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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Der Anstauschprofcssor

Der Austauschprofessor
L?uinorcske von Wilhelm j)?c et 1.

TM^) ^^UR?er wissenschaftliche Hilfslehrer, Herr Doktor Jerum, hatte am
Sonnabend nach Schulschluß aus der schönen Stadt Göttingen
einen ganz abscheulichen Tretbrief bekommen, worin ein ordinärer
Philister zwar etwas unorthographisch aber höchst energisch um
schleunigste Begleichung einer Schuldforderung ersuchte, widrigen¬
falls -- ja, "widrigenfalls ich Ihnen bei der hohen Oberschulbchörde anzeigen
werde". Die Summe fing mit neun an und war, als Zahl an sich betrachtet,
dreistellig.

Es muß berichtet werden, daß Doktor Jerum eine kleine Sammlung solcher
Schriftstücke besaß. Doch liebte er es nicht, sie zu betrachten und zeigte sie auch
andern nicht gern. Außer ihm hatte eigentlich nur noch der diensttuende
Schalterbeamte, Herr Oberpostsekretär Krause am Kaiserlichen Postamt, gewisse
positive Ahnungen, daß Herrn Doktor Jerums Verhältnisse nicht völlig rangiert
waren, und Herr Krause pflegte am Gehaltszahlungstage etwa folgendes zu seiner
Frau zu sagen: "Heute hat ,er' wieder zehn Mark an seinen Schuster, zwanzig
Mark an seinen Schneider, dreißig Mark an die Universitätsquästur und fünfzig
Mark an den Couleuronkcl geschickt. Schade, sonst so'n prächtiger Mensch."
-- ,Er' wurde Herr Doktor Jerum von Herrn Oberpostsekretär Krause und seiner
Frau in vertraulichem Gespräch deswegen genannt, weil Krauses eine heirats¬
fähige Tochter hatten, und weil Doktor Jerum auf dem Stiftungsfest des
Bürgervereins mit dieser Tochter einmal getanzt hatte. --

,Er' kam also ,in Frage'. "Aber", pflegte Herr Krause, der ein Mann
von literarischer Bildung war und unter anderm auch Hacklünders .Soldatenleben
im Frieden' gelesen hatte, "aber", pflegte er fortzufahren, "ich sage, was der
alte Oberst v. T. sagt: wenn man nur seine Fehler rctouchiert, det lieb' ick!"
Und Frau Oberpostsekretär Krause, die auch literarische Bildung hatte, sagte
dann wohl: "Krause," sagte sie, ",de rugsten Fasten ward de glattsten Per',
das steht in Fritz Reuter, und du hast als junger Mann auch Schulden gehabt
und später, als wir uns geheiratet haben und in drei Jahren ebenso viele Kinder
kriegten, noch welche dazu gemacht, und wenn wir Großtante Möller damals
nicht beerbt hätten, wer weiß, wie unser Schneider -- ,und Schneiderin' schaltete
Herr Krause schnell ein -- und unser Schuster und Gemüsemann und der andere
Hack und Mack uns dann auf den Hacken säßen." -- "Ist mir ganz egal,"
sagte dann Herr Krause bockbeinig, "einen verschuldeten Schwiegersohn will ich
nicht haben." -- "Mir ist das aber nicht egal," sagte Frau Krause, "ich geb'
unsere Maki nicht jedem, ich will einen gebildeten Schwiegersohn haben, und
einen mit Manieren, der flott und schneidig aussieht und Reserveoffizier ist -- das


Der Anstauschprofcssor

Der Austauschprofessor
L?uinorcske von Wilhelm j)?c et 1.

TM^) ^^UR?er wissenschaftliche Hilfslehrer, Herr Doktor Jerum, hatte am
Sonnabend nach Schulschluß aus der schönen Stadt Göttingen
einen ganz abscheulichen Tretbrief bekommen, worin ein ordinärer
Philister zwar etwas unorthographisch aber höchst energisch um
schleunigste Begleichung einer Schuldforderung ersuchte, widrigen¬
falls — ja, „widrigenfalls ich Ihnen bei der hohen Oberschulbchörde anzeigen
werde". Die Summe fing mit neun an und war, als Zahl an sich betrachtet,
dreistellig.

Es muß berichtet werden, daß Doktor Jerum eine kleine Sammlung solcher
Schriftstücke besaß. Doch liebte er es nicht, sie zu betrachten und zeigte sie auch
andern nicht gern. Außer ihm hatte eigentlich nur noch der diensttuende
Schalterbeamte, Herr Oberpostsekretär Krause am Kaiserlichen Postamt, gewisse
positive Ahnungen, daß Herrn Doktor Jerums Verhältnisse nicht völlig rangiert
waren, und Herr Krause pflegte am Gehaltszahlungstage etwa folgendes zu seiner
Frau zu sagen: „Heute hat ,er' wieder zehn Mark an seinen Schuster, zwanzig
Mark an seinen Schneider, dreißig Mark an die Universitätsquästur und fünfzig
Mark an den Couleuronkcl geschickt. Schade, sonst so'n prächtiger Mensch."
— ,Er' wurde Herr Doktor Jerum von Herrn Oberpostsekretär Krause und seiner
Frau in vertraulichem Gespräch deswegen genannt, weil Krauses eine heirats¬
fähige Tochter hatten, und weil Doktor Jerum auf dem Stiftungsfest des
Bürgervereins mit dieser Tochter einmal getanzt hatte. —

