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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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"Ich" -- oder "mein Vaterland^ ?

Disziplin ist "der drohende Gott, der kein Erbarmen kennt, der wiedererstandne
Judengott der Rache". Die "Furcht ist der Seelenzustand des Soldaten",
unterwürfige Rachegeftthle, denen dann die Rachegefühle hernach entsprechen,
mit denen das Publikum dem Militarismus gegenüberstehe.

Das zweite Kapitel von der "Entstehung des Waffcnhandwerks" spinnt
den Gedanken aus, wie in der Industrie durch die Fortschritte der Technik
und der Maschine alles entseelt werde und der frühere Ganzarbeiter und als
solcher künstlerische Handwerker herabsinke zum Stück- und Teilarbeiter, so
haben diese Fortschritte auch das Kriegshandwerk entseelt. Das ist das
Allerverkehrteste/ was man behaupten könnte. Warum werden denn unsre
Offiziere heute so vielfach nervös? Etwa über der Eintönigkeit ihrer Arbeit
öder über dem unerschöpflichen Vielerlei ihres Dienstes? Doch wohl durch
die Hast, mit der von einer Ausbildungsperiode in die andre gestürzt werden
muß. Ein Dutzend mal im Jahre heißt es dort: Meine Herren, wir treten
jetzt in die wichtigste Periode ein, Rekrutenausbildung, Turnen, Fechten,
Schießen, Kompagnieschule, Felddienst, Bataillons-, Regiments-, Brigade¬
exerzieren, Manöver, ökonomische Musterung und tausend andres, um nur die
Infanterie zu nennen. In der individuellen Ausbildung des Mannes suchen
wir -- mit Recht -- unsre Stärke, und nun kommt einer und spricht von
mechanischer Entstellung des Dienstes. Und der heißt sich "ein deutscher
Soldat" in einer Schrift, in der er beweist, daß er blind war für alles, was
er gesehen hatte, vom Herzen ganz zu schweigen. Denn wer nur "Furcht"
empfunden hat statt Liebe zur Sache, zum Dienst, zu einem -- wirklich nicht
auf Rosen gebetteten -- Vorgesetzten und in letzter Linie zum Vaterland, der
sollte wirklich sparsam umgehn mit diesem Ehrentitel.

Worauf das letzte, dritte Kapitel von der Tragik des Militarismus hinaus¬
läuft, das haben wir schon dargelegt. Was es sonst enthält, sind Wieder¬
holungen.

Was aber die ganze Schrift anlangt, so können wir sie nur als grund¬
verderblich bezeichnen. Der Geist, der sie durchweht, ist undeutsch durch und
durch. Eine müde Ergebung in Unabwendbares, eine innerliche Auflehnung
schrankenloser Selbstsucht gegen den Dienst fürs Ganze. Möge uns das
Schicksal davor behüten, daß ein solcher Geist in unser Heer eindringt, ge¬
tragen von denen, die als Höhergebildete die Stütze der Mannszucht, die
Vorbilder in der Hingebung an die Sache, ans Vaterland sein sollten. Denn
Hß. ein solches Heer wäre eine rostige Klinge.




„Ich" — oder „mein Vaterland^ ?

Disziplin ist „der drohende Gott, der kein Erbarmen kennt, der wiedererstandne
Judengott der Rache". Die „Furcht ist der Seelenzustand des Soldaten",
unterwürfige Rachegeftthle, denen dann die Rachegefühle hernach entsprechen,
mit denen das Publikum dem Militarismus gegenüberstehe.

Das zweite Kapitel von der „Entstehung des Waffcnhandwerks" spinnt
den Gedanken aus, wie in der Industrie durch die Fortschritte der Technik
und der Maschine alles entseelt werde und der frühere Ganzarbeiter und als
solcher künstlerische Handwerker herabsinke zum Stück- und Teilarbeiter, so
haben diese Fortschritte auch das Kriegshandwerk entseelt. Das ist das
Allerverkehrteste/ was man behaupten könnte. Warum werden denn unsre
Offiziere heute so vielfach nervös? Etwa über der Eintönigkeit ihrer Arbeit
öder über dem unerschöpflichen Vielerlei ihres Dienstes? Doch wohl durch
die Hast, mit der von einer Ausbildungsperiode in die andre gestürzt werden
muß. Ein Dutzend mal im Jahre heißt es dort: Meine Herren, wir treten
jetzt in die wichtigste Periode ein, Rekrutenausbildung, Turnen, Fechten,
Schießen, Kompagnieschule, Felddienst, Bataillons-, Regiments-, Brigade¬
exerzieren, Manöver, ökonomische Musterung und tausend andres, um nur die
Infanterie zu nennen. In der individuellen Ausbildung des Mannes suchen
wir — mit Recht — unsre Stärke, und nun kommt einer und spricht von
mechanischer Entstellung des Dienstes. Und der heißt sich „ein deutscher
Soldat" in einer Schrift, in der er beweist, daß er blind war für alles, was
er gesehen hatte, vom Herzen ganz zu schweigen. Denn wer nur „Furcht"
empfunden hat statt Liebe zur Sache, zum Dienst, zu einem — wirklich nicht
auf Rosen gebetteten — Vorgesetzten und in letzter Linie zum Vaterland, der
sollte wirklich sparsam umgehn mit diesem Ehrentitel.

