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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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g) Der Austauschprofessor
Humoreske von Wilhelm Pocal-

Der ungetreue Nikodemus war durch deu plötzlichen Überfall des Sach¬
kenners so überrascht worden, daß er sofort statt der unechten echte Sachen
holte und dabei murmelte: es kämen so viele fremde Herrschaften, und so viel
>alte< Kostüme, wie die haben wollten, könnte er beim besten Willen nicht
beschaffen.

Miß Alice war hocherfreut. Ja, die Postwirtin hatte recht. Doktor Jerinn
war wirklich ein furchtbar kluger Mensch.

Nun sollte es weiter gehen nach Altpoggensiel. Eddelbüttels alter
Wallach sollte angespannt werden. Aber es stellte sich heraus, daß er auf
seiner Streu längelang ausgestreckt und durch keine Macht der Erde wieder auf
die Beine zu bringen war.

Er war nämlich tot.

"A--vnd," sagte Miß Alice zu Doktor Jerum, "was sollen wir nun machen?"

"Begraben," sagte Jerum. "Und auf seinen Grabstein schreiben wir:
,Er starb in seinen: Beruf'."

"Dat stimmt aber eegentlich nich," bemerkte der Kittscher. "Dat mutt
hecken: er starb an seinen Beruf."

"Sie sind ein guter Mensch," sagte Miß Alice (sie meinte nicht den
Kutscher, sondern Doktor Jerum), "Sie haben Mitgefühl für Tieren. -- Aber wir
wollen ihn nicht selbst begraben, wir wollen weiter. Wo bekommen wir ein Pferd?"

"Wi könnt ja den Postweert selten Voß nehmen," meinte der Kutscher.

"Aber nicht kaufen," warnte Jerum.

Es wurden noch einige bewegte Worte wegen des schnellen und unerwarteten
Todes des Wallands gewechselt. Dann kam des Gastwirts Fuchsstute vor den
Wagen, und man brach auf.

Die Fuchsstute hatte drei Tage faul im Stall gestanden, und sie stach der
Hafer. Sie tanzte wie ein junges Mädchen den gepflasterten Damm entlang,
und Schmied Augustins Droschke sprang wie eine grimmige alte Großmutter
hinter ihr her.




g) Der Austauschprofessor
Humoreske von Wilhelm Pocal-

Der ungetreue Nikodemus war durch deu plötzlichen Überfall des Sach¬
kenners so überrascht worden, daß er sofort statt der unechten echte Sachen
holte und dabei murmelte: es kämen so viele fremde Herrschaften, und so viel
>alte< Kostüme, wie die haben wollten, könnte er beim besten Willen nicht
beschaffen.

Miß Alice war hocherfreut. Ja, die Postwirtin hatte recht. Doktor Jerinn
war wirklich ein furchtbar kluger Mensch.

Nun sollte es weiter gehen nach Altpoggensiel. Eddelbüttels alter
Wallach sollte angespannt werden. Aber es stellte sich heraus, daß er auf
seiner Streu längelang ausgestreckt und durch keine Macht der Erde wieder auf
die Beine zu bringen war.

Er war nämlich tot.

„A—vnd," sagte Miß Alice zu Doktor Jerum, „was sollen wir nun machen?"

„Begraben," sagte Jerum. „Und auf seinen Grabstein schreiben wir:
,Er starb in seinen: Beruf'."

„Dat stimmt aber eegentlich nich," bemerkte der Kittscher. „Dat mutt
hecken: er starb an seinen Beruf."

„Sie sind ein guter Mensch," sagte Miß Alice (sie meinte nicht den
Kutscher, sondern Doktor Jerum), „Sie haben Mitgefühl für Tieren. — Aber wir
wollen ihn nicht selbst begraben, wir wollen weiter. Wo bekommen wir ein Pferd?"

„Wi könnt ja den Postweert selten Voß nehmen," meinte der Kutscher.

„Aber nicht kaufen," warnte Jerum.

Es wurden noch einige bewegte Worte wegen des schnellen und unerwarteten
Todes des Wallands gewechselt. Dann kam des Gastwirts Fuchsstute vor den
Wagen, und man brach auf.

Die Fuchsstute hatte drei Tage faul im Stall gestanden, und sie stach der
Hafer. Sie tanzte wie ein junges Mädchen den gepflasterten Damm entlang,
und Schmied Augustins Droschke sprang wie eine grimmige alte Großmutter
hinter ihr her.


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[0574] [Abbildung] g) Der Austauschprofessor Humoreske von Wilhelm Pocal- Der ungetreue Nikodemus war durch deu plötzlichen Überfall des Sach¬ kenners so überrascht worden, daß er sofort statt der unechten echte Sachen holte und dabei murmelte: es kämen so viele fremde Herrschaften, und so viel >alte< Kostüme, wie die haben wollten, könnte er beim besten Willen nicht beschaffen. Miß Alice war hocherfreut. Ja, die Postwirtin hatte recht. Doktor Jerinn war wirklich ein furchtbar kluger Mensch. Nun sollte es weiter gehen nach Altpoggensiel. Eddelbüttels alter Wallach sollte angespannt werden. Aber es stellte sich heraus, daß er auf seiner Streu längelang ausgestreckt und durch keine Macht der Erde wieder auf die Beine zu bringen war. Er war nämlich tot. „A—vnd," sagte Miß Alice zu Doktor Jerum, „was sollen wir nun machen?" „Begraben," sagte Jerum. „Und auf seinen Grabstein schreiben wir: ,Er starb in seinen: Beruf'." „Dat stimmt aber eegentlich nich," bemerkte der Kittscher. „Dat mutt hecken: er starb an seinen Beruf." „Sie sind ein guter Mensch," sagte Miß Alice (sie meinte nicht den Kutscher, sondern Doktor Jerum), „Sie haben Mitgefühl für Tieren. — Aber wir wollen ihn nicht selbst begraben, wir wollen weiter. Wo bekommen wir ein Pferd?" „Wi könnt ja den Postweert selten Voß nehmen," meinte der Kutscher. „Aber nicht kaufen," warnte Jerum. Es wurden noch einige bewegte Worte wegen des schnellen und unerwarteten Todes des Wallands gewechselt. Dann kam des Gastwirts Fuchsstute vor den Wagen, und man brach auf. Die Fuchsstute hatte drei Tage faul im Stall gestanden, und sie stach der Hafer. Sie tanzte wie ein junges Mädchen den gepflasterten Damm entlang, und Schmied Augustins Droschke sprang wie eine grimmige alte Großmutter hinter ihr her.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/574>, abgerufen am 29.06.2024.