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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Auf der Außenpraxis eines Missionsarztes in China
von ol. h. vortisch-van viol°n, Basler Missionsarzt

in Vergleich zu der Außenprcixis eines Arztes daheim beansprucht
die eines Missionsarztes bedeutend mehr Zeit und Kraft; denn
nnter drei Tagen kommen wir kaum weg; sie ist dafür aber auch
um so interessanter. Ich will jetzt davon schweigen, wie ich vor
Jahren an der Westküste Afrikas zu Fuß und zu Rad. in Hange¬
matte und im Schiff auf steilen bergigen Pfaden, durch öde Steppen, durch das
Gewirr des geheimnisvollen Urwalds, auf breitem Strome oder durch dorf-
reiche, kakaobebaute Striche ziehen mußte, um Missionaren oder andern Europäern
auf entlegnen Stationen in Krankheitsfällen dienlich sein zu können; eines ist
sicher dabei, daß man nämlich dort, abgesehen von Schlangen und etwa Hyänen
und Leoparden, keiner Gefahr des Lebens begegnet ist, während hier im alten
Kulturland China Räuber einem das Leben schwerer machen können als wilde
Tiere. Aber ist schon allgemeines Raubgesindel, mit dem die Soldateska oft
>was gemeinsame Sache macht, eines Kulturstaats unwürdig, wie viel mehr
das Fehlen von Ärzten und Eisenbahnen! Beides sind leider notwendige Übel
für ein Land; aber bei den vielen Übeln, die China zurzeit noch aufweist: diese
zwei vermißt man im Innern vollständig, denn von einer medizinischen Wissen¬
schaft weiß man in China nichts - Wissenschaft im Sinne einer Hochschul¬
fakultät ^. und der Einrichtung von Eisenbahnen stand bisher das Unvermögen,
sie zu bauen, und die alles Leben beherrschende Lehre der Geomantie entgegen,
da ja gerade Schienenwege dem heiligen Drachen ein Greuel sind, dem Drachen,
dem zulieb so ziemlich alle Pfade - Straßen gibts nicht -- gewunden find,
und dem zur angeblichen Verfügung und zur Drainierung seiner Adern oft große
Brücken gebaut werdeu, während die Leute selbst für ihre Bedürfnisse gar
mmichmal keinen Steg über die Flüsse haben oder bestehende wieder abreißen,
weil der Geomcmt es so für gut hält!

So sind wir Missionsärzte denn übel dran, weil wir weit und breit die
einzig Wissenden und daher weit und breit gesucht sind. Oft. bei dem Flu߬
reichtum Chinas, kann man im Segel- oder Ruderboot ans verlangte Ziel ge¬
langen, öfters aber sind wir auf die Sänfte angewiesen oder benutzen das
Pferd. Die Reise in der Sänfte ist meist eine wacklige Sache; denn erstens
wird man oft so schlecht getragen, daß man wirklich seekrank wird, und zum




Auf der Außenpraxis eines Missionsarztes in China
von ol. h. vortisch-van viol°n, Basler Missionsarzt

in Vergleich zu der Außenprcixis eines Arztes daheim beansprucht
die eines Missionsarztes bedeutend mehr Zeit und Kraft; denn
nnter drei Tagen kommen wir kaum weg; sie ist dafür aber auch
um so interessanter. Ich will jetzt davon schweigen, wie ich vor
Jahren an der Westküste Afrikas zu Fuß und zu Rad. in Hange¬
matte und im Schiff auf steilen bergigen Pfaden, durch öde Steppen, durch das
Gewirr des geheimnisvollen Urwalds, auf breitem Strome oder durch dorf-
reiche, kakaobebaute Striche ziehen mußte, um Missionaren oder andern Europäern
auf entlegnen Stationen in Krankheitsfällen dienlich sein zu können; eines ist
sicher dabei, daß man nämlich dort, abgesehen von Schlangen und etwa Hyänen
und Leoparden, keiner Gefahr des Lebens begegnet ist, während hier im alten
Kulturland China Räuber einem das Leben schwerer machen können als wilde
Tiere. Aber ist schon allgemeines Raubgesindel, mit dem die Soldateska oft
>was gemeinsame Sache macht, eines Kulturstaats unwürdig, wie viel mehr
das Fehlen von Ärzten und Eisenbahnen! Beides sind leider notwendige Übel
für ein Land; aber bei den vielen Übeln, die China zurzeit noch aufweist: diese
zwei vermißt man im Innern vollständig, denn von einer medizinischen Wissen¬
schaft weiß man in China nichts - Wissenschaft im Sinne einer Hochschul¬
fakultät ^. und der Einrichtung von Eisenbahnen stand bisher das Unvermögen,
sie zu bauen, und die alles Leben beherrschende Lehre der Geomantie entgegen,
da ja gerade Schienenwege dem heiligen Drachen ein Greuel sind, dem Drachen,
dem zulieb so ziemlich alle Pfade - Straßen gibts nicht — gewunden find,
und dem zur angeblichen Verfügung und zur Drainierung seiner Adern oft große
Brücken gebaut werdeu, während die Leute selbst für ihre Bedürfnisse gar
mmichmal keinen Steg über die Flüsse haben oder bestehende wieder abreißen,
weil der Geomcmt es so für gut hält!

