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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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In Acht und Aberacht

Sonderbar mutet es uns an: diese Inseln, sie liegen in Europa nahe viel
befahrnen Meerespfaden, aber sie liegen wie aus der Welt; ihre antiken Namen
sind unbekannt. Ihre Bewohner sehen in der Ferne die großen schwarzen Flecken
der Dampfer und den Rauch oder die Lichter vorüberziehn und weiße Punkte, die
Segelboote, vorübergleiten, aber ihnen naht ganz selten ein Kiel auf dem Meere,
das sie ewig umrauscht.




)n Acht und Aberacht
Hermann Löns Ein Sorfbild aus der Lüneburger Heide von

leich am Eingange des Dorfes hinter der Brücke zur linken Hand
liegt, von vier schönen alten Linden halb verdeckt, ein großes
rotes, strohgedecktes Haus, der Neue Krug genannt.

Es ist schon fast eine Mandel Jahre her, daß dort Schank¬
wirtschaft betrieben wurde, aber das Haus heißt heutigestags noch
der Neue Krug. Es ist jetzt Eigentum des Tischlers Mackentum.

Als der vorvorige Besitzer der Wirtschaft, der Krüger Tormann, und seine
Mutter, Frau, Sohn und zwei Töchter hintereinander am Typhus wegstarben
und weitläufige Verwandte das ganze Wesen erbten, kaufte ein Mann aus der
Dcmnenberger Gegend namens Peter Leute das Haus und den Garten mit
etwas Land.

Es war ein freundlicher Mann, und so wie er war auch seine hübsche,
dicke Frau. Das Ehepaar führte das Geschäft in der alten Weise weiter, hielt
sich vorsichtig zurück, bis zwischen ihm und den Bauern von selber ein freund¬
schaftliches Verhältnis herauskam, und in fünf Jahren war es, als wenn Lemkes
zu den alten Stamme gehört hätten.

Die Bauern waren mit ihrem neuen Krüger zufrieden, zumal es im
Blauen Schimmel von Tag zu Tag ungemütlicher wurde. Ein vernünftiges
Glas Bier gab es bei Schimmelberg nicht, immer nur Flaschenbier nach der
alten Weise, der Schnaps war meist warm, und die Zigarren scheußlich. Ludjen
Schimmelberg ließ es seine Gäste zu sehr merken, daß er die Schankwirtschaft
nur betrieb, weil er sie erheiratet hatte, und daß ihm an seiner Ackerwirtschaft
allein etwas lag, und seine Frauensleute hatten mit dem Vieh mehr als genug
zu tun, sodaß sie sich um die Gäste auch nicht viel kümmerten.

Der neue Krüger kam langsam, aber sicher vorwärts. Er paßte scharf
auf, und sah er, daß sich etwas für seine Wirtschaft oder sein Geschäft lohnte,
so nahm er es an. Vorsichtig gewann er den Lehrer für die Gründung eines
Gesangvereins; das gab einen Abend im Monat eine volle Gaststube mehr.
Er steckte sich hinter den Schmied, der für alles zu haben war, was ihn vom
Blasebalge abzog, und der brachte einen Kriegerverein zusammen. Das brachte
wieder einen Abend im Monat eine volle Gaststube. Er stellte ein Musik¬
instrument auf, damit sich das junge Volk Sonntags die neuesten Walzer vom
spielen lassen konnte, und schließlich baute er sogar einen Saal.

Da er nach Wendenart in allem langsam und bedächtig vorging, stieß
er niemand vor den Kopf. Um zehn Uhr war in der Woche für die Ein¬
heimischen Feierabend; darauf hielt er strenge; die Jäger und andre Fremde


In Acht und Aberacht

Sonderbar mutet es uns an: diese Inseln, sie liegen in Europa nahe viel
befahrnen Meerespfaden, aber sie liegen wie aus der Welt; ihre antiken Namen
sind unbekannt. Ihre Bewohner sehen in der Ferne die großen schwarzen Flecken
der Dampfer und den Rauch oder die Lichter vorüberziehn und weiße Punkte, die
Segelboote, vorübergleiten, aber ihnen naht ganz selten ein Kiel auf dem Meere,
das sie ewig umrauscht.




)n Acht und Aberacht
Hermann Löns Ein Sorfbild aus der Lüneburger Heide von

leich am Eingange des Dorfes hinter der Brücke zur linken Hand
liegt, von vier schönen alten Linden halb verdeckt, ein großes
rotes, strohgedecktes Haus, der Neue Krug genannt.

Es ist schon fast eine Mandel Jahre her, daß dort Schank¬
wirtschaft betrieben wurde, aber das Haus heißt heutigestags noch
der Neue Krug. Es ist jetzt Eigentum des Tischlers Mackentum.

Als der vorvorige Besitzer der Wirtschaft, der Krüger Tormann, und seine
Mutter, Frau, Sohn und zwei Töchter hintereinander am Typhus wegstarben
und weitläufige Verwandte das ganze Wesen erbten, kaufte ein Mann aus der
Dcmnenberger Gegend namens Peter Leute das Haus und den Garten mit
etwas Land.

Es war ein freundlicher Mann, und so wie er war auch seine hübsche,
dicke Frau. Das Ehepaar führte das Geschäft in der alten Weise weiter, hielt
sich vorsichtig zurück, bis zwischen ihm und den Bauern von selber ein freund¬
schaftliches Verhältnis herauskam, und in fünf Jahren war es, als wenn Lemkes
zu den alten Stamme gehört hätten.