,Er' kam also ,in Frage'. „Aber", pflegte Herr Krause, der ein Mann
von literarischer Bildung war und unter anderm auch Hacklünders .Soldatenleben
im Frieden' gelesen hatte, „aber", pflegte er fortzufahren, „ich sage, was der
alte Oberst v. T. sagt: wenn man nur seine Fehler rctouchiert, det lieb' ick!"
Und Frau Oberpostsekretär Krause, die auch literarische Bildung hatte, sagte
dann wohl: „Krause," sagte sie, „,de rugsten Fasten ward de glattsten Per',
das steht in Fritz Reuter, und du hast als junger Mann auch Schulden gehabt
und später, als wir uns geheiratet haben und in drei Jahren ebenso viele Kinder
kriegten, noch welche dazu gemacht, und wenn wir Großtante Möller damals
nicht beerbt hätten, wer weiß, wie unser Schneider — ,und Schneiderin' schaltete
Herr Krause schnell ein — und unser Schuster und Gemüsemann und der andere
Hack und Mack uns dann auf den Hacken säßen." — „Ist mir ganz egal,"
sagte dann Herr Krause bockbeinig, „einen verschuldeten Schwiegersohn will ich
nicht haben." — „Mir ist das aber nicht egal," sagte Frau Krause, „ich geb'
unsere Maki nicht jedem, ich will einen gebildeten Schwiegersohn haben, und
einen mit Manieren, der flott und schneidig aussieht und Reserveoffizier ist — das


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[0479] Der Anstauschprofcssor Der Austauschprofessor L?uinorcske von Wilhelm j)?c et 1. TM^) ^^UR?er wissenschaftliche Hilfslehrer, Herr Doktor Jerum, hatte am Sonnabend nach Schulschluß aus der schönen Stadt Göttingen einen ganz abscheulichen Tretbrief bekommen, worin ein ordinärer Philister zwar etwas unorthographisch aber höchst energisch um schleunigste Begleichung einer Schuldforderung ersuchte, widrigen¬ falls — ja, „widrigenfalls ich Ihnen bei der hohen Oberschulbchörde anzeigen werde". Die Summe fing mit neun an und war, als Zahl an sich betrachtet, dreistellig. Es muß berichtet werden, daß Doktor Jerum eine kleine Sammlung solcher Schriftstücke besaß. Doch liebte er es nicht, sie zu betrachten und zeigte sie auch andern nicht gern. Außer ihm hatte eigentlich nur noch der diensttuende Schalterbeamte, Herr Oberpostsekretär Krause am Kaiserlichen Postamt, gewisse positive Ahnungen, daß Herrn Doktor Jerums Verhältnisse nicht völlig rangiert waren, und Herr Krause pflegte am Gehaltszahlungstage etwa folgendes zu seiner Frau zu sagen: „Heute hat ,er' wieder zehn Mark an seinen Schuster, zwanzig Mark an seinen Schneider, dreißig Mark an die Universitätsquästur und fünfzig Mark an den Couleuronkcl geschickt. Schade, sonst so'n prächtiger Mensch." — ,Er' wurde Herr Doktor Jerum von Herrn Oberpostsekretär Krause und seiner Frau in vertraulichem Gespräch deswegen genannt, weil Krauses eine heirats¬ fähige Tochter hatten, und weil Doktor Jerum auf dem Stiftungsfest des Bürgervereins mit dieser Tochter einmal getanzt hatte. — ,Er' kam also ,in Frage'. „Aber", pflegte Herr Krause, der ein Mann von literarischer Bildung war und unter anderm auch Hacklünders .Soldatenleben im Frieden' gelesen hatte, „aber", pflegte er fortzufahren, „ich sage, was der alte Oberst v. T. sagt: wenn man nur seine Fehler rctouchiert, det lieb' ick!" Und Frau Oberpostsekretär Krause, die auch literarische Bildung hatte, sagte dann wohl: „Krause," sagte sie, „,de rugsten Fasten ward de glattsten Per', das steht in Fritz Reuter, und du hast als junger Mann auch Schulden gehabt und später, als wir uns geheiratet haben und in drei Jahren ebenso viele Kinder kriegten, noch welche dazu gemacht, und wenn wir Großtante Möller damals nicht beerbt hätten, wer weiß, wie unser Schneider — ,und Schneiderin' schaltete Herr Krause schnell ein — und unser Schuster und Gemüsemann und der andere Hack und Mack uns dann auf den Hacken säßen." — „Ist mir ganz egal," sagte dann Herr Krause bockbeinig, „einen verschuldeten Schwiegersohn will ich nicht haben." — „Mir ist das aber nicht egal," sagte Frau Krause, „ich geb' unsere Maki nicht jedem, ich will einen gebildeten Schwiegersohn haben, und einen mit Manieren, der flott und schneidig aussieht und Reserveoffizier ist — das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/479>, abgerufen am 29.06.2024.