Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Maßgebliches und Unmaßgebliches Reichsspiegel (Der Kcmzlerwechsel. Von den Parteien. Das Besoldungsgesetz.) Der 14. Juli wird auf lange Zeiten ein denkwürdiger Tag für das Deutsche Maßgebliches und Unmaßgebliches Maßgebliches und Unmaßgebliches Reichsspiegel (Der Kcmzlerwechsel. Von den Parteien. Das Besoldungsgesetz.) Der 14. Juli wird auf lange Zeiten ein denkwürdiger Tag für das Deutsche <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0200" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/313903"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> </div> <div n="1"> <head> Maßgebliches und Unmaßgebliches</head><lb/> <div n="2"> <head> Reichsspiegel</head><lb/> <note type="argument"> (Der Kcmzlerwechsel. Von den Parteien. Das Besoldungsgesetz.)</note><lb/> <p xml:id="ID_907" next="#ID_908"> Der 14. Juli wird auf lange Zeiten ein denkwürdiger Tag für das Deutsche<lb/> Reich bleiben, denn er brachte das eigentlich von keiner Seite wirklich gewünschte<lb/> Ausscheiden des Fürsten Bülow aus seinem Amte, des erfolgreichsten Reichskanzlers<lb/> seit Bismnrck, dem er auch an Amtsdauer am nächsten kommt. Zugleich haben<lb/> sich außer den notwendigen Ersetzungen einige Verschiebungen in den leitenden<lb/> Stellen des Reichs und Preußens vollzogen, auf die man nicht gerade gefaßt war.<lb/> Trotzdem sind diese Änderungen mit aller Ruhe hingenommen worden, was bei<lb/> unsrer kritiksüchtigen Presse immerhin bemerkenswert ist, aber in dem Umstände<lb/> ausreichende Begründung findet, daß nach einem Überblick über die Namen jeder¬<lb/> mann zu der Überzeugung kommen muß: der Kurs bleibt der alte. Damit war<lb/> eigentlich niemand unzufrieden gewesen, und der allgemeine Wunsch ging dahin,<lb/> daß auch der verantwortliche Steuermann der alte hätte bleiben sollen. Da er<lb/> aber selbst nicht mehr wollte und auch der Kaiser seine Gründe billigte, hat es<lb/> nicht sein sollen. Wir müssen Uns also mit einem andern Steuermann zurecht¬<lb/> finden. Der neue Reichskanzler hat bei seinem Amtsantritte eine gute Presse vor¬<lb/> gefunden, selbst im Auslande. Daß Pariser und Londoner Blätter sich nicht ent¬<lb/> halten können, dem Fürsten Bülow einige Vorwürfe nachzurufen, hat in Deutschland<lb/> nur die Ansicht bestärkt, daß wir an ihm viel verloren haben, und Herr v. Beth¬<lb/> mann wird nicht verfehlen, daraus den Schluß zu ziehen, daß für die auswärtige<lb/> Politik die strengste Nachfolge Bülows seine vornehmste vaterländische Aufgabe ist.<lb/> Daß der bisherige Stellvertreter — so darf man wohl immerhin sagen — des<lb/> Fürsten Bülow zum Reichskanzler und preußischen Ministerpräsidenten ernannt<lb/> worden ist, läßt deutlich die Mitwirkung des Fürsten Bülow erkennen; es wird<lb/> auch nicht bezweifelt, daß auf seinen Rat der Kaiser die Ernennung vollzogen hat.<lb/> Nur die Berufung eines andern hätte Erstaunen hervorgerufen, obwohl ein Diplomat,<lb/> auch ein höherer Armee- oder Marineoffizier mit diplomatischer Erfahrung sehr<lb/> wohl hätten in Frage kommen können. Trotzdem war das Geheimnis der Er¬<lb/> nennung wie auch der übrigen Personalveränderungen bis zur letzten Stunde voll¬<lb/> ständig gewahrt worden, die sonst immer „unterrichtetsten" Blätter teilten höchstens<lb/> Vermutungen mit, und die Kontrolle der Möbelwagen vor dem Reichskanzlerpalais<lb/> hatte sogar zu einem Fehlschluß geführt. Erst am Vorabend konnte ein haupt¬<lb/> städtisches Organ durch seine vorzüglichen Verbindungen feststellen, daß ein Besuch<lb/> der Gattin des bisherigen Vizekanzlers im Reichskanzlerpalais wegen besondrer<lb/> Umstände als zukünftige Besitzergreifung gedeutet werden müsse. Die Beziehung<lb/> zur Bediententreppe hat sich im vorliegenden Falle als zuverlässig erwiesen. Diese<lb/> Nebensächlichkeit sei hier bloß erwähnt, um weitere Kreise abermals darauf hin¬<lb/> zuweisen, wie wenig von den zahlreichen angeblichen Nachrichten aus der Umgebung<lb/> des Kaisers zu halten ist. Von dort und über die Beziehungen des Monarchen<lb/> zu seinen Ratgebern erfahren die Blätter nie mehr, als was veröffentlicht werden<lb/> soll. Über alles weitere liegt undurchdringliches Geheimnis. Zur Erhärtung sei<lb/> noch daran erinnert, daß vor sechs Jahren die Notwendigkett der bekannten<lb/> Stimmritzoperation beim Kaiser unmittelbar nach den großen Manövern in<lb/> Sachsen erkannt worden war, und daß doch acht Wochen lang keine Zeitung eine<lb/> Silbe darüber erfahren hatte, obwohl eine große Zahl von vertrauten Personen<lb/> davon gewußt haben muß. Von diesen ist nie etwas zu erfahren, und die Nach-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0200]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Reichsspiegel
(Der Kcmzlerwechsel. Von den Parteien. Das Besoldungsgesetz.)
