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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Volksstämmen der Erde auf und unter sich, beherrscht sie dennoch den schönsten
Platz der Welt,

Sicherlich hätten die sinnreichen Jngenieurgehirne der Europäer hier ein
Wunderwerk aus Eisen konstruieren können, aber so wie Keupru daliegt, schwer
und unförmig, ihr ewiges Klagelied singend, paßt sie in unser fernes Stambul.

Zwei weitere Skizzen folgen.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Reichsspicgel

Am 11. d. Mes. haben die Parlmnentsfericn begonnen. Sie bringen diesmal
weder der verantwortlichen Regierung noch der politischen Publizistik die ersehnte
Sommerruhe. Zwar ist man in: Reichstage ebenso wie im Landtage fleißig in
der Herstellung von Gesetzen gewesen, aber man hat es doch nicht fertig bekommen,
den Sorgen die Grundlage zu entziehn, die weite Kreise des Landes um den
Stand der Gesetzgebung ergriffen haben. In Preußen ist die Wahlrechts¬
vorlage noch immer nicht verabschiedet; ob ihre Verabschiedung noch in den letzten
Tagen des Mai gelingen wird, muß abgewartet werden; vielleicht offenbart Herr
von Bethmann Hollweg noch in letzter Stunde besonderes diplomatisches Glück.
Im Reich harren drei Vorlagen der Erledigung: die über die Wertzuwachssteuer,
die Versicherungsordnung und die Strafprozeßordnung; im Hintergrunde stehn die
Elsässer Frage, die Schiffahrtsabgaben und für Preußen noch die Reform der
Verwaltung sowie eine Steuerform. Zu dem allen gesellen sich noch Fragen der
auswärtigen Politik, die, wenn nicht eine neue Orientierung, so doch erhöhte
Anspannung der Aufmerksamkeit erfordern, nachdem mit König Eduard ein bekannter
Faktor der Weltpolitik ziemlich unerwartet durch einen noch unbekannten ersetzt
worden ist.

Sämtliche von uns genannten Fragen wollen wir in diesen: Augenblick einmal
nicht sachlich bewerten, sondern lediglich in Rücksicht auf die Stimmungen im Lande.
Ganz besonders interessant sind in diesem Zusammenhange die Elsässer Frage, die
Wertzuwachssteuer, die preußische Wahlrechtsfrage und -- die internationale
Lage. Um die Strafprozeßordnung kümmert sich die Laienwelt nur wenig, wie
sie überhaupt allen juristischen Fragen gern so lange aus dem Wege geht, als sie
sich ihr nicht in Form von praktischen Erfahrungen direkt in den Pelz setzen. Das
Eigentümliche an der Lage ist nun, daß die erwähnten gesetzgeberischen Unter¬
nehmungen nicht den sachlichen Ausgang für die Stimmung im Lande bilden,
sondern daß sie umgekehrt von vornherein einer gewissen Stimmung im Lande
zum Opfer gefallen sind. Das tritt erfahrungsgemäß eigentlich nur ein, wenn
ein Land sich in schwerer Krisis befindet. Nun können wir mit gutem Gewissen
feststellen, daß von einer solchen "Krisis" weder in Preußen noch im Reich die
Rede sein kann. Deshalb fragen wir: wie ist es möglich, daß angesichts so wichtiger


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Volksstämmen der Erde auf und unter sich, beherrscht sie dennoch den schönsten
Platz der Welt,

Sicherlich hätten die sinnreichen Jngenieurgehirne der Europäer hier ein
Wunderwerk aus Eisen konstruieren können, aber so wie Keupru daliegt, schwer
und unförmig, ihr ewiges Klagelied singend, paßt sie in unser fernes Stambul.

Zwei weitere Skizzen folgen.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Reichsspicgel

Am 11. d. Mes. haben die Parlmnentsfericn begonnen. Sie bringen diesmal
weder der verantwortlichen Regierung noch der politischen Publizistik die ersehnte
Sommerruhe. Zwar ist man in: Reichstage ebenso wie im Landtage fleißig in
der Herstellung von Gesetzen gewesen, aber man hat es doch nicht fertig bekommen,
den Sorgen die Grundlage zu entziehn, die weite Kreise des Landes um den
Stand der Gesetzgebung ergriffen haben. In Preußen ist die Wahlrechts¬
vorlage noch immer nicht verabschiedet; ob ihre Verabschiedung noch in den letzten
Tagen des Mai gelingen wird, muß abgewartet werden; vielleicht offenbart Herr
von Bethmann Hollweg noch in letzter Stunde besonderes diplomatisches Glück.
Im Reich harren drei Vorlagen der Erledigung: die über die Wertzuwachssteuer,
die Versicherungsordnung und die Strafprozeßordnung; im Hintergrunde stehn die
Elsässer Frage, die Schiffahrtsabgaben und für Preußen noch die Reform der
Verwaltung sowie eine Steuerform. Zu dem allen gesellen sich noch Fragen der
auswärtigen Politik, die, wenn nicht eine neue Orientierung, so doch erhöhte
Anspannung der Aufmerksamkeit erfordern, nachdem mit König Eduard ein bekannter
Faktor der Weltpolitik ziemlich unerwartet durch einen noch unbekannten ersetzt
worden ist.

Sämtliche von uns genannten Fragen wollen wir in diesen: Augenblick einmal
nicht sachlich bewerten, sondern lediglich in Rücksicht auf die Stimmungen im Lande.
Ganz besonders interessant sind in diesem Zusammenhange die Elsässer Frage, die
Wertzuwachssteuer, die preußische Wahlrechtsfrage und — die internationale
Lage. Um die Strafprozeßordnung kümmert sich die Laienwelt nur wenig, wie
sie überhaupt allen juristischen Fragen gern so lange aus dem Wege geht, als sie
sich ihr nicht in Form von praktischen Erfahrungen direkt in den Pelz setzen. Das
Eigentümliche an der Lage ist nun, daß die erwähnten gesetzgeberischen Unter¬
nehmungen nicht den sachlichen Ausgang für die Stimmung im Lande bilden,
sondern daß sie umgekehrt von vornherein einer gewissen Stimmung im Lande
zum Opfer gefallen sind. Das tritt erfahrungsgemäß eigentlich nur ein, wenn
ein Land sich in schwerer Krisis befindet. Nun können wir mit gutem Gewissen
feststellen, daß von einer solchen „Krisis" weder in Preußen noch im Reich die
Rede sein kann. Deshalb fragen wir: wie ist es möglich, daß angesichts so wichtiger


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/346>, abgerufen am 29.06.2024.