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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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gregatiouen usw. anerkannte gegen das Einverständnis des Papstes, seine weltliche
Macht zu verlieren und Rom als Hauptstadt Italiens zu sehen. In der Folge
kam es, wiederum durch Passaglia und dann in Form von parlamentarischen
und journalistischen Erörterungen, zu neuen Entwürfen von Konventionen mit
den: päpstlichen Stuhle. Als die Bemühungen mehrere Monate später ohne
Erfolg aufgegeben werden mußten, da machte Cavour im Mai 1861 in Paris
den Versuch, die französischen Truppen aus Rom zurückziehen zu lassen. Indessen
fand er hier weder bei Napoleon noch bei den matzgebenden Staatsmännern
Gehör. Dagegen konnte er sich die Einsicht verschaffen, daß das französische
Volk, weniger aus religiösen als aus politischen Gründen, ein einheitliches
Königreich Italien nicht wünschte.

Gewiß hätte Cavour darum nicht abgelassen, seine Straße weiter zu ver¬
folgen. Bei seiner Energie und glücklichen Hand wäre er ohne Zweifel auch
binnen kurzem zu eurem positiven Erfolge gelangt, mindestens zu demselben,
der neun Jahre später erlangt wurde. Allein ein Entzündungsfieber unterbrach
sein Wirken, und am 6. Juni 1861 starb er. Ganz Italien fühlte, was es
mit Cavour verloren.

Das Italien von heute, dem die aller Rhetorik abgeneigte, planmäßig und
konsequent und nur nach den sachlichen Erfordernissen handelnde Persönlichkeit
Cavours noch nicht vertraut geworden, hat dennoch eine Stufenleiter der Staats¬
männer aller Zeiten und Völker herstellen zu sollen geglaubt. An seine Spitze
hat es Cavour gestellt. Mit besonderer Genugtuung wird Cavours Wert dem¬
jenigen Bismarcks übergeordnet, und es wird, wie das erst kürzlich seitens des
italienischen Ministerpräsidenten Luzzatti in der Kammer geschehen, das damit
begründet, daß Cavour sehr viel größere Schwierigkeiten auf seinem Wege
gefunden habe als Bismarck, daß Bismarck ein Diktator der Autorität, Cavour
aber ein Diktator der Überredung gewesen sei. Solche vergleichenden Ab¬
schätzungen von Persönlichkeiten sind im Prinzip noch verfehlter als die von
Kunstwerken, und sind es in diesem Falle erst recht, wie man auch in Italien
sofort einsähe, wenn man Art und Maß der von Bismarck gefundenen und
überwundenen Schwierigkeiten und Art und Maß seiner Leistungen durch Über¬
redung gegenständlich prüfte. Eher läßt sich sagen, Cavour war der glücklichere
Staatsmann. Doch sei dem, wie ihm wolle! Cavour war ein Mann, der
Großes getan sür eine große Idee, der einem großen Volke die Bahn erschlossen
zu einer glänzenden Entfaltung seiner Werte, zum eigenen Wohle und zum
Wohle der allgemeinen menschlichen Kultur.




Lavour

gregatiouen usw. anerkannte gegen das Einverständnis des Papstes, seine weltliche
Macht zu verlieren und Rom als Hauptstadt Italiens zu sehen. In der Folge
kam es, wiederum durch Passaglia und dann in Form von parlamentarischen
und journalistischen Erörterungen, zu neuen Entwürfen von Konventionen mit
den: päpstlichen Stuhle. Als die Bemühungen mehrere Monate später ohne
Erfolg aufgegeben werden mußten, da machte Cavour im Mai 1861 in Paris
den Versuch, die französischen Truppen aus Rom zurückziehen zu lassen. Indessen
fand er hier weder bei Napoleon noch bei den matzgebenden Staatsmännern
Gehör. Dagegen konnte er sich die Einsicht verschaffen, daß das französische
Volk, weniger aus religiösen als aus politischen Gründen, ein einheitliches
Königreich Italien nicht wünschte.

Gewiß hätte Cavour darum nicht abgelassen, seine Straße weiter zu ver¬
folgen. Bei seiner Energie und glücklichen Hand wäre er ohne Zweifel auch
binnen kurzem zu eurem positiven Erfolge gelangt, mindestens zu demselben,
der neun Jahre später erlangt wurde. Allein ein Entzündungsfieber unterbrach
sein Wirken, und am 6. Juni 1861 starb er. Ganz Italien fühlte, was es
mit Cavour verloren.

