelt werden, da die obenerwähnte Vorschrift hier nicht paßt und die Ursache des Feuers oder die Art seiner Einwirkung gleichgültig ist; ob etwas direkt verbrennt oder durch Grenzboten III 1910 42

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/341>, abgerufen am 29.06.2024.