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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Dom Erbrecht der Amber
Justizrat Bamberger von

art Scheffler hat in der "Neuen Rundschau" vom Mai 1910
einen Aufsatz unter dem Titel: "Die sichere Versorgung" ver¬
öffentlicht, der wertvolle Anregungen enthält. Er erklärt es für
ungesund, daß die Eltern unablässig sorgen und sinnen, wie sie
ihren Sprößlingen eine gesicherte Zukunft bereiten und wie sie
ihnen die Grausamkeiten des Lebenskampfes ersparen können. Man glaube
immer noch für seine Kinder nicht besser sorgen zu können, als indem man
Geld für sie anhäuft. Und doch ist ein Sattes Zinsenbewußtsein das schlimmste
Erbe, das man Kindern hinterlassen kann! Die sichere Versorgung vernichtet
die Moral der freien Arbeit, die Ethik der Lebenskühnheit, sie weiß nichts von
der Poesie der Enthaltsamkeit, nichts von den Freuden des Erwerbens, noch
von dem großen Glück der Hoffnung. Man möge der eingeborenen Kraft ver¬
trauen und aus dem Gefühl dieser Kraft das Bewußtsein innerer und äußerer
Unversehrtheit entnehmen. Darum sei zu erwägen, ob es nicht allgemeines
Gesetz werden könne -- nach dem hohen Vorbild von Ernst Abbe in Jena --,
seinen Kindern nur das zum Leben Notwendige zu bewilligen, darüber hinaus
aber sie auf ihre eigene Kraft zu verweisen. Ob wir nicht eine nationale
Wiedergeburt erleben könnten, wenn es möglich wäre, das Erbrecht -- scheinbar
grausam -- zugunsten des Staates zu beschränken.

Ein tiefer Gedanke! Schon John Stuart Mill hat sich in seinen "Grund¬
sätzen der politischen Ökonomie" (Hamburg 1852, Band I S. 258 ff.) mit der
Frage beschäftigt. Nach seiner Meinung ist kein Vater verpflichtet, seine Kinder,
nur weil es seine Kinder sind, reich zu hinterlassen, so daß sie eigener Anstrengung
überhoben sind. Im Interesse der Gesellschaft, aber auch der Kinder selbst sei
es, wenn ihnen ein mäßiges Vermögen, statt eines großen, vermacht werde.
Die Wahrheit dieses Gemeinplatzes sei einsichtsvollen Eltern nicht verborgen;
sie würden auch häufiger danach verfahren, wenn sie nicht schwach genug wären,
nach der Meinung der Leute zu handeln, statt nach dem wahren Vorteil ihrer
Kinder. In Hinsicht auf den Genuß des Lebens sei der Unterschied zwischen
einem mäßigen Reichtum und einem fünfmal größeren Vermögen unbedeutend,
wenn man ihn gegen den Genuß und die dauernden Wohltaten abwäge, die


Grenzboten III 1910 ^


Dom Erbrecht der Amber
Justizrat Bamberger von

art Scheffler hat in der „Neuen Rundschau" vom Mai 1910
einen Aufsatz unter dem Titel: „Die sichere Versorgung" ver¬
öffentlicht, der wertvolle Anregungen enthält. Er erklärt es für
ungesund, daß die Eltern unablässig sorgen und sinnen, wie sie
ihren Sprößlingen eine gesicherte Zukunft bereiten und wie sie
ihnen die Grausamkeiten des Lebenskampfes ersparen können. Man glaube
immer noch für seine Kinder nicht besser sorgen zu können, als indem man
Geld für sie anhäuft. Und doch ist ein Sattes Zinsenbewußtsein das schlimmste
Erbe, das man Kindern hinterlassen kann! Die sichere Versorgung vernichtet
die Moral der freien Arbeit, die Ethik der Lebenskühnheit, sie weiß nichts von
der Poesie der Enthaltsamkeit, nichts von den Freuden des Erwerbens, noch
von dem großen Glück der Hoffnung. Man möge der eingeborenen Kraft ver¬
trauen und aus dem Gefühl dieser Kraft das Bewußtsein innerer und äußerer
Unversehrtheit entnehmen. Darum sei zu erwägen, ob es nicht allgemeines
Gesetz werden könne — nach dem hohen Vorbild von Ernst Abbe in Jena —,
seinen Kindern nur das zum Leben Notwendige zu bewilligen, darüber hinaus
aber sie auf ihre eigene Kraft zu verweisen. Ob wir nicht eine nationale
Wiedergeburt erleben könnten, wenn es möglich wäre, das Erbrecht — scheinbar
grausam — zugunsten des Staates zu beschränken.

