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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Auf der Außenpraxis eines Missionsarztes in Lhina

andern leurs passieren, daß die Träger, leider immer noch vielfach Opium¬
raucher, einen irgendwo abstellen und sagen: rso in ist, zu gut deutsch: wir
können nicht mehr!

So war ich froh, daß mir ein Pferd zur Verfügung stand, als ich kürzlich
zu einem zwei Tagereisen entfernten Patienten gerufen wurde; weniger ange¬
nehm war es, daß der Ruf gerade in eine Zeit fiel, wo Cholera in der Stadt
herrschte, vereinzelte Fülle von Pocken vorkamen und das Gespenst der Pest
da und dort auftauchte; so befahl ich Weib und Kind dem Schutze des Höchste"
und ritt des Morgens früh von meinem im Rohbau fast fertigen Spitale
hinunter ans Flußufer. Gelbe Fluten mit unzähligen Schaumkugeln trieben
talabwärts; das tiefe Bett, sonst halb mit sichtbaren Sandbänken erfüllt, zeigte
nur noch niedrige Böschungen, und fast schien es, als ob Heuer eine zweite
Hochflut entsteh" würde und wie im letzten Juni die verheerenden, verschlingenden
Wasser von neuem das weite Land überschwemmen und auch unsre Station
umringen und umrauschen wollten! Doch die Sonne stand ja am klaren
Himmel, und keine Wolken ließen vorderhand weitern Regen befürchten. Die
Fähre, ein großes Ruderboot, setzte uns nach einviertelstündiger angestrengter
Fahrt am jenseitigen Ufer ab; mein Trüger lud sich die an einer Tragstange
pendelnde Last meiner zwei Reisekörbe auf die Schulter, mein Knecht die Kiste
mit chirurgischen Instrumenten und mein Bettzeug, und ich bestieg mein Pferd:
es ging in den leider schon nicht mehr frischen, sondern heißen Morgen hinein
durch zunächst schatteulvses Hügelland dem Osten zu. Mein Rößlein schaute
sich bedächtig um und ging lieber im schmutzigen weichen Graben als auf dem
schlechtgepflasterten Pfade; das erste, wovor es stutzte, war ein auf einem Hügel
stehender Backsteinsarkophag, der jedenfalls im Innern einen Holzsarg verschloß;
komme ich nach wenigen Monaten oder Jahren hier wieder vorbei, so wird das
Grab nicht mehr dastehn, denn es ist nur ein temporäres Gebilde: bald wird der
Geomcmt den richtigen Ort und die günstige Zeit herausgefunden haben, um
die eigentliche Beerdigung vornehmen lassen zu können; dann graben die Kinder
den Leichnam ihres Vaters oder ihrer Mutter aus, putze" die Knochen sorg¬
fältig, stellen sie in einem sogenannten hölen anA, das heißt Goldtopf, einem
irdenen Kruge, irgendwo ins Freie, und am glückbringenden Tage, nachdem an
einem Abhang das runde, sesselförmige Grab errichtet worden ist, wird unter
Feuerwerk, Schalmeimusik, Beschwörung der Geister durch buddhistische Priester
das saubere Knochenwerk bestattet, um vielleicht nach kurzer Zeit von neuem
versetzt zu werden, wenn nämlich Unglück in die Familie kommt, und der
Geomant dabei herausfindet, daß das Grab der Eltern nicht am richtigen Ort
placiert worden sei!

Die größere der zwei Pagoden der Stadt schaute uns noch lange nach,
und da wir eher stiegen als abwärts zogen, so konnte ich, wenn ich zurück¬
blickte, noch lange die zinnenbewehrten Mauern und die hohen Tore der Stadt
sehen, wo ich meine Lieben zurückgelassen hatte.


Auf der Außenpraxis eines Missionsarztes in Lhina

andern leurs passieren, daß die Träger, leider immer noch vielfach Opium¬
raucher, einen irgendwo abstellen und sagen: rso in ist, zu gut deutsch: wir
können nicht mehr!

So war ich froh, daß mir ein Pferd zur Verfügung stand, als ich kürzlich
zu einem zwei Tagereisen entfernten Patienten gerufen wurde; weniger ange¬
nehm war es, daß der Ruf gerade in eine Zeit fiel, wo Cholera in der Stadt
herrschte, vereinzelte Fülle von Pocken vorkamen und das Gespenst der Pest
da und dort auftauchte; so befahl ich Weib und Kind dem Schutze des Höchste«
und ritt des Morgens früh von meinem im Rohbau fast fertigen Spitale
hinunter ans Flußufer. Gelbe Fluten mit unzähligen Schaumkugeln trieben
talabwärts; das tiefe Bett, sonst halb mit sichtbaren Sandbänken erfüllt, zeigte
nur noch niedrige Böschungen, und fast schien es, als ob Heuer eine zweite
Hochflut entsteh» würde und wie im letzten Juni die verheerenden, verschlingenden
Wasser von neuem das weite Land überschwemmen und auch unsre Station
umringen und umrauschen wollten! Doch die Sonne stand ja am klaren
Himmel, und keine Wolken ließen vorderhand weitern Regen befürchten. Die
Fähre, ein großes Ruderboot, setzte uns nach einviertelstündiger angestrengter
Fahrt am jenseitigen Ufer ab; mein Trüger lud sich die an einer Tragstange
pendelnde Last meiner zwei Reisekörbe auf die Schulter, mein Knecht die Kiste
mit chirurgischen Instrumenten und mein Bettzeug, und ich bestieg mein Pferd:
es ging in den leider schon nicht mehr frischen, sondern heißen Morgen hinein
durch zunächst schatteulvses Hügelland dem Osten zu. Mein Rößlein schaute
sich bedächtig um und ging lieber im schmutzigen weichen Graben als auf dem
schlechtgepflasterten Pfade; das erste, wovor es stutzte, war ein auf einem Hügel
stehender Backsteinsarkophag, der jedenfalls im Innern einen Holzsarg verschloß;
komme ich nach wenigen Monaten oder Jahren hier wieder vorbei, so wird das
Grab nicht mehr dastehn, denn es ist nur ein temporäres Gebilde: bald wird der
Geomcmt den richtigen Ort und die günstige Zeit herausgefunden haben, um
die eigentliche Beerdigung vornehmen lassen zu können; dann graben die Kinder
den Leichnam ihres Vaters oder ihrer Mutter aus, putze» die Knochen sorg¬
fältig, stellen sie in einem sogenannten hölen anA, das heißt Goldtopf, einem
irdenen Kruge, irgendwo ins Freie, und am glückbringenden Tage, nachdem an
einem Abhang das runde, sesselförmige Grab errichtet worden ist, wird unter
Feuerwerk, Schalmeimusik, Beschwörung der Geister durch buddhistische Priester
das saubere Knochenwerk bestattet, um vielleicht nach kurzer Zeit von neuem
versetzt zu werden, wenn nämlich Unglück in die Familie kommt, und der
Geomant dabei herausfindet, daß das Grab der Eltern nicht am richtigen Ort
placiert worden sei!

Die größere der zwei Pagoden der Stadt schaute uns noch lange nach,
und da wir eher stiegen als abwärts zogen, so konnte ich, wenn ich zurück¬
blickte, noch lange die zinnenbewehrten Mauern und die hohen Tore der Stadt
sehen, wo ich meine Lieben zurückgelassen hatte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/452>, abgerufen am 24.07.2024.