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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Zur Soziologie des Christentums
von Karl vieterich

cum man heute von der Heimat des Christentums redet, so denkt
man unwillkürlich an das Heilige Land, an Palästina, an Jeru¬
salem, an alle die Stätten, die uns von der Schule her so ver¬
traut sind. Dort leuchtete ja der Funke der gotterfüllten, menschen¬
erlösenden Persönlichkeit auf, die so tageshell und doch so
geheimnisvoll zu jener Flamme emporschlug, die eine Welt verschlang und eine
Welt erschuf. Aber diese Welt war nicht das kleine Judäa, dort fand der Funken
keine Nahrung, und vielleicht wäre er erstickt, wenn nicht ein christlicher
Prometheus die glimmende Glut gerettet und unter jenen großen Völkerschmelz-
tlegel gelegt hätte, der das östliche Mittelmeerbecken heißt. Dort, zwischen
Asien, Europa und Afrika, ist die eigentliche Geburtsstätte unsers histo¬
rischen Christentums zu suchen; dort schmolz es aus den Schlacken der Antike
das Gold des neuen Glaubens heraus, freilich nicht jenes flüssige Gold der
reinen Lehre Jesu, sondern jenes legierte Gold, das ohne diese Legierung gar
bald zerrieben worden wäre.

In diese Welt, in die Münzstätte gleichsam unsrer Religion, muß man sich
begeben, wenn man sich den Prägungsprozeß unsrer Religion veranschaulichen,
^um man erkennen will, mit welchen Elementen es durchsetzt ist, und wie diese
Elemente miteinander gemischt sind.

Man hat in den letzten Jahren diesem Schmelz- und Prägungsprozeß
eine erfreuliche Aufmerksamkeit geschenkt, und mehrere glückliche Mischungsprozesse
w der Welt der modernen Forschung halfen dabei mit; denn ohne die friedliche
^ereinigung der verschiednen Wissen ein gedeihliches Ergebnis
Ebenso unmöglich gewesen wie einst die Stiftung einer Weltreligion ohne die
Mischung aller Kulturelemente der damaligen Welt: wie das junge, weiche
Christentum seine feste Form fand in dem scharfen Klischee der griechisch-römischen
Kultur, so fand die wissenschaftliche Erforschung des Urchristentums eine getreue,
wenn auch nicht immer gern gesehene Helferin in der historisch - philologischen
Erforschung der hellenistisch-römischen Kultur- oder wie das geheimnisvolle
Samenkorn der christlichen Religion erst aufging in dem alten Fruchtboden dieser
Kultur, so konnte auch die theologische Forschung erst werden
w Verbindung mit der kulturgeschichtlichen Forschung im weitesten Sinne, und
War nicht in dem philosophischen der Religionsgeschichte, sondern in deme




Zur Soziologie des Christentums
von Karl vieterich

cum man heute von der Heimat des Christentums redet, so denkt
man unwillkürlich an das Heilige Land, an Palästina, an Jeru¬
salem, an alle die Stätten, die uns von der Schule her so ver¬
traut sind. Dort leuchtete ja der Funke der gotterfüllten, menschen¬
erlösenden Persönlichkeit auf, die so tageshell und doch so
geheimnisvoll zu jener Flamme emporschlug, die eine Welt verschlang und eine
Welt erschuf. Aber diese Welt war nicht das kleine Judäa, dort fand der Funken
keine Nahrung, und vielleicht wäre er erstickt, wenn nicht ein christlicher
Prometheus die glimmende Glut gerettet und unter jenen großen Völkerschmelz-
tlegel gelegt hätte, der das östliche Mittelmeerbecken heißt. Dort, zwischen
Asien, Europa und Afrika, ist die eigentliche Geburtsstätte unsers histo¬
rischen Christentums zu suchen; dort schmolz es aus den Schlacken der Antike
das Gold des neuen Glaubens heraus, freilich nicht jenes flüssige Gold der
reinen Lehre Jesu, sondern jenes legierte Gold, das ohne diese Legierung gar
bald zerrieben worden wäre.

