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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Rrimmalxolitische Irrtümer

Wirth beurteilt die Dinge entschieden zu pessimistisch und übertrüge diese
Stimmung leider mich auf die Erörterung unsrer Weltpolitik, indem er gelegent¬
lich auf unsre angebliche Erfolglosigkeit und Isolierung zu sprechen kommt.
Dieser Anlaß bietet Gelegenheit, einmal die Frage zu erörtern,, was es
eigentlich mit der sogenannten Einkreisung unsers Vaterlandes für eine
Bewandtnis hat. Die Weltgeschichte lehrt, das; Koalitionen immer nur gegen
einen Staat geschlossen worden sind, der für stärker und mächtiger galt als
alle andern Staaten. Die sxlenäicl isol^ton Englands vor zwanzig Jahren
bezeichnete den Höhepunkt seiner Macht. Das Deutsche Reich befindet sich nun
heute auf dem aufsteigenden Ast, während England den Kulminationspunkts
wie es selbst zugibt, schon überschritten hat. Das deutsche Volk sollte sich also
daran gewöhnen, in der Einkreisung seines Vaterlandes nicht ein Zeichen der
Schwäche, sondern einen Beweis seiner Stärke zu sehn, daneben aber auch die
v. F. notwendigen Konsequenzen aus dieser Konstellation zu ziehen.




Kriminalpolitische Irrtümer

Win wandernder Schneider, der im Anfang des vorigen Jahrhunderts
durch die deutschen Lande zog. predigte der Menschheit den Satz:
"Frei wollen wir werden wie die Vögel des Himmels, sorgenlos
in heitern Zügen und süßer Harmonie durchs Leben ziehen wie
sie." Der Schneider war Weitling, der Kommunist, und sein
Werk hieß: "Garantien der Harmonie und der Freiheit". Spruch und Bnch-
iuhalt künden den Menschen eine Friedensordnung, die kein Verbrechen kennt,
weil es unter ihrer Herrschaft keine Versuchung gibt. Aber den Kommunismus,
von dem die politische Philosophie des wandernden Schneiderleins schwärmte,
besteht heute schon, wie er damals bestand. Es ist der Kommunismus am
blauen Himmel, am grünen Blütterdach, an der murmelnden Quelle, an dem
kürglichen Viatikum der Landstraße, daran auch Spatzen und Goldammern teil¬
haben. Wer seine Ansprüche nicht höher stellt, wird nicht mehr kriminell als
die Spatzen, wenn sie sich die fettesten Brocken abjagen und sich das Feder¬
kleid zerraufen. Er braucht höchstens noch die paar Heilmittel, die Weitling
gegen den natürlichen Rest menschlicher Schwächen und Krankheiten verschreibt,
um vollkommne Seligkeit zu erreichen. Über diese romantischen Phantastereien
ist die von heftigem und schrankenbrechendem Wollen und Wünschen geplagte
Menschheit lächelnd hinweggestiegen. Die Moderne hat die Menschen nur
gieriger gemacht, die Werte des Lebens, die sie dafür hält, an sich zu ziehn,
koste es, was es wolle, koste es auch das Verbrechen. Wir wissen das nur
zu genan, wir wissen es sogar genauer als früher, mindestens zahlenmäßiger.


Rrimmalxolitische Irrtümer

Wirth beurteilt die Dinge entschieden zu pessimistisch und übertrüge diese
Stimmung leider mich auf die Erörterung unsrer Weltpolitik, indem er gelegent¬
lich auf unsre angebliche Erfolglosigkeit und Isolierung zu sprechen kommt.
Dieser Anlaß bietet Gelegenheit, einmal die Frage zu erörtern,, was es
eigentlich mit der sogenannten Einkreisung unsers Vaterlandes für eine
Bewandtnis hat. Die Weltgeschichte lehrt, das; Koalitionen immer nur gegen
einen Staat geschlossen worden sind, der für stärker und mächtiger galt als
alle andern Staaten. Die sxlenäicl isol^ton Englands vor zwanzig Jahren
bezeichnete den Höhepunkt seiner Macht. Das Deutsche Reich befindet sich nun
heute auf dem aufsteigenden Ast, während England den Kulminationspunkts
wie es selbst zugibt, schon überschritten hat. Das deutsche Volk sollte sich also
daran gewöhnen, in der Einkreisung seines Vaterlandes nicht ein Zeichen der
Schwäche, sondern einen Beweis seiner Stärke zu sehn, daneben aber auch die
v. F. notwendigen Konsequenzen aus dieser Konstellation zu ziehen.