Der 14. Juli wird auf lange Zeiten ein denkwürdiger Tag für das Deutsche
Reich bleiben, denn er brachte das eigentlich von keiner Seite wirklich gewünschte
Ausscheiden des Fürsten Bülow aus seinem Amte, des erfolgreichsten Reichskanzlers
seit Bismnrck, dem er auch an Amtsdauer am nächsten kommt. Zugleich haben
sich außer den notwendigen Ersetzungen einige Verschiebungen in den leitenden
Stellen des Reichs und Preußens vollzogen, auf die man nicht gerade gefaßt war.
Trotzdem sind diese Änderungen mit aller Ruhe hingenommen worden, was bei
unsrer kritiksüchtigen Presse immerhin bemerkenswert ist, aber in dem Umstände
ausreichende Begründung findet, daß nach einem Überblick über die Namen jeder¬
mann zu der Überzeugung kommen muß: der Kurs bleibt der alte. Damit war
eigentlich niemand unzufrieden gewesen, und der allgemeine Wunsch ging dahin,
daß auch der verantwortliche Steuermann der alte hätte bleiben sollen. Da er
aber selbst nicht mehr wollte und auch der Kaiser seine Gründe billigte, hat es
nicht sein sollen. Wir müssen Uns also mit einem andern Steuermann zurecht¬
finden. Der neue Reichskanzler hat bei seinem Amtsantritte eine gute Presse vor¬
gefunden, selbst im Auslande. Daß Pariser und Londoner Blätter sich nicht ent¬
halten können, dem Fürsten Bülow einige Vorwürfe nachzurufen, hat in Deutschland
nur die Ansicht bestärkt, daß wir an ihm viel verloren haben, und Herr v. Beth¬
mann wird nicht verfehlen, daraus den Schluß zu ziehen, daß für die auswärtige
Politik die strengste Nachfolge Bülows seine vornehmste vaterländische Aufgabe ist.
Daß der bisherige Stellvertreter — so darf man wohl immerhin sagen — des
Fürsten Bülow zum Reichskanzler und preußischen Ministerpräsidenten ernannt
worden ist, läßt deutlich die Mitwirkung des Fürsten Bülow erkennen; es wird
auch nicht bezweifelt, daß auf seinen Rat der Kaiser die Ernennung vollzogen hat.
Nur die Berufung eines andern hätte Erstaunen hervorgerufen, obwohl ein Diplomat,
auch ein höherer Armee- oder Marineoffizier mit diplomatischer Erfahrung sehr
wohl hätten in Frage kommen können. Trotzdem war das Geheimnis der Er¬
nennung wie auch der übrigen Personalveränderungen bis zur letzten Stunde voll¬
ständig gewahrt worden, die sonst immer „unterrichtetsten" Blätter teilten höchstens
Vermutungen mit, und die Kontrolle der Möbelwagen vor dem Reichskanzlerpalais
hatte sogar zu einem Fehlschluß geführt. Erst am Vorabend konnte ein haupt¬
städtisches Organ durch seine vorzüglichen Verbindungen feststellen, daß ein Besuch
der Gattin des bisherigen Vizekanzlers im Reichskanzlerpalais wegen besondrer
Umstände als zukünftige Besitzergreifung gedeutet werden müsse. Die Beziehung
zur Bediententreppe hat sich im vorliegenden Falle als zuverlässig erwiesen. Diese
Nebensächlichkeit sei hier bloß erwähnt, um weitere Kreise abermals darauf hin¬
zuweisen, wie wenig von den zahlreichen angeblichen Nachrichten aus der Umgebung
des Kaisers zu halten ist. Von dort und über die Beziehungen des Monarchen
zu seinen Ratgebern erfahren die Blätter nie mehr, als was veröffentlicht werden
soll. Über alles weitere liegt undurchdringliches Geheimnis. Zur Erhärtung sei
noch daran erinnert, daß vor sechs Jahren die Notwendigkett der bekannten
Stimmritzoperation beim Kaiser unmittelbar nach den großen Manövern in
Sachsen erkannt worden war, und daß doch acht Wochen lang keine Zeitung eine
Silbe darüber erfahren hatte, obwohl eine große Zahl von vertrauten Personen
davon gewußt haben muß. Von diesen ist nie etwas zu erfahren, und die Nach-
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