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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Die Vaganten

So wird der obersten Unterrichtsverwaltung, an deren Einsicht und gutem Willen
kein Zweifel statthaben kann, der Rücken gestärkt und der Mut erhöht werden,
daß sie im Kampfe der Geister auch diejenige Eigenschaft bewähre, an der,
überall wo regiert werden soll, im Grunde das meiste gelegen ist, Kraft und
Entschlossenheit.




Die Vaganten
"l, Löffler von

j ändernde Studenten und Kleriker gab es in Deutschland schon
in früher Zeit. Das Wandern von Schule zu Schule hatte
darin seinen Grund, daß die einzelnen Trivial- und Ouadrivial-
fächer nicht überall gleich gut vertreten waren. Die eine Schule
l hatte einen guten Grammatiker, die andere einen trefflichen
Erklärer der Heiligen Schrift. Bestimmte berühmte Lehrer waren es, denen
zulieb die Wanderungen unternommen wurden. So zog Rhabanus Maurus
zu Altum nach Tours, Walafrid Strabo von Reichenau nach Fulda zu
Rhaban, Wolfgang von Regensburg nach Würzburg, wo grade ein italienischer
Grammatiker blühte. Der spätere Bischof Benno von Osnabrück (1068 bis
1088) empfing seine Bildung zuerst in Straßburg, ging dann nach der Reichenau,
um Hermann den Lahmen zu hören, und zog darauf, wie sein Biograph sagt,
"in dieser Art zu lernen auch an andern Orten nach Studentensitte umher".
Allmählich schienen die verschiedenen Disziplinen an bestimmte Orte gebunden.
Paris wurde der Hauptsitz der Theologie, die Juristen zogen nach Bologna
und Padua, die Mediziner wanderten nach Salerno. Jede Universität suchte
ihren Ruhm in der besonderen Pflege einer Wissenschaft, und erst spät begann
man in dem Namen "Universität" den Sinn zu suchen, daß sie eine Gesamtheit
der Wissenschaften darstellen solle*). Da nun aber die Zeit die Beschränkung
auf ein Fach verwarf und umfassende Bildung forderte, so sahen sich die Kleriker
zum Wandern gezwungen. "Die Städte und den ganzen Erdkreis durchirren
die Scholastiker, und das viele Studieren bringt sie um den Verstand. Die
Kleriker suchen die schönen Wissenschaften in Paris, die Kenntnis der alten
Schriftsteller in Orleans, die Rechtswissenschaft in Bologna, die Medizin in
Salerno und die schwarze Kunst in Toledo. Nirgends aber suchen sie die gute



") Ursprünglich hat er bekanntlich rein juristische Bedeutung, llniversitss ist die
korporative Gemeinschaft von Lehrern und Lernenden mit den ihnen verliehenen Rechten und
Freiheiten.
Die Vaganten

So wird der obersten Unterrichtsverwaltung, an deren Einsicht und gutem Willen
kein Zweifel statthaben kann, der Rücken gestärkt und der Mut erhöht werden,
daß sie im Kampfe der Geister auch diejenige Eigenschaft bewähre, an der,
überall wo regiert werden soll, im Grunde das meiste gelegen ist, Kraft und
Entschlossenheit.




Die Vaganten
«l, Löffler von

j ändernde Studenten und Kleriker gab es in Deutschland schon
in früher Zeit. Das Wandern von Schule zu Schule hatte
darin seinen Grund, daß die einzelnen Trivial- und Ouadrivial-
fächer nicht überall gleich gut vertreten waren. Die eine Schule
l hatte einen guten Grammatiker, die andere einen trefflichen
Erklärer der Heiligen Schrift. Bestimmte berühmte Lehrer waren es, denen
zulieb die Wanderungen unternommen wurden. So zog Rhabanus Maurus
zu Altum nach Tours, Walafrid Strabo von Reichenau nach Fulda zu
Rhaban, Wolfgang von Regensburg nach Würzburg, wo grade ein italienischer
Grammatiker blühte. Der spätere Bischof Benno von Osnabrück (1068 bis
1088) empfing seine Bildung zuerst in Straßburg, ging dann nach der Reichenau,
um Hermann den Lahmen zu hören, und zog darauf, wie sein Biograph sagt,
„in dieser Art zu lernen auch an andern Orten nach Studentensitte umher".
Allmählich schienen die verschiedenen Disziplinen an bestimmte Orte gebunden.
Paris wurde der Hauptsitz der Theologie, die Juristen zogen nach Bologna
und Padua, die Mediziner wanderten nach Salerno. Jede Universität suchte
ihren Ruhm in der besonderen Pflege einer Wissenschaft, und erst spät begann
man in dem Namen „Universität" den Sinn zu suchen, daß sie eine Gesamtheit
der Wissenschaften darstellen solle*). Da nun aber die Zeit die Beschränkung
auf ein Fach verwarf und umfassende Bildung forderte, so sahen sich die Kleriker
zum Wandern gezwungen. „Die Städte und den ganzen Erdkreis durchirren
die Scholastiker, und das viele Studieren bringt sie um den Verstand. Die
Kleriker suchen die schönen Wissenschaften in Paris, die Kenntnis der alten
Schriftsteller in Orleans, die Rechtswissenschaft in Bologna, die Medizin in
Salerno und die schwarze Kunst in Toledo. Nirgends aber suchen sie die gute



") Ursprünglich hat er bekanntlich rein juristische Bedeutung, llniversitss ist die
korporative Gemeinschaft von Lehrern und Lernenden mit den ihnen verliehenen Rechten und
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/174>, abgerufen am 29.06.2024.