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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Ein Gottesurteil

der ein solcher Liebling der Muse war und um dessen Haupt sich eine so zarte
Aureole der Legende und Dichtung gebildet hat. Fast möchte man sich darüber
freuen, daß uus nicht mehr aus seinem Leben bekannt ist. Das Märchenhafte,
das über ihn ausgebreitet ist, trägt dazu bei, ihn noch mehr zu einer der köst¬
lichst F, en Erscheinungen des ausklingenden Mittelalters zu machen.




Gin Gottesurteil
Ein Rindererlebnis
Karl Hans Strobl von

on allen Wochentagen liebte der kleine Toni den Samstag am
! wenigsten. Das war der Tag, an dessen verdämmerndem Ende der
Vater aus der Fabrik kam, wo er die ganze Woche über arbeitete,
und die so weit von der Stadt entfernt war, daß er nur über den
Sonntag heimkommen konnte. Nicht daß Toni seinen Vater nicht
gern gehabt hätte. Aber der Vater brachte einen so üblen Geruch
mit, war so schmutzig und verschwitzt, und wenn man seine Hände ansah, so mußte
man sogleich an die ungeheueren, schwirrenden Maschinen denken, vor denen Toni
eine solche Angst hatte, seitdem er einmal mit der Mutter in einer Spinnerei
gewesen war.

Das wäre jedoch nicht das Schlimmste gewesen. Denn wenn der Vater eine
Weile daheim war und sich gewaschen und ungezogen hatte, dann verschwand der
üble Geruch und seine Hände wurden ganz anders und erinnerten nicht mehr an
die Maschinen, die dem Toni in seinen: ahnungsvollen Träumen die grausamen
Schicksalsmächte waren, an die er sein Leben ausgeliefert fühlte.

Aber etwas anderes blieb. Und das war die üble Laune, in die der Vater
verfiel, kaun: daß er eine Weile daheim war. Daß die Mutter sich auf den
Samstagabend freute, der deu Vater bringen sollte, das wußte der Toni. Und
auch der Vater trat ganz fröhlich und wie mit einem Lied auf den Lippen ein.
Sobald die beiden Menschen aber beisammen waren, begann ein Reiben wie von
Holz gegen Holz, es kam zu Vorwürfen, dann zum Wortwechsel und schließlich
zu lautem Zank.

Toni behielt von dem Inhalt dieser Streitigkeiten nur so viel, daß die Mutter
von dein Vater verlangte, er solle sie heiraten, und daß der Vater sich weigerte,
es zu tun. Ein Wort blieb ihm im Gedächtnis, das der Vater einmal gesprochen
hatte und das Toni lange nicht ins Klare bringen konnte. Das lautete: "Nichts
zu nichts gibt wieder nichts". Obwohl Toni seiner Bedeutung nicht sicher war,
erschien ihm dieses Wort doch schon seinem bloßen Klang nach das trostloseste, das
er je gehört hatte. Aus diesen Zänkereien zwischen Vater und Mutter formte
Toni eine absonderliche Vorstellung vom Heiraten. Es war ihm wie ein Tor,
durch das man nur zu gehen brauchte, um gleich in einer anderen Welt zu sein,


Ein Gottesurteil

der ein solcher Liebling der Muse war und um dessen Haupt sich eine so zarte
Aureole der Legende und Dichtung gebildet hat. Fast möchte man sich darüber
freuen, daß uus nicht mehr aus seinem Leben bekannt ist. Das Märchenhafte,
das über ihn ausgebreitet ist, trägt dazu bei, ihn noch mehr zu einer der köst¬
lichst F, en Erscheinungen des ausklingenden Mittelalters zu machen.




Gin Gottesurteil
Ein Rindererlebnis
Karl Hans Strobl von

on allen Wochentagen liebte der kleine Toni den Samstag am
! wenigsten. Das war der Tag, an dessen verdämmerndem Ende der
Vater aus der Fabrik kam, wo er die ganze Woche über arbeitete,
und die so weit von der Stadt entfernt war, daß er nur über den
Sonntag heimkommen konnte. Nicht daß Toni seinen Vater nicht
gern gehabt hätte. Aber der Vater brachte einen so üblen Geruch
mit, war so schmutzig und verschwitzt, und wenn man seine Hände ansah, so mußte
man sogleich an die ungeheueren, schwirrenden Maschinen denken, vor denen Toni
eine solche Angst hatte, seitdem er einmal mit der Mutter in einer Spinnerei
gewesen war.

Das wäre jedoch nicht das Schlimmste gewesen. Denn wenn der Vater eine
Weile daheim war und sich gewaschen und ungezogen hatte, dann verschwand der
üble Geruch und seine Hände wurden ganz anders und erinnerten nicht mehr an
die Maschinen, die dem Toni in seinen: ahnungsvollen Träumen die grausamen
Schicksalsmächte waren, an die er sein Leben ausgeliefert fühlte.

Aber etwas anderes blieb. Und das war die üble Laune, in die der Vater
verfiel, kaun: daß er eine Weile daheim war. Daß die Mutter sich auf den
Samstagabend freute, der deu Vater bringen sollte, das wußte der Toni. Und
auch der Vater trat ganz fröhlich und wie mit einem Lied auf den Lippen ein.
Sobald die beiden Menschen aber beisammen waren, begann ein Reiben wie von
Holz gegen Holz, es kam zu Vorwürfen, dann zum Wortwechsel und schließlich
zu lautem Zank.

Toni behielt von dem Inhalt dieser Streitigkeiten nur so viel, daß die Mutter
von dein Vater verlangte, er solle sie heiraten, und daß der Vater sich weigerte,
es zu tun. Ein Wort blieb ihm im Gedächtnis, das der Vater einmal gesprochen
hatte und das Toni lange nicht ins Klare bringen konnte. Das lautete: „Nichts
zu nichts gibt wieder nichts". Obwohl Toni seiner Bedeutung nicht sicher war,
erschien ihm dieses Wort doch schon seinem bloßen Klang nach das trostloseste, das
er je gehört hatte. Aus diesen Zänkereien zwischen Vater und Mutter formte
Toni eine absonderliche Vorstellung vom Heiraten. Es war ihm wie ein Tor,
durch das man nur zu gehen brauchte, um gleich in einer anderen Welt zu sein,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/148>, abgerufen am 29.06.2024.