Ein tiefer Gedanke! Schon John Stuart Mill hat sich in seinen „Grund¬
sätzen der politischen Ökonomie" (Hamburg 1852, Band I S. 258 ff.) mit der
Frage beschäftigt. Nach seiner Meinung ist kein Vater verpflichtet, seine Kinder,
nur weil es seine Kinder sind, reich zu hinterlassen, so daß sie eigener Anstrengung
überhoben sind. Im Interesse der Gesellschaft, aber auch der Kinder selbst sei
es, wenn ihnen ein mäßiges Vermögen, statt eines großen, vermacht werde.
Die Wahrheit dieses Gemeinplatzes sei einsichtsvollen Eltern nicht verborgen;
sie würden auch häufiger danach verfahren, wenn sie nicht schwach genug wären,
nach der Meinung der Leute zu handeln, statt nach dem wahren Vorteil ihrer
Kinder. In Hinsicht auf den Genuß des Lebens sei der Unterschied zwischen
einem mäßigen Reichtum und einem fünfmal größeren Vermögen unbedeutend,
wenn man ihn gegen den Genuß und die dauernden Wohltaten abwäge, die


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[0277] [Abbildung] Dom Erbrecht der Amber Justizrat Bamberger von art Scheffler hat in der „Neuen Rundschau" vom Mai 1910 einen Aufsatz unter dem Titel: „Die sichere Versorgung" ver¬ öffentlicht, der wertvolle Anregungen enthält. Er erklärt es für ungesund, daß die Eltern unablässig sorgen und sinnen, wie sie ihren Sprößlingen eine gesicherte Zukunft bereiten und wie sie ihnen die Grausamkeiten des Lebenskampfes ersparen können. Man glaube immer noch für seine Kinder nicht besser sorgen zu können, als indem man Geld für sie anhäuft. Und doch ist ein Sattes Zinsenbewußtsein das schlimmste Erbe, das man Kindern hinterlassen kann! Die sichere Versorgung vernichtet die Moral der freien Arbeit, die Ethik der Lebenskühnheit, sie weiß nichts von der Poesie der Enthaltsamkeit, nichts von den Freuden des Erwerbens, noch von dem großen Glück der Hoffnung. Man möge der eingeborenen Kraft ver¬ trauen und aus dem Gefühl dieser Kraft das Bewußtsein innerer und äußerer Unversehrtheit entnehmen. Darum sei zu erwägen, ob es nicht allgemeines Gesetz werden könne — nach dem hohen Vorbild von Ernst Abbe in Jena —, seinen Kindern nur das zum Leben Notwendige zu bewilligen, darüber hinaus aber sie auf ihre eigene Kraft zu verweisen. Ob wir nicht eine nationale Wiedergeburt erleben könnten, wenn es möglich wäre, das Erbrecht — scheinbar grausam — zugunsten des Staates zu beschränken. Ein tiefer Gedanke! Schon John Stuart Mill hat sich in seinen „Grund¬ sätzen der politischen Ökonomie" (Hamburg 1852, Band I S. 258 ff.) mit der Frage beschäftigt. Nach seiner Meinung ist kein Vater verpflichtet, seine Kinder, nur weil es seine Kinder sind, reich zu hinterlassen, so daß sie eigener Anstrengung überhoben sind. Im Interesse der Gesellschaft, aber auch der Kinder selbst sei es, wenn ihnen ein mäßiges Vermögen, statt eines großen, vermacht werde. Die Wahrheit dieses Gemeinplatzes sei einsichtsvollen Eltern nicht verborgen; sie würden auch häufiger danach verfahren, wenn sie nicht schwach genug wären, nach der Meinung der Leute zu handeln, statt nach dem wahren Vorteil ihrer Kinder. In Hinsicht auf den Genuß des Lebens sei der Unterschied zwischen einem mäßigen Reichtum und einem fünfmal größeren Vermögen unbedeutend, wenn man ihn gegen den Genuß und die dauernden Wohltaten abwäge, die Grenzboten III 1910 ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/277>, abgerufen am 29.06.2024.