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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Hans Momling

Mittelalters bleiben. So sehr der Fortschritt Memlings im Dienste der
allverklärenden Göttin Schönheit auch hervortritt, steckt er doch noch im
Mittelalter.

Auch stofflich kommt er kaum über das Kirchenbild hinaus. In deu
wenigen Jahren, die ihm auf der Höhe seiner Kunst -- alle vier großen Meister
der flämischen Schule sind nicht alt geworden -- noch beschieden waren, schafft
er noch eine stattliche Reihe. Aber da er nun ein bekannter Mann geworden
war, dem von weither die Aufträge zuflössen, so machten später auch Bilder
vou andrer Hand Anspruch auf seinen berühmten Namen. Unter diesen ist
der große Passionsaltar in Lübeck wohl das bekannteste. Er wurde von einem
reichen Lübecker Handelsherrn bestellt und 1491 seiner Vaterstadt zum Geschenk
gemacht. "Es galt", so sagt Voll, "zwar früher für ein echtes Werk von
Memlings Hand, ist aber schon manchem Zweifel begegnet und kann heute kaum
noch für eigenhändig gehalten werden; jedoch steht er Memlings Art so nahe,
daß er als eine charakteristische Schularbeit bezeichnet werden kann, die noch
viel von dem Altersstil des Künstlers erkennen läßt."

Einer Seite der Memlingschen Kunst haben wir bisher noch keine
Aufmerksamkeit gewidmet. Und doch ist auch sie sehr bedeutend. Das ist das
Bildnis. Gehen auch unter seinem Namen manche Werke, die nicht einmal
sein Atelier gesehen hat, so steht doch fest, daß viele andre von ihm herrühren,
und daß er zu den besten Porträtisten seiner Zeit gehört hat. Die Porträt¬
malern ist nicht nur ein sicherer Hort gegen Geschmacksverirrungen, sie ist in
verschiedenen Schulen, namentlich der altflämischen und der holländischen, von
ausschlaggebender Bedeutung für die Naturbeobachtung und demnächst für die
ganze Kunstrichtung gewesen. Vom flämischen (wie später vom holländischen)
Maler verlangt man eine ganz getreue Beobachtung und Wiedergabe der Natur.
Mit allgemeinen Effekten war da nichts zu machen. Den belgischen Meistern,
die überhaupt in der Ausführung des Details so Großes leisteten, lag das sehr
nahe. Aus allen Memlingschen Bildnissen weht uns der Geist unübetroffener
Wahrheitsliebe entgegen.

Memling starb am 11. August 1494. Mit ihm versank die altflämische
Kunst. Sem großer Nachfolger, Quentin Bwssys in Antwerpen, war damals
schon etwa vierunddreißig Jahre alt. Viel von Geist und Können, von Stil
und Technik des fünfzehnten Jahrhunderts ging auf ihn über. Aber zur
Hauptsache gehört er doch dem neuen Zeitalter an, für das die italienischen
Einflüsse immer maßgebender wurden.

Bei dem Werke, das den Anlaß zu diesem Referat gegeben hat, bedauern
wir die Knappheit des Textes. Es ist der 14. Band der "Klassiker der Kunst"
und besteht zur Hauptsache aus Reproduktionen der Werke des behandelten
Meisters. Auf 1V7 Tafeln werden uns diese in Lichtdruck-Technik vorgeführt.
Es ist wohl das erstemal, daß auf solche Weise dem Kunstfreunde ein Über¬
blick über die Gesamtheit des Schaffens des Brügger Meisters gegeben wird.


Hans Momling

Mittelalters bleiben. So sehr der Fortschritt Memlings im Dienste der
allverklärenden Göttin Schönheit auch hervortritt, steckt er doch noch im
Mittelalter.

Auch stofflich kommt er kaum über das Kirchenbild hinaus. In deu
wenigen Jahren, die ihm auf der Höhe seiner Kunst — alle vier großen Meister
der flämischen Schule sind nicht alt geworden — noch beschieden waren, schafft
er noch eine stattliche Reihe. Aber da er nun ein bekannter Mann geworden
war, dem von weither die Aufträge zuflössen, so machten später auch Bilder
vou andrer Hand Anspruch auf seinen berühmten Namen. Unter diesen ist
der große Passionsaltar in Lübeck wohl das bekannteste. Er wurde von einem
reichen Lübecker Handelsherrn bestellt und 1491 seiner Vaterstadt zum Geschenk
gemacht. „Es galt", so sagt Voll, „zwar früher für ein echtes Werk von
Memlings Hand, ist aber schon manchem Zweifel begegnet und kann heute kaum
noch für eigenhändig gehalten werden; jedoch steht er Memlings Art so nahe,
daß er als eine charakteristische Schularbeit bezeichnet werden kann, die noch
viel von dem Altersstil des Künstlers erkennen läßt."

