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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Meleager von Gadara

sondern Handwerke geblieben sind. Von einem Interessengegensatz zwischen
"Unternehmern" und "Arbeitern" keine Spur! Jene waren eben Meister, die
keinen Unternehmergewinn zogen, sondern nur, gleich den "Knechten" und "Lehr¬
knechten", auf gerechten Arbeitslohn Anspruch hatten, und die Knechte waren
Gesellen, die Meister werden wollten und es auch gewöhnlich wurden. Bei
Streitigkeiten mit den Meistern handelte es sich sehr häufig um den blauen
Montag, den die Gesellen unter ihren heiligsten Gütern am höchsten geschützt
zu haben scheinen. In dem Tuchmacheraufstande von 1333 erklärten die Ge¬
sellen, sie seien bereit, mit Gut und Blut für ihre Meister einzutreten, und deren
Hauptleute versicherten, sie hätten neunhundert mit Panzer und Pickelhauben
gerüstete Männer zur Verfügung. Sie zogen trotzdem den kürzern. Drei ihrer
Anführer wurden geköpft, vier verbannt. Im Jahre 1418 brach eine plan¬
mäßig vorbereitete Empörung der Zünfte aus, die ihnen auf längere Zeit eine
Anzahl Ratsherrnstellen und die Kontrolle über die Finanzen sicherte, die aber
sehr blutig verlief. Das aufgebrachte Volk drang ins Rathaus ein, stürzte den
verhaßten Konsul des vorhergehenden Jahres, Johann Megerlin, der sich auf
den Turm verkrochen hatte, in die Spieße des draußen stehenden Haufens, und
dann wurden ohne Urteil und Recht an der Staupsüule vier Ratsherren mit
dem Schwerte Karls des Vierten enthauptet. König Wenzel rügte zwar die
begangnen Gewalttaten, begnadigte aber die Aufrührer und gebot beiden Parteien
Frieden. Zwei Jahre darauf sind unter Sigismund dreiundzwanzig der Aufrührer
enthauptet worden; der in Vreslau anwesende Kaiser wohnte der Exekution als
Zuschauer bei.




Meleager von Gadara
Line Spütrose aus dem griechischen Dichtergarten

Liebe sei vor allen Dingen
Unser Thema, wenn wir singen;
Kann sie gar das Lied durchdringen,
Wirth um desto besser klingen.

(Goethe, Weh-iMchcr Deo-M)

l
I eider besteht bei dem humanistisch gebildeten Publikum der Ein¬
druck, als verlösche die griechische Poesie mit dem Eintritt der
römischen Zeit. Homer, die Tragiker, ein paar Lyriker sind
bekannt, dann aber hört die Bekanntschaft mit der hellenischen
Poesie auf, gleich als habe man später überhaupt nicht mehr
griechisch gedichtet. , .

Es ist ja begreiflich, denn die klassische Zeit nimmt mit ihren Meister¬
werken die Schüler ganz in Anspruch, auch sind die poetischen Erzeugnisse aus
der alexandrinischen Zeit außer Theokrit und Kallimcichus dürftig, außerdem


Meleager von Gadara

sondern Handwerke geblieben sind. Von einem Interessengegensatz zwischen
„Unternehmern" und „Arbeitern" keine Spur! Jene waren eben Meister, die
keinen Unternehmergewinn zogen, sondern nur, gleich den „Knechten" und „Lehr¬
knechten", auf gerechten Arbeitslohn Anspruch hatten, und die Knechte waren
Gesellen, die Meister werden wollten und es auch gewöhnlich wurden. Bei
Streitigkeiten mit den Meistern handelte es sich sehr häufig um den blauen
Montag, den die Gesellen unter ihren heiligsten Gütern am höchsten geschützt
zu haben scheinen. In dem Tuchmacheraufstande von 1333 erklärten die Ge¬
sellen, sie seien bereit, mit Gut und Blut für ihre Meister einzutreten, und deren
Hauptleute versicherten, sie hätten neunhundert mit Panzer und Pickelhauben
gerüstete Männer zur Verfügung. Sie zogen trotzdem den kürzern. Drei ihrer
Anführer wurden geköpft, vier verbannt. Im Jahre 1418 brach eine plan¬
mäßig vorbereitete Empörung der Zünfte aus, die ihnen auf längere Zeit eine
Anzahl Ratsherrnstellen und die Kontrolle über die Finanzen sicherte, die aber
sehr blutig verlief. Das aufgebrachte Volk drang ins Rathaus ein, stürzte den
verhaßten Konsul des vorhergehenden Jahres, Johann Megerlin, der sich auf
den Turm verkrochen hatte, in die Spieße des draußen stehenden Haufens, und
dann wurden ohne Urteil und Recht an der Staupsüule vier Ratsherren mit
dem Schwerte Karls des Vierten enthauptet. König Wenzel rügte zwar die
begangnen Gewalttaten, begnadigte aber die Aufrührer und gebot beiden Parteien
Frieden. Zwei Jahre darauf sind unter Sigismund dreiundzwanzig der Aufrührer
enthauptet worden; der in Vreslau anwesende Kaiser wohnte der Exekution als
Zuschauer bei.




