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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Aus dem Tagebuch eines römischen Priesters
von Ernst Smigelski-Ulmer

2. April 1906

"cum ich Pater Simon anvertraute, daß ich ein Tagebuch*) schreibe,
würde er sicher bedenklich seinen Kopf schütteln und wohlmeinend
sagen: Mein lieber, junger Freund, ziemt es einem Priester des
zwanzigsten Jahrhunderts, Gewohnheiten eines Backfisches anzu¬
nehmen? Wir haben an wichtigere Dinge zu denken, als unsre eignen
Gefühle zu analysieren. --

Pater Florian glaubte, bei meinem heutigen Spiel weltliche Musik gehört
zu haben. --

Vielleicht hatte er recht. -- Ich weiß es nicht. -- Oft ist es schwer, die
Gefühle zu bezähmen, wenn die Phantasie davoneilt. -- Man predigt, die Musik
sei gefährlich, erwecke sinnliche Gefühle.

Wäre es auch so I Solange ein einziger Ton in der alten Orgel klingt -- so
lange will ich spielen. --

12. Juni lSOS

Mein junger Landsmann, Frater Antonius, wurde gestern abend in aller
Heimlichkeit aus dem Kloster entlassen. Ich hatte die Absicht, ihn zu besuchen, um
einige Grüße an unsre gemeinsamen Bekannten aus der Heimat zu übermitteln.
Da erfuhr ich, er sei nicht mehr im Kloster.

Ich ging sofort zu Pater Anastasius. dem Novizenmeister, und bat ihn. mir
die Ursache dieses plötzlichen Verschwindens zu sagen. Erst verweigerte er jegliche
Erklärung, aber auf mein dringendes Verlangen hin bekam ich das Geschehene
zu wissen.

Frater Antonins war unbrauchbar -- deshalb mußte er fallen -- aber in
größter Verschwiegenheit. Die Sache durfte von Unberufnen nicht diskutiert werden.

Eine alte Sitte, die sich schon zu meiner Noviziatszeit öfters genug wiederholte.

Nicht alle, die ins Kloster treten, sind gleichzeitig berufen. Aber die Art und
Weise, wie solch eine Entlassung zugeht, regte mich damals und noch heute auf.

Bisweilen geschieht es, daß der Betreffende wenige Tage vorher wegen der
Untauglichkeit zum heiligen Beruf einen leisen Wink bekommt. Den letzten Beschluß
"ber erfährt er erst in ein paar Stunden vor der Abreise. Er packt seinen Koffer,
und ohne von den Mitbrüdern Abschied nehmen zu dürfen, verläßt er das Kloster.

Meistenteils ist Krankheit die Ursache der Entlassung.

Solch einer ist doppelt bedauernswert.



*) Wir geben hier einige Abschnitte wieder aus dem in diesen Tagen im Verlag von
M. Wilh, Grunow erscheinenden Buche: Aus dem Tagebuch eines römischen Priesters. Kloster-
vild der Gegenwart von Ernst Smigelski-Ulmer. Geheftet 3 Mark, gebunden 4 Mark. Diese
Aufzeichnungen werden in vielfacher Hinsicht das Interesse nicht nur katholischer, sondern auch
evangelischer Kreise erwecken,
Grenzboten IV 1909 S4


Aus dem Tagebuch eines römischen Priesters
von Ernst Smigelski-Ulmer

2. April 1906

«cum ich Pater Simon anvertraute, daß ich ein Tagebuch*) schreibe,
würde er sicher bedenklich seinen Kopf schütteln und wohlmeinend
sagen: Mein lieber, junger Freund, ziemt es einem Priester des
zwanzigsten Jahrhunderts, Gewohnheiten eines Backfisches anzu¬
nehmen? Wir haben an wichtigere Dinge zu denken, als unsre eignen
Gefühle zu analysieren. —

Pater Florian glaubte, bei meinem heutigen Spiel weltliche Musik gehört
zu haben. —

Vielleicht hatte er recht. — Ich weiß es nicht. — Oft ist es schwer, die
Gefühle zu bezähmen, wenn die Phantasie davoneilt. — Man predigt, die Musik
sei gefährlich, erwecke sinnliche Gefühle.

Wäre es auch so I Solange ein einziger Ton in der alten Orgel klingt — so
lange will ich spielen. —

12. Juni lSOS

Mein junger Landsmann, Frater Antonius, wurde gestern abend in aller
Heimlichkeit aus dem Kloster entlassen. Ich hatte die Absicht, ihn zu besuchen, um
einige Grüße an unsre gemeinsamen Bekannten aus der Heimat zu übermitteln.
Da erfuhr ich, er sei nicht mehr im Kloster.

Ich ging sofort zu Pater Anastasius. dem Novizenmeister, und bat ihn. mir
die Ursache dieses plötzlichen Verschwindens zu sagen. Erst verweigerte er jegliche
Erklärung, aber auf mein dringendes Verlangen hin bekam ich das Geschehene
zu wissen.