Worauf das letzte, dritte Kapitel von der Tragik des Militarismus hinaus¬
läuft, das haben wir schon dargelegt. Was es sonst enthält, sind Wieder¬
holungen.

Was aber die ganze Schrift anlangt, so können wir sie nur als grund¬
verderblich bezeichnen. Der Geist, der sie durchweht, ist undeutsch durch und
durch. Eine müde Ergebung in Unabwendbares, eine innerliche Auflehnung
schrankenloser Selbstsucht gegen den Dienst fürs Ganze. Möge uns das
Schicksal davor behüten, daß ein solcher Geist in unser Heer eindringt, ge¬
tragen von denen, die als Höhergebildete die Stütze der Mannszucht, die
Vorbilder in der Hingebung an die Sache, ans Vaterland sein sollten. Denn
Hß. ein solches Heer wäre eine rostige Klinge.




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[0496] „Ich" — oder „mein Vaterland^ ? Disziplin ist „der drohende Gott, der kein Erbarmen kennt, der wiedererstandne Judengott der Rache". Die „Furcht ist der Seelenzustand des Soldaten", unterwürfige Rachegeftthle, denen dann die Rachegefühle hernach entsprechen, mit denen das Publikum dem Militarismus gegenüberstehe. Das zweite Kapitel von der „Entstehung des Waffcnhandwerks" spinnt den Gedanken aus, wie in der Industrie durch die Fortschritte der Technik und der Maschine alles entseelt werde und der frühere Ganzarbeiter und als solcher künstlerische Handwerker herabsinke zum Stück- und Teilarbeiter, so haben diese Fortschritte auch das Kriegshandwerk entseelt. Das ist das Allerverkehrteste/ was man behaupten könnte. Warum werden denn unsre Offiziere heute so vielfach nervös? Etwa über der Eintönigkeit ihrer Arbeit öder über dem unerschöpflichen Vielerlei ihres Dienstes? Doch wohl durch die Hast, mit der von einer Ausbildungsperiode in die andre gestürzt werden muß. Ein Dutzend mal im Jahre heißt es dort: Meine Herren, wir treten jetzt in die wichtigste Periode ein, Rekrutenausbildung, Turnen, Fechten, Schießen, Kompagnieschule, Felddienst, Bataillons-, Regiments-, Brigade¬ exerzieren, Manöver, ökonomische Musterung und tausend andres, um nur die Infanterie zu nennen. In der individuellen Ausbildung des Mannes suchen wir — mit Recht — unsre Stärke, und nun kommt einer und spricht von mechanischer Entstellung des Dienstes. Und der heißt sich „ein deutscher Soldat" in einer Schrift, in der er beweist, daß er blind war für alles, was er gesehen hatte, vom Herzen ganz zu schweigen. Denn wer nur „Furcht" empfunden hat statt Liebe zur Sache, zum Dienst, zu einem — wirklich nicht auf Rosen gebetteten — Vorgesetzten und in letzter Linie zum Vaterland, der sollte wirklich sparsam umgehn mit diesem Ehrentitel. Worauf das letzte, dritte Kapitel von der Tragik des Militarismus hinaus¬ läuft, das haben wir schon dargelegt. Was es sonst enthält, sind Wieder¬ holungen. Was aber die ganze Schrift anlangt, so können wir sie nur als grund¬ verderblich bezeichnen. Der Geist, der sie durchweht, ist undeutsch durch und durch. Eine müde Ergebung in Unabwendbares, eine innerliche Auflehnung schrankenloser Selbstsucht gegen den Dienst fürs Ganze. Möge uns das Schicksal davor behüten, daß ein solcher Geist in unser Heer eindringt, ge¬ tragen von denen, die als Höhergebildete die Stütze der Mannszucht, die Vorbilder in der Hingebung an die Sache, ans Vaterland sein sollten. Denn Hß. ein solches Heer wäre eine rostige Klinge.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/496>, abgerufen am 05.07.2024.