Das Italien von heute, dem die aller Rhetorik abgeneigte, planmäßig und
konsequent und nur nach den sachlichen Erfordernissen handelnde Persönlichkeit
Cavours noch nicht vertraut geworden, hat dennoch eine Stufenleiter der Staats¬
männer aller Zeiten und Völker herstellen zu sollen geglaubt. An seine Spitze
hat es Cavour gestellt. Mit besonderer Genugtuung wird Cavours Wert dem¬
jenigen Bismarcks übergeordnet, und es wird, wie das erst kürzlich seitens des
italienischen Ministerpräsidenten Luzzatti in der Kammer geschehen, das damit
begründet, daß Cavour sehr viel größere Schwierigkeiten auf seinem Wege
gefunden habe als Bismarck, daß Bismarck ein Diktator der Autorität, Cavour
aber ein Diktator der Überredung gewesen sei. Solche vergleichenden Ab¬
schätzungen von Persönlichkeiten sind im Prinzip noch verfehlter als die von
Kunstwerken, und sind es in diesem Falle erst recht, wie man auch in Italien
sofort einsähe, wenn man Art und Maß der von Bismarck gefundenen und
überwundenen Schwierigkeiten und Art und Maß seiner Leistungen durch Über¬
redung gegenständlich prüfte. Eher läßt sich sagen, Cavour war der glücklichere
Staatsmann. Doch sei dem, wie ihm wolle! Cavour war ein Mann, der
Großes getan sür eine große Idee, der einem großen Volke die Bahn erschlossen
zu einer glänzenden Entfaltung seiner Werte, zum eigenen Wohle und zum
Wohle der allgemeinen menschlichen Kultur.




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[0276] Lavour gregatiouen usw. anerkannte gegen das Einverständnis des Papstes, seine weltliche Macht zu verlieren und Rom als Hauptstadt Italiens zu sehen. In der Folge kam es, wiederum durch Passaglia und dann in Form von parlamentarischen und journalistischen Erörterungen, zu neuen Entwürfen von Konventionen mit den: päpstlichen Stuhle. Als die Bemühungen mehrere Monate später ohne Erfolg aufgegeben werden mußten, da machte Cavour im Mai 1861 in Paris den Versuch, die französischen Truppen aus Rom zurückziehen zu lassen. Indessen fand er hier weder bei Napoleon noch bei den matzgebenden Staatsmännern Gehör. Dagegen konnte er sich die Einsicht verschaffen, daß das französische Volk, weniger aus religiösen als aus politischen Gründen, ein einheitliches Königreich Italien nicht wünschte. Gewiß hätte Cavour darum nicht abgelassen, seine Straße weiter zu ver¬ folgen. Bei seiner Energie und glücklichen Hand wäre er ohne Zweifel auch binnen kurzem zu eurem positiven Erfolge gelangt, mindestens zu demselben, der neun Jahre später erlangt wurde. Allein ein Entzündungsfieber unterbrach sein Wirken, und am 6. Juni 1861 starb er. Ganz Italien fühlte, was es mit Cavour verloren. Das Italien von heute, dem die aller Rhetorik abgeneigte, planmäßig und konsequent und nur nach den sachlichen Erfordernissen handelnde Persönlichkeit Cavours noch nicht vertraut geworden, hat dennoch eine Stufenleiter der Staats¬ männer aller Zeiten und Völker herstellen zu sollen geglaubt. An seine Spitze hat es Cavour gestellt. Mit besonderer Genugtuung wird Cavours Wert dem¬ jenigen Bismarcks übergeordnet, und es wird, wie das erst kürzlich seitens des italienischen Ministerpräsidenten Luzzatti in der Kammer geschehen, das damit begründet, daß Cavour sehr viel größere Schwierigkeiten auf seinem Wege gefunden habe als Bismarck, daß Bismarck ein Diktator der Autorität, Cavour aber ein Diktator der Überredung gewesen sei. Solche vergleichenden Ab¬ schätzungen von Persönlichkeiten sind im Prinzip noch verfehlter als die von Kunstwerken, und sind es in diesem Falle erst recht, wie man auch in Italien sofort einsähe, wenn man Art und Maß der von Bismarck gefundenen und überwundenen Schwierigkeiten und Art und Maß seiner Leistungen durch Über¬ redung gegenständlich prüfte. Eher läßt sich sagen, Cavour war der glücklichere Staatsmann. Doch sei dem, wie ihm wolle! Cavour war ein Mann, der Großes getan sür eine große Idee, der einem großen Volke die Bahn erschlossen zu einer glänzenden Entfaltung seiner Werte, zum eigenen Wohle und zum Wohle der allgemeinen menschlichen Kultur.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/276>, abgerufen am 01.07.2024.