So sind wir Missionsärzte denn übel dran, weil wir weit und breit die
einzig Wissenden und daher weit und breit gesucht sind. Oft. bei dem Flu߬
reichtum Chinas, kann man im Segel- oder Ruderboot ans verlangte Ziel ge¬
langen, öfters aber sind wir auf die Sänfte angewiesen oder benutzen das
Pferd. Die Reise in der Sänfte ist meist eine wacklige Sache; denn erstens
wird man oft so schlecht getragen, daß man wirklich seekrank wird, und zum


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[0451] [Abbildung] Auf der Außenpraxis eines Missionsarztes in China von ol. h. vortisch-van viol°n, Basler Missionsarzt in Vergleich zu der Außenprcixis eines Arztes daheim beansprucht die eines Missionsarztes bedeutend mehr Zeit und Kraft; denn nnter drei Tagen kommen wir kaum weg; sie ist dafür aber auch um so interessanter. Ich will jetzt davon schweigen, wie ich vor Jahren an der Westküste Afrikas zu Fuß und zu Rad. in Hange¬ matte und im Schiff auf steilen bergigen Pfaden, durch öde Steppen, durch das Gewirr des geheimnisvollen Urwalds, auf breitem Strome oder durch dorf- reiche, kakaobebaute Striche ziehen mußte, um Missionaren oder andern Europäern auf entlegnen Stationen in Krankheitsfällen dienlich sein zu können; eines ist sicher dabei, daß man nämlich dort, abgesehen von Schlangen und etwa Hyänen und Leoparden, keiner Gefahr des Lebens begegnet ist, während hier im alten Kulturland China Räuber einem das Leben schwerer machen können als wilde Tiere. Aber ist schon allgemeines Raubgesindel, mit dem die Soldateska oft >was gemeinsame Sache macht, eines Kulturstaats unwürdig, wie viel mehr das Fehlen von Ärzten und Eisenbahnen! Beides sind leider notwendige Übel für ein Land; aber bei den vielen Übeln, die China zurzeit noch aufweist: diese zwei vermißt man im Innern vollständig, denn von einer medizinischen Wissen¬ schaft weiß man in China nichts - Wissenschaft im Sinne einer Hochschul¬ fakultät ^. und der Einrichtung von Eisenbahnen stand bisher das Unvermögen, sie zu bauen, und die alles Leben beherrschende Lehre der Geomantie entgegen, da ja gerade Schienenwege dem heiligen Drachen ein Greuel sind, dem Drachen, dem zulieb so ziemlich alle Pfade - Straßen gibts nicht — gewunden find, und dem zur angeblichen Verfügung und zur Drainierung seiner Adern oft große Brücken gebaut werdeu, während die Leute selbst für ihre Bedürfnisse gar mmichmal keinen Steg über die Flüsse haben oder bestehende wieder abreißen, weil der Geomcmt es so für gut hält! So sind wir Missionsärzte denn übel dran, weil wir weit und breit die einzig Wissenden und daher weit und breit gesucht sind. Oft. bei dem Flu߬ reichtum Chinas, kann man im Segel- oder Ruderboot ans verlangte Ziel ge¬ langen, öfters aber sind wir auf die Sänfte angewiesen oder benutzen das Pferd. Die Reise in der Sänfte ist meist eine wacklige Sache; denn erstens wird man oft so schlecht getragen, daß man wirklich seekrank wird, und zum

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/451>, abgerufen am 24.07.2024.