Einer Seite der Memlingschen Kunst haben wir bisher noch keine
Aufmerksamkeit gewidmet. Und doch ist auch sie sehr bedeutend. Das ist das
Bildnis. Gehen auch unter seinem Namen manche Werke, die nicht einmal
sein Atelier gesehen hat, so steht doch fest, daß viele andre von ihm herrühren,
und daß er zu den besten Porträtisten seiner Zeit gehört hat. Die Porträt¬
malern ist nicht nur ein sicherer Hort gegen Geschmacksverirrungen, sie ist in
verschiedenen Schulen, namentlich der altflämischen und der holländischen, von
ausschlaggebender Bedeutung für die Naturbeobachtung und demnächst für die
ganze Kunstrichtung gewesen. Vom flämischen (wie später vom holländischen)
Maler verlangt man eine ganz getreue Beobachtung und Wiedergabe der Natur.
Mit allgemeinen Effekten war da nichts zu machen. Den belgischen Meistern,
die überhaupt in der Ausführung des Details so Großes leisteten, lag das sehr
nahe. Aus allen Memlingschen Bildnissen weht uns der Geist unübetroffener
Wahrheitsliebe entgegen.

Memling starb am 11. August 1494. Mit ihm versank die altflämische
Kunst. Sem großer Nachfolger, Quentin Bwssys in Antwerpen, war damals
schon etwa vierunddreißig Jahre alt. Viel von Geist und Können, von Stil
und Technik des fünfzehnten Jahrhunderts ging auf ihn über. Aber zur
Hauptsache gehört er doch dem neuen Zeitalter an, für das die italienischen
Einflüsse immer maßgebender wurden.

Bei dem Werke, das den Anlaß zu diesem Referat gegeben hat, bedauern
wir die Knappheit des Textes. Es ist der 14. Band der „Klassiker der Kunst"
und besteht zur Hauptsache aus Reproduktionen der Werke des behandelten
Meisters. Auf 1V7 Tafeln werden uns diese in Lichtdruck-Technik vorgeführt.
Es ist wohl das erstemal, daß auf solche Weise dem Kunstfreunde ein Über¬
blick über die Gesamtheit des Schaffens des Brügger Meisters gegeben wird.


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[0147] Hans Momling Mittelalters bleiben. So sehr der Fortschritt Memlings im Dienste der allverklärenden Göttin Schönheit auch hervortritt, steckt er doch noch im Mittelalter. Auch stofflich kommt er kaum über das Kirchenbild hinaus. In deu wenigen Jahren, die ihm auf der Höhe seiner Kunst — alle vier großen Meister der flämischen Schule sind nicht alt geworden — noch beschieden waren, schafft er noch eine stattliche Reihe. Aber da er nun ein bekannter Mann geworden war, dem von weither die Aufträge zuflössen, so machten später auch Bilder vou andrer Hand Anspruch auf seinen berühmten Namen. Unter diesen ist der große Passionsaltar in Lübeck wohl das bekannteste. Er wurde von einem reichen Lübecker Handelsherrn bestellt und 1491 seiner Vaterstadt zum Geschenk gemacht. „Es galt", so sagt Voll, „zwar früher für ein echtes Werk von Memlings Hand, ist aber schon manchem Zweifel begegnet und kann heute kaum noch für eigenhändig gehalten werden; jedoch steht er Memlings Art so nahe, daß er als eine charakteristische Schularbeit bezeichnet werden kann, die noch viel von dem Altersstil des Künstlers erkennen läßt." Einer Seite der Memlingschen Kunst haben wir bisher noch keine Aufmerksamkeit gewidmet. Und doch ist auch sie sehr bedeutend. Das ist das Bildnis. Gehen auch unter seinem Namen manche Werke, die nicht einmal sein Atelier gesehen hat, so steht doch fest, daß viele andre von ihm herrühren, und daß er zu den besten Porträtisten seiner Zeit gehört hat. Die Porträt¬ malern ist nicht nur ein sicherer Hort gegen Geschmacksverirrungen, sie ist in verschiedenen Schulen, namentlich der altflämischen und der holländischen, von ausschlaggebender Bedeutung für die Naturbeobachtung und demnächst für die ganze Kunstrichtung gewesen. Vom flämischen (wie später vom holländischen) Maler verlangt man eine ganz getreue Beobachtung und Wiedergabe der Natur. Mit allgemeinen Effekten war da nichts zu machen. Den belgischen Meistern, die überhaupt in der Ausführung des Details so Großes leisteten, lag das sehr nahe. Aus allen Memlingschen Bildnissen weht uns der Geist unübetroffener Wahrheitsliebe entgegen. Memling starb am 11. August 1494. Mit ihm versank die altflämische Kunst. Sem großer Nachfolger, Quentin Bwssys in Antwerpen, war damals schon etwa vierunddreißig Jahre alt. Viel von Geist und Können, von Stil und Technik des fünfzehnten Jahrhunderts ging auf ihn über. Aber zur Hauptsache gehört er doch dem neuen Zeitalter an, für das die italienischen Einflüsse immer maßgebender wurden. Bei dem Werke, das den Anlaß zu diesem Referat gegeben hat, bedauern wir die Knappheit des Textes. Es ist der 14. Band der „Klassiker der Kunst" und besteht zur Hauptsache aus Reproduktionen der Werke des behandelten Meisters. Auf 1V7 Tafeln werden uns diese in Lichtdruck-Technik vorgeführt. Es ist wohl das erstemal, daß auf solche Weise dem Kunstfreunde ein Über¬ blick über die Gesamtheit des Schaffens des Brügger Meisters gegeben wird.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/147>, abgerufen am 01.07.2024.