Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Der parnassus in Neusiedel
von Fritz Anders (Fortsetzung)

M0
M
M! enzel Holm bewohnte ein Haus, das in der innern Stadt lag, und
das einst zu den Zierden der Neusiedler Kaufmannshäuser gehört
hatte. Es zeichnete sich durch ein himmelhohes Dach aus, und oben
aus der Dachluke und über dem Tor schaute noch immer der Kran
heraus, an dem einst die Warmhalten hochgezogen worden waren.
iDas Haus war das Urbild bürgerlicher Respektabilität. Treppen
und Flure bewiesen eine unglaubliche Raumverschwendung. Auf der Flur hatten
einst alte kunstvolle Schränke gestanden, Wenzel Holm aber hatte sie, als er die
Regierung angetreten hatte, wegschaffen lassen und sich modern eingerichtet. Auch
das Wohnzimmer von Frau Holm hätte besser ausgesehn, wenn man es in altem
Stande gelassen hätte. Die reichgeschnitzte Holzdecke und die dürftigen, eckigen
Möbel wollten nicht zueinander passen. "Er" wollte es aber so haben, sagte Frau
Holm und richtete sich ein, so gut sie konnte. Hieran schloß sich das Allerheiligste
des Hauses, das Studierzimmer des Dichters, das mit Schriften, Büchern, Gipser
und Bronzen vollgepackt war. Laura, das Hausmädchen, bekam allemal das Zittern,
wenn sie in "dem Herrn seiner Stube" kehren und abstauben sollte. Denn hinterher
gab es jedesmal Krach über unsinniges Aufräumen und verlegte Papiere. Vor
der Tür, die zum Wohnzimmer führte, hing eine dicke Decke, damit der Dichter
bei seinen Inspirationen nicht durch profanen Lärm gestört würde. Es ist nur
merkwürdig, daß allemal, wenn Besuch von Damen, namentlich von jungen Damen
da war, der Teppich hellhörig wurde. Und dann dauerte es nicht lange, daß
er sich auseinandertat, daß Herr Wenzel Holm erschien, sich dazusetzte und seinen
Geist funkeln ließ.

Frau Luzie saß am Tische zusammen mit ihren beiden Kindern. Die Kinder
machten Schularbeiten, und Frau Luzie las die Korrektur der neuesten Novelle ihres
lieben Mannes. Das durfte sie, dazu war sie als die Tochter ihres Vaters ge¬
eignet, denn sie ließ nie einen Fehler stehn. Und sie korrigierte gern und dachte dabei
lächelnd an David Copperfields Frau, die dabeisitzen und die Federn halten durfte,
wenn ihr Mann schrieb.

Ein Mädchenkopf schonte zur Tür herein. Es war Hilda. Darf ich? fragte
sie und war drinnen und bei Frau Luzie, ehe sich diese noch erheben konnte. Frau
Luzie schob den Korrekturbogen weg, und Hilda betrachtete ihn mit Aufmerksamkeit.
Also so, sagte sie, sieht ein Roman im Neglige' aus? Ist er schön?

Zum Teil, antwortete Frau