Meleager von Gadara
Line Spütrose aus dem griechischen Dichtergarten

Liebe sei vor allen Dingen
Unser Thema, wenn wir singen;
Kann sie gar das Lied durchdringen,
Wirth um desto besser klingen.

(Goethe, Weh-iMchcr Deo-M)

l
I eider besteht bei dem humanistisch gebildeten Publikum der Ein¬
druck, als verlösche die griechische Poesie mit dem Eintritt der
römischen Zeit. Homer, die Tragiker, ein paar Lyriker sind
bekannt, dann aber hört die Bekanntschaft mit der hellenischen
Poesie auf, gleich als habe man später überhaupt nicht mehr
griechisch gedichtet. , .

Es ist ja begreiflich, denn die klassische Zeit nimmt mit ihren Meister¬
werken die Schüler ganz in Anspruch, auch sind die poetischen Erzeugnisse aus
der alexandrinischen Zeit außer Theokrit und Kallimcichus dürftig, außerdem


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[0184] Meleager von Gadara sondern Handwerke geblieben sind. Von einem Interessengegensatz zwischen „Unternehmern" und „Arbeitern" keine Spur! Jene waren eben Meister, die keinen Unternehmergewinn zogen, sondern nur, gleich den „Knechten" und „Lehr¬ knechten", auf gerechten Arbeitslohn Anspruch hatten, und die Knechte waren Gesellen, die Meister werden wollten und es auch gewöhnlich wurden. Bei Streitigkeiten mit den Meistern handelte es sich sehr häufig um den blauen Montag, den die Gesellen unter ihren heiligsten Gütern am höchsten geschützt zu haben scheinen. In dem Tuchmacheraufstande von 1333 erklärten die Ge¬ sellen, sie seien bereit, mit Gut und Blut für ihre Meister einzutreten, und deren Hauptleute versicherten, sie hätten neunhundert mit Panzer und Pickelhauben gerüstete Männer zur Verfügung. Sie zogen trotzdem den kürzern. Drei ihrer Anführer wurden geköpft, vier verbannt. Im Jahre 1418 brach eine plan¬ mäßig vorbereitete Empörung der Zünfte aus, die ihnen auf längere Zeit eine Anzahl Ratsherrnstellen und die Kontrolle über die Finanzen sicherte, die aber sehr blutig verlief. Das aufgebrachte Volk drang ins Rathaus ein, stürzte den verhaßten Konsul des vorhergehenden Jahres, Johann Megerlin, der sich auf den Turm verkrochen hatte, in die Spieße des draußen stehenden Haufens, und dann wurden ohne Urteil und Recht an der Staupsüule vier Ratsherren mit dem Schwerte Karls des Vierten enthauptet. König Wenzel rügte zwar die begangnen Gewalttaten, begnadigte aber die Aufrührer und gebot beiden Parteien Frieden. Zwei Jahre darauf sind unter Sigismund dreiundzwanzig der Aufrührer enthauptet worden; der in Vreslau anwesende Kaiser wohnte der Exekution als Zuschauer bei. Meleager von Gadara Line Spütrose aus dem griechischen Dichtergarten Liebe sei vor allen Dingen Unser Thema, wenn wir singen; Kann sie gar das Lied durchdringen, Wirth um desto besser klingen. (Goethe, Weh-iMchcr Deo-M) l I eider besteht bei dem humanistisch gebildeten Publikum der Ein¬ druck, als verlösche die griechische Poesie mit dem Eintritt der römischen Zeit. Homer, die Tragiker, ein paar Lyriker sind bekannt, dann aber hört die Bekanntschaft mit der hellenischen Poesie auf, gleich als habe man später überhaupt nicht mehr griechisch gedichtet. , . Es ist ja begreiflich, denn die klassische Zeit nimmt mit ihren Meister¬ werken die Schüler ganz in Anspruch, auch sind die poetischen Erzeugnisse aus der alexandrinischen Zeit außer Theokrit und Kallimcichus dürftig, außerdem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/184>, abgerufen am 24.07.2024.