Die Bauern waren mit ihrem neuen Krüger zufrieden, zumal es im
Blauen Schimmel von Tag zu Tag ungemütlicher wurde. Ein vernünftiges
Glas Bier gab es bei Schimmelberg nicht, immer nur Flaschenbier nach der
alten Weise, der Schnaps war meist warm, und die Zigarren scheußlich. Ludjen
Schimmelberg ließ es seine Gäste zu sehr merken, daß er die Schankwirtschaft
nur betrieb, weil er sie erheiratet hatte, und daß ihm an seiner Ackerwirtschaft
allein etwas lag, und seine Frauensleute hatten mit dem Vieh mehr als genug
zu tun, sodaß sie sich um die Gäste auch nicht viel kümmerten.

Der neue Krüger kam langsam, aber sicher vorwärts. Er paßte scharf
auf, und sah er, daß sich etwas für seine Wirtschaft oder sein Geschäft lohnte,
so nahm er es an. Vorsichtig gewann er den Lehrer für die Gründung eines
Gesangvereins; das gab einen Abend im Monat eine volle Gaststube mehr.
Er steckte sich hinter den Schmied, der für alles zu haben war, was ihn vom
Blasebalge abzog, und der brachte einen Kriegerverein zusammen. Das brachte
wieder einen Abend im Monat eine volle Gaststube. Er stellte ein Musik¬
instrument auf, damit sich das junge Volk Sonntags die neuesten Walzer vom
spielen lassen konnte, und schließlich baute er sogar einen Saal.

Da er nach Wendenart in allem langsam und bedächtig vorging, stieß
er niemand vor den Kopf. Um zehn Uhr war in der Woche für die Ein¬
heimischen Feierabend; darauf hielt er strenge; die Jäger und andre Fremde


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[0283] In Acht und Aberacht Sonderbar mutet es uns an: diese Inseln, sie liegen in Europa nahe viel befahrnen Meerespfaden, aber sie liegen wie aus der Welt; ihre antiken Namen sind unbekannt. Ihre Bewohner sehen in der Ferne die großen schwarzen Flecken der Dampfer und den Rauch oder die Lichter vorüberziehn und weiße Punkte, die Segelboote, vorübergleiten, aber ihnen naht ganz selten ein Kiel auf dem Meere, das sie ewig umrauscht. )n Acht und Aberacht Hermann Löns Ein Sorfbild aus der Lüneburger Heide von leich am Eingange des Dorfes hinter der Brücke zur linken Hand liegt, von vier schönen alten Linden halb verdeckt, ein großes rotes, strohgedecktes Haus, der Neue Krug genannt. Es ist schon fast eine Mandel Jahre her, daß dort Schank¬ wirtschaft betrieben wurde, aber das Haus heißt heutigestags noch der Neue Krug. Es ist jetzt Eigentum des Tischlers Mackentum. Als der vorvorige Besitzer der Wirtschaft, der Krüger Tormann, und seine Mutter, Frau, Sohn und zwei Töchter hintereinander am Typhus wegstarben und weitläufige Verwandte das ganze Wesen erbten, kaufte ein Mann aus der Dcmnenberger Gegend namens Peter Leute das Haus und den Garten mit etwas Land. Es war ein freundlicher Mann, und so wie er war auch seine hübsche, dicke Frau. Das Ehepaar führte das Geschäft in der alten Weise weiter, hielt sich vorsichtig zurück, bis zwischen ihm und den Bauern von selber ein freund¬ schaftliches Verhältnis herauskam, und in fünf Jahren war es, als wenn Lemkes zu den alten Stamme gehört hätten. Die Bauern waren mit ihrem neuen Krüger zufrieden, zumal es im Blauen Schimmel von Tag zu Tag ungemütlicher wurde. Ein vernünftiges Glas Bier gab es bei Schimmelberg nicht, immer nur Flaschenbier nach der alten Weise, der Schnaps war meist warm, und die Zigarren scheußlich. Ludjen Schimmelberg ließ es seine Gäste zu sehr merken, daß er die Schankwirtschaft nur betrieb, weil er sie erheiratet hatte, und daß ihm an seiner Ackerwirtschaft allein etwas lag, und seine Frauensleute hatten mit dem Vieh mehr als genug zu tun, sodaß sie sich um die Gäste auch nicht viel kümmerten. Der neue Krüger kam langsam, aber sicher vorwärts. Er paßte scharf auf, und sah er, daß sich etwas für seine Wirtschaft oder sein Geschäft lohnte, so nahm er es an. Vorsichtig gewann er den Lehrer für die Gründung eines Gesangvereins; das gab einen Abend im Monat eine volle Gaststube mehr. Er steckte sich hinter den Schmied, der für alles zu haben war, was ihn vom Blasebalge abzog, und der brachte einen Kriegerverein zusammen. Das brachte wieder einen Abend im Monat eine volle Gaststube. Er stellte ein Musik¬ instrument auf, damit sich das junge Volk Sonntags die neuesten Walzer vom spielen lassen konnte, und schließlich baute er sogar einen Saal. Da er nach Wendenart in allem langsam und bedächtig vorging, stieß er niemand vor den Kopf. Um zehn Uhr war in der Woche für die Ein¬ heimischen Feierabend; darauf hielt er strenge; die Jäger und andre Fremde

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/283>, abgerufen am 24.07.2024.