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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Die Vaganten

Sitte, denn nach dieser trachten sie nicht nur am allerwenigsten, sondern gar
nicht." So eifert der Mönch von Froidmont.

Der eigentliche Typus der Vaganten setzt sich aber erst im zwölften Jahrhundert
fest. Sicher hat das Aufkommen der Scholastik sie Hauptrolle bei der
Entstehung der merkwürdigen Erscheinung gebildet. Diese neue Richtung der
mittelalterlichen Wissenschaft suchte das. was man bisher bloß geglaubt, durch
die Schärfe des Verstandes und richtige Schulung des Geistes zu erkennen.
Das zog die Jugend mächtig an. Tausende von Schülern wanderten nach
Paris und Oxford, um die berühmten Theologen, wie Wilhelm von Champeaux
und Peter Abälard, zu hören. Paris wurde die Hauptstadt der Weisheit und
ließ, wie ein Schriftsteller sagt, Athen und Alexandria an Frequenz hinter
sich. Der Neuankommende konnte kaum eine Wohnung finden, und die
Zahl der Fremden war manchmal größer als die der Bürger. Oxford
war die zweite Universität, und doch hielten sich dort um 1220 gegen 3000
Studenten ans.

Kehrten nun aber die jungen Theologen, stolz auf die Schätze der Weisheit
und in der frohen Hoffnung auf eine befriedigende Tätigkeit, in die Heimat
zurück, so fanden sie sich größtenteils bitter enttäuscht. Denn dem Aufschwung
des theologischen Studiums folgte nicht nur keine Vermehrung der geistlichen
Stellen, sondern ihre Zahl nahm im Gegenteil von Jahr zu Jahr ab. Das
war eine Folge der wirtschaftlichen Verhältnisse. Seit dem elften Jahrhundert
war der Geldverkehr statt des Tauschhandels aufgekommen und hatte sich so
rasch verbreitet, daß die Vorräte an Edelmetall in stärkerem Maße gebraucht
wurden, als sie verfügbar waren. Wuchs so die Kaufkraft des Geldes, so nahm
gleichzeitig der Wert des Grundbesitzes und der landwirtschaftlichen Erzeugnisse
ab. Auf diese war aber der Klerus (wie der Adel) seit uralter Zeit angewiesen.
Während also ihr Einkommen nominell dasselbe blieb, ging es in Wirklichkeit
immer mehr zurück. Dagegen suchte man sich nun zu helfen. Nach kirchlicher
Bestimmung sollte niemand zwei Pfründen besitzen. Wer also eine bessere
haben wollte, mußte auf die alte verzichten. Unter dem Drucke jeuer wirt¬
schaftlichen Verhältnisse ging man nun seit dein zwölften Jahrhundert von jeuer
Bestimmung ab und ließ den Lumulu8 beneficiorum, die Anhäufung mehrerer
Pfründen in einer Hand, zu. Dazu kam noch die Konkurrenz der Orden,
besonders der Zisterzienser und der Bettelmönche, die nicht nur die Seelsorge,
sondern auch den Besitz reicher Kirchen ein sich brachten. Daher die zahlreichen
Klagen des Weltklerus über die Habgier der Mönche.

Die Aussichten des theologischen Nachwuchses wurden also immer schlechter,
je größer seine Zahl wurde. Wo sollte die Unmasse der Studierenden bleiben?
Auf der Universität bleiben und warten, ging nicht. Das Leben war dort
zu teuer. Man mußte sich also bis zur Erlangung einer Stelle anders durch¬
schlagen. Manche wurden Sekretäre bei vornehmen Herren oder Hauslehrer
auf Schlössern oder famuli junger Adliger. Andere machten Abschriften, gaben


Die Vaganten

Sitte, denn nach dieser trachten sie nicht nur am allerwenigsten, sondern gar
nicht." So eifert der Mönch von Froidmont.

Der eigentliche Typus der Vaganten setzt sich aber erst im zwölften Jahrhundert
fest. Sicher hat das Aufkommen der Scholastik sie Hauptrolle bei der
Entstehung der merkwürdigen Erscheinung gebildet. Diese neue Richtung der
mittelalterlichen Wissenschaft suchte das. was man bisher bloß geglaubt, durch
die Schärfe des Verstandes und richtige Schulung des Geistes zu erkennen.
Das zog die Jugend mächtig an. Tausende von Schülern wanderten nach
Paris und Oxford, um die berühmten Theologen, wie Wilhelm von Champeaux
und Peter Abälard, zu hören. Paris wurde die Hauptstadt der Weisheit und
ließ, wie ein Schriftsteller sagt, Athen und Alexandria an Frequenz hinter
sich. Der Neuankommende konnte kaum eine Wohnung finden, und die
Zahl der Fremden war manchmal größer als die der Bürger. Oxford
war die zweite Universität, und doch hielten sich dort um 1220 gegen 3000
Studenten ans.

Kehrten nun aber die jungen Theologen, stolz auf die Schätze der Weisheit
und in der frohen Hoffnung auf eine befriedigende Tätigkeit, in die Heimat
zurück, so fanden sie sich größtenteils bitter enttäuscht. Denn dem Aufschwung
des theologischen Studiums folgte nicht nur keine Vermehrung der geistlichen
Stellen, sondern ihre Zahl nahm im Gegenteil von Jahr zu Jahr ab. Das
war eine Folge der wirtschaftlichen Verhältnisse. Seit dem elften Jahrhundert
war der Geldverkehr statt des Tauschhandels aufgekommen und hatte sich so
rasch verbreitet, daß die Vorräte an Edelmetall in stärkerem Maße gebraucht
wurden, als sie verfügbar waren. Wuchs so die Kaufkraft des Geldes, so nahm
gleichzeitig der Wert des Grundbesitzes und der landwirtschaftlichen Erzeugnisse
ab. Auf diese war aber der Klerus (wie der Adel) seit uralter Zeit angewiesen.
Während also ihr Einkommen nominell dasselbe blieb, ging es in Wirklichkeit
immer mehr zurück. Dagegen suchte man sich nun zu helfen. Nach kirchlicher
Bestimmung sollte niemand zwei Pfründen besitzen. Wer also eine bessere
haben wollte, mußte auf die alte verzichten. Unter dem Drucke jeuer wirt¬
schaftlichen Verhältnisse ging man nun seit dein zwölften Jahrhundert von jeuer
Bestimmung ab und ließ den Lumulu8 beneficiorum, die Anhäufung mehrerer
Pfründen in einer Hand, zu. Dazu kam noch die Konkurrenz der Orden,
besonders der Zisterzienser und der Bettelmönche, die nicht nur die Seelsorge,
sondern auch den Besitz reicher Kirchen ein sich brachten. Daher die zahlreichen
Klagen des Weltklerus über die Habgier der Mönche.

Die Aussichten des theologischen Nachwuchses wurden also immer schlechter,
je größer seine Zahl wurde. Wo sollte die Unmasse der Studierenden bleiben?
Auf der Universität bleiben und warten, ging nicht. Das Leben war dort
zu teuer. Man mußte sich also bis zur Erlangung einer Stelle anders durch¬
schlagen. Manche wurden Sekretäre bei vornehmen Herren oder Hauslehrer
auf Schlössern oder famuli junger Adliger. Andere machten Abschriften, gaben


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/175>, abgerufen am 01.07.2024.