Kriminalpolitische Irrtümer

Win wandernder Schneider, der im Anfang des vorigen Jahrhunderts
durch die deutschen Lande zog. predigte der Menschheit den Satz:
„Frei wollen wir werden wie die Vögel des Himmels, sorgenlos
in heitern Zügen und süßer Harmonie durchs Leben ziehen wie
sie." Der Schneider war Weitling, der Kommunist, und sein
Werk hieß: „Garantien der Harmonie und der Freiheit". Spruch und Bnch-
iuhalt künden den Menschen eine Friedensordnung, die kein Verbrechen kennt,
weil es unter ihrer Herrschaft keine Versuchung gibt. Aber den Kommunismus,
von dem die politische Philosophie des wandernden Schneiderleins schwärmte,
besteht heute schon, wie er damals bestand. Es ist der Kommunismus am
blauen Himmel, am grünen Blütterdach, an der murmelnden Quelle, an dem
kürglichen Viatikum der Landstraße, daran auch Spatzen und Goldammern teil¬
haben. Wer seine Ansprüche nicht höher stellt, wird nicht mehr kriminell als
die Spatzen, wenn sie sich die fettesten Brocken abjagen und sich das Feder¬
kleid zerraufen. Er braucht höchstens noch die paar Heilmittel, die Weitling
gegen den natürlichen Rest menschlicher Schwächen und Krankheiten verschreibt,
um vollkommne Seligkeit zu erreichen. Über diese romantischen Phantastereien
ist die von heftigem und schrankenbrechendem Wollen und Wünschen geplagte
Menschheit lächelnd hinweggestiegen. Die Moderne hat die Menschen nur
gieriger gemacht, die Werte des Lebens, die sie dafür hält, an sich zu ziehn,
koste es, was es wolle, koste es auch das Verbrechen. Wir wissen das nur
zu genan, wir wissen es sogar genauer als früher, mindestens zahlenmäßiger.


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[0080] Rrimmalxolitische Irrtümer Wirth beurteilt die Dinge entschieden zu pessimistisch und übertrüge diese Stimmung leider mich auf die Erörterung unsrer Weltpolitik, indem er gelegent¬ lich auf unsre angebliche Erfolglosigkeit und Isolierung zu sprechen kommt. Dieser Anlaß bietet Gelegenheit, einmal die Frage zu erörtern,, was es eigentlich mit der sogenannten Einkreisung unsers Vaterlandes für eine Bewandtnis hat. Die Weltgeschichte lehrt, das; Koalitionen immer nur gegen einen Staat geschlossen worden sind, der für stärker und mächtiger galt als alle andern Staaten. Die sxlenäicl isol^ton Englands vor zwanzig Jahren bezeichnete den Höhepunkt seiner Macht. Das Deutsche Reich befindet sich nun heute auf dem aufsteigenden Ast, während England den Kulminationspunkts wie es selbst zugibt, schon überschritten hat. Das deutsche Volk sollte sich also daran gewöhnen, in der Einkreisung seines Vaterlandes nicht ein Zeichen der Schwäche, sondern einen Beweis seiner Stärke zu sehn, daneben aber auch die v. F. notwendigen Konsequenzen aus dieser Konstellation zu ziehen. Kriminalpolitische Irrtümer Win wandernder Schneider, der im Anfang des vorigen Jahrhunderts durch die deutschen Lande zog. predigte der Menschheit den Satz: „Frei wollen wir werden wie die Vögel des Himmels, sorgenlos in heitern Zügen und süßer Harmonie durchs Leben ziehen wie sie." Der Schneider war Weitling, der Kommunist, und sein Werk hieß: „Garantien der Harmonie und der Freiheit". Spruch und Bnch- iuhalt künden den Menschen eine Friedensordnung, die kein Verbrechen kennt, weil es unter ihrer Herrschaft keine Versuchung gibt. Aber den Kommunismus, von dem die politische Philosophie des wandernden Schneiderleins schwärmte, besteht heute schon, wie er damals bestand. Es ist der Kommunismus am blauen Himmel, am grünen Blütterdach, an der murmelnden Quelle, an dem kürglichen Viatikum der Landstraße, daran auch Spatzen und Goldammern teil¬ haben. Wer seine Ansprüche nicht höher stellt, wird nicht mehr kriminell als die Spatzen, wenn sie sich die fettesten Brocken abjagen und sich das Feder¬ kleid zerraufen. Er braucht höchstens noch die paar Heilmittel, die Weitling gegen den natürlichen Rest menschlicher Schwächen und Krankheiten verschreibt, um vollkommne Seligkeit zu erreichen. Über diese romantischen Phantastereien ist die von heftigem und schrankenbrechendem Wollen und Wünschen geplagte Menschheit lächelnd hinweggestiegen. Die Moderne hat die Menschen nur gieriger gemacht, die Werte des Lebens, die sie dafür hält, an sich zu ziehn, koste es, was es wolle, koste es auch das Verbrechen. Wir wissen das nur zu genan, wir wissen es sogar genauer als früher, mindestens zahlenmäßiger.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/80>, abgerufen am 22.07.2024.