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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Historische Lrinnermigsliteratur

den kaiserlichen Willen deuten, und das wird in asiatischen Ländern überall
als das schlimmste aller Verbrechen angesehn.

Es gilt also vor allen Dingen, hier den Hebel der Reform anzusetzen.
Was auf diesem Gebiete nottut, ist erstens eine ausreichende Besoldung der
Staatsbeamten, unter Abschaffung aller der ihnen früher erlaubten Neben-
einnahmen, und zweitens die Aufstellung eines Budgets. Im vorigen Jahre
ist dem chinesischen Volke durch einen kaiserlichen Erlaß das feierliche Versprechen
gegeben worden, nach Ablauf von zehn, also von jetzt an gerechnet nach neun
Jahren solle es eine parlamentarische Vertretung erhalten. Eine solche ist
jedoch natürlich ohne die genaue Regelung der staatlichen Einnahmen und Aus¬
gaben, die es bisher nicht gab, ein Unding. Und so hat man sich in Peking
denn endlich dazu entschlossen, an die schwere Aufgabe der Neuregelung des
Finanzwesens hinanzugehn. Ohne die von unten kommende, auf die Einführung
eines Parlaments abzielende Bewegung im Volke würde man hierbei vielleicht
noch länger den Kopf in den Sand gesteckt haben. Aber jetzt sind besondre
kaiserliche Bevollmächtigte in alle Provinzen gegangen, die dort sämtliche Ein¬
nahmen und Ausgaben der Behörden zu hundelt haben. Im nächsten Jahre
sollen dann zunächst Budgets für die einzelnen Provinzen aufgestellt werden,
dem später eins für das ganze Reich folgen wird.

Nach den letzten Nachrichten will der Prinzregent schon in der nächsten
Zeit alle Mandarinen ausreichend besolden, und andrerseits beabsichtigt er, strenge
Strafen auf jede unrechtmäßige Bereicherung zu setzen, die sich die Beamten in
Zukunft noch zuschulde" kommen lassen.

Auf den weitern Verlauf dieser Dinge darf man gespannt sein. Sicherlich
ist es keine kleine Aufgabe, den gewiß zu erwartenden zähen passiven Wider¬
stand vieler Mandarinen, die altgewohnte Vorrechte oder das, was sie dafür
halten, nur sehr ungern werden aufgeben wollen, zu überwinden. Wohl selten
hat es ein ebenso interessantes geschichtliches Schauspiel gegeben, wie es das
sei" wird, das 300 bis 400 Millionen zählende Volk der Chinesen während der
nächsten, für seine Geschicke im höchsten Grade wichtigen Zeit zu beobachten.




Historische Grinnerungsliteratur

le hundertjährige Erümerung an die schweren Jahre seit 1806/07
hat eine bedeutende historische Literatur über diese schicksalsvolle
Zeit hervorgerufen, die geeignet ist, unsre Kenntnis dieser Er¬
eignisse zu bereichern, zu vertiefen und zu berichtigen. An der
! Spitze steht eine zweite, "neubearbeitete" Auflage des 1883
erschienenen und seinerzeit vielbesprochnen Werkes des Freiherrn Colmar von
der Goltz, Von Roßbach bis Jena und Auerstedt (Berlin, E. S. Mittler
und Sohn, 1906, XIV und 549 Seiten, mit zehn Karten in Steindruck). DasM


Historische Lrinnermigsliteratur

den kaiserlichen Willen deuten, und das wird in asiatischen Ländern überall
als das schlimmste aller Verbrechen angesehn.

Es gilt also vor allen Dingen, hier den Hebel der Reform anzusetzen.
Was auf diesem Gebiete nottut, ist erstens eine ausreichende Besoldung der
Staatsbeamten, unter Abschaffung aller der ihnen früher erlaubten Neben-
einnahmen, und zweitens die Aufstellung eines Budgets. Im vorigen Jahre
ist dem chinesischen Volke durch einen kaiserlichen Erlaß das feierliche Versprechen
gegeben worden, nach Ablauf von zehn, also von jetzt an gerechnet nach neun
Jahren solle es eine parlamentarische Vertretung erhalten. Eine solche ist
jedoch natürlich ohne die genaue Regelung der staatlichen Einnahmen und Aus¬
gaben, die es bisher nicht gab, ein Unding. Und so hat man sich in Peking
denn endlich dazu entschlossen, an die schwere Aufgabe der Neuregelung des
Finanzwesens hinanzugehn. Ohne die von unten kommende, auf die Einführung
eines Parlaments abzielende Bewegung im Volke würde man hierbei vielleicht
noch länger den Kopf in den Sand gesteckt haben. Aber jetzt sind besondre
kaiserliche Bevollmächtigte in alle Provinzen gegangen, die dort sämtliche Ein¬
nahmen und Ausgaben der Behörden zu hundelt haben. Im nächsten Jahre
sollen dann zunächst Budgets für die einzelnen Provinzen aufgestellt werden,
dem später eins für das ganze Reich folgen wird.

Nach den letzten Nachrichten will der Prinzregent schon in der nächsten
Zeit alle Mandarinen ausreichend besolden, und andrerseits beabsichtigt er, strenge
Strafen auf jede unrechtmäßige Bereicherung zu setzen, die sich die Beamten in
Zukunft noch zuschulde« kommen lassen.

Auf den weitern Verlauf dieser Dinge darf man gespannt sein. Sicherlich
ist es keine kleine Aufgabe, den gewiß zu erwartenden zähen passiven Wider¬
stand vieler Mandarinen, die altgewohnte Vorrechte oder das, was sie dafür
halten, nur sehr ungern werden aufgeben wollen, zu überwinden. Wohl selten
hat es ein ebenso interessantes geschichtliches Schauspiel gegeben, wie es das
sei» wird, das 300 bis 400 Millionen zählende Volk der Chinesen während der
nächsten, für seine Geschicke im höchsten Grade wichtigen Zeit zu beobachten.




Historische Grinnerungsliteratur

le hundertjährige Erümerung an die schweren Jahre seit 1806/07
hat eine bedeutende historische Literatur über diese schicksalsvolle
Zeit hervorgerufen, die geeignet ist, unsre Kenntnis dieser Er¬
eignisse zu bereichern, zu vertiefen und zu berichtigen. An der
! Spitze steht eine zweite, „neubearbeitete" Auflage des 1883
erschienenen und seinerzeit vielbesprochnen Werkes des Freiherrn Colmar von
der Goltz, Von Roßbach bis Jena und Auerstedt (Berlin, E. S. Mittler
und Sohn, 1906, XIV und 549 Seiten, mit zehn Karten in Steindruck). DasM


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/18>, abgerufen am 04.07.2024.