Frater Antonins war unbrauchbar — deshalb mußte er fallen — aber in
größter Verschwiegenheit. Die Sache durfte von Unberufnen nicht diskutiert werden.

Eine alte Sitte, die sich schon zu meiner Noviziatszeit öfters genug wiederholte.

Nicht alle, die ins Kloster treten, sind gleichzeitig berufen. Aber die Art und
Weise, wie solch eine Entlassung zugeht, regte mich damals und noch heute auf.

Bisweilen geschieht es, daß der Betreffende wenige Tage vorher wegen der
Untauglichkeit zum heiligen Beruf einen leisen Wink bekommt. Den letzten Beschluß
"ber erfährt er erst in ein paar Stunden vor der Abreise. Er packt seinen Koffer,
und ohne von den Mitbrüdern Abschied nehmen zu dürfen, verläßt er das Kloster.

Meistenteils ist Krankheit die Ursache der Entlassung.

Solch einer ist doppelt bedauernswert.



*) Wir geben hier einige Abschnitte wieder aus dem in diesen Tagen im Verlag von
M. Wilh, Grunow erscheinenden Buche: Aus dem Tagebuch eines römischen Priesters. Kloster-
vild der Gegenwart von Ernst Smigelski-Ulmer. Geheftet 3 Mark, gebunden 4 Mark. Diese
Aufzeichnungen werden in vielfacher Hinsicht das Interesse nicht nur katholischer, sondern auch
evangelischer Kreise erwecken,
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[0429] [Abbildung] Aus dem Tagebuch eines römischen Priesters von Ernst Smigelski-Ulmer 2. April 1906 «cum ich Pater Simon anvertraute, daß ich ein Tagebuch*) schreibe, würde er sicher bedenklich seinen Kopf schütteln und wohlmeinend sagen: Mein lieber, junger Freund, ziemt es einem Priester des zwanzigsten Jahrhunderts, Gewohnheiten eines Backfisches anzu¬ nehmen? Wir haben an wichtigere Dinge zu denken, als unsre eignen Gefühle zu analysieren. — Pater Florian glaubte, bei meinem heutigen Spiel weltliche Musik gehört zu haben. — Vielleicht hatte er recht. — Ich weiß es nicht. — Oft ist es schwer, die Gefühle zu bezähmen, wenn die Phantasie davoneilt. — Man predigt, die Musik sei gefährlich, erwecke sinnliche Gefühle. Wäre es auch so I Solange ein einziger Ton in der alten Orgel klingt — so lange will ich spielen. — 12. Juni lSOS Mein junger Landsmann, Frater Antonius, wurde gestern abend in aller Heimlichkeit aus dem Kloster entlassen. Ich hatte die Absicht, ihn zu besuchen, um einige Grüße an unsre gemeinsamen Bekannten aus der Heimat zu übermitteln. Da erfuhr ich, er sei nicht mehr im Kloster. Ich ging sofort zu Pater Anastasius. dem Novizenmeister, und bat ihn. mir die Ursache dieses plötzlichen Verschwindens zu sagen. Erst verweigerte er jegliche Erklärung, aber auf mein dringendes Verlangen hin bekam ich das Geschehene zu wissen. Frater Antonins war unbrauchbar — deshalb mußte er fallen — aber in größter Verschwiegenheit. Die Sache durfte von Unberufnen nicht diskutiert werden. Eine alte Sitte, die sich schon zu meiner Noviziatszeit öfters genug wiederholte. Nicht alle, die ins Kloster treten, sind gleichzeitig berufen. Aber die Art und Weise, wie solch eine Entlassung zugeht, regte mich damals und noch heute auf. Bisweilen geschieht es, daß der Betreffende wenige Tage vorher wegen der Untauglichkeit zum heiligen Beruf einen leisen Wink bekommt. Den letzten Beschluß "ber erfährt er erst in ein paar Stunden vor der Abreise. Er packt seinen Koffer, und ohne von den Mitbrüdern Abschied nehmen zu dürfen, verläßt er das Kloster. Meistenteils ist Krankheit die Ursache der Entlassung. Solch einer ist doppelt bedauernswert. *) Wir geben hier einige Abschnitte wieder aus dem in diesen Tagen im Verlag von M. Wilh, Grunow erscheinenden Buche: Aus dem Tagebuch eines römischen Priesters. Kloster- vild der Gegenwart von Ernst Smigelski-Ulmer. Geheftet 3 Mark, gebunden 4 Mark. Diese Aufzeichnungen werden in vielfacher Hinsicht das Interesse nicht nur katholischer, sondern auch evangelischer Kreise erwecken, Grenzboten IV 1909 S4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/429>, abgerufen am 24.07.2024.