In diese Welt, in die Münzstätte gleichsam unsrer Religion, muß man sich
begeben, wenn man sich den Prägungsprozeß unsrer Religion veranschaulichen,
^um man erkennen will, mit welchen Elementen es durchsetzt ist, und wie diese
Elemente miteinander gemischt sind.

Man hat in den letzten Jahren diesem Schmelz- und Prägungsprozeß
eine erfreuliche Aufmerksamkeit geschenkt, und mehrere glückliche Mischungsprozesse
w der Welt der modernen Forschung halfen dabei mit; denn ohne die friedliche
^ereinigung der verschiednen Wissen ein gedeihliches Ergebnis
Ebenso unmöglich gewesen wie einst die Stiftung einer Weltreligion ohne die
Mischung aller Kulturelemente der damaligen Welt: wie das junge, weiche
Christentum seine feste Form fand in dem scharfen Klischee der griechisch-römischen
Kultur, so fand die wissenschaftliche Erforschung des Urchristentums eine getreue,
wenn auch nicht immer gern gesehene Helferin in der historisch - philologischen
Erforschung der hellenistisch-römischen Kultur- oder wie das geheimnisvolle
Samenkorn der christlichen Religion erst aufging in dem alten Fruchtboden dieser
Kultur, so konnte auch die theologische Forschung erst werden
w Verbindung mit der kulturgeschichtlichen Forschung im weitesten Sinne, und
War nicht in dem philosophischen der Religionsgeschichte, sondern in deme


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[0497] [Abbildung] Zur Soziologie des Christentums von Karl vieterich cum man heute von der Heimat des Christentums redet, so denkt man unwillkürlich an das Heilige Land, an Palästina, an Jeru¬ salem, an alle die Stätten, die uns von der Schule her so ver¬ traut sind. Dort leuchtete ja der Funke der gotterfüllten, menschen¬ erlösenden Persönlichkeit auf, die so tageshell und doch so geheimnisvoll zu jener Flamme emporschlug, die eine Welt verschlang und eine Welt erschuf. Aber diese Welt war nicht das kleine Judäa, dort fand der Funken keine Nahrung, und vielleicht wäre er erstickt, wenn nicht ein christlicher Prometheus die glimmende Glut gerettet und unter jenen großen Völkerschmelz- tlegel gelegt hätte, der das östliche Mittelmeerbecken heißt. Dort, zwischen Asien, Europa und Afrika, ist die eigentliche Geburtsstätte unsers histo¬ rischen Christentums zu suchen; dort schmolz es aus den Schlacken der Antike das Gold des neuen Glaubens heraus, freilich nicht jenes flüssige Gold der reinen Lehre Jesu, sondern jenes legierte Gold, das ohne diese Legierung gar bald zerrieben worden wäre. In diese Welt, in die Münzstätte gleichsam unsrer Religion, muß man sich begeben, wenn man sich den Prägungsprozeß unsrer Religion veranschaulichen, ^um man erkennen will, mit welchen Elementen es durchsetzt ist, und wie diese Elemente miteinander gemischt sind. Man hat in den letzten Jahren diesem Schmelz- und Prägungsprozeß eine erfreuliche Aufmerksamkeit geschenkt, und mehrere glückliche Mischungsprozesse w der Welt der modernen Forschung halfen dabei mit; denn ohne die friedliche ^ereinigung der verschiednen Wissen ein gedeihliches Ergebnis Ebenso unmöglich gewesen wie einst die Stiftung einer Weltreligion ohne die Mischung aller Kulturelemente der damaligen Welt: wie das junge, weiche Christentum seine feste Form fand in dem scharfen Klischee der griechisch-römischen Kultur, so fand die wissenschaftliche Erforschung des Urchristentums eine getreue, wenn auch nicht immer gern gesehene Helferin in der historisch - philologischen Erforschung der hellenistisch-römischen Kultur- oder wie das geheimnisvolle Samenkorn der christlichen Religion erst aufging in dem alten Fruchtboden dieser Kultur, so konnte auch die theologische Forschung erst werden w Verbindung mit der kulturgeschichtlichen Forschung im weitesten Sinne, und War nicht in dem philosophischen der Religionsgeschichte, sondern in deme

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/497>, abgerufen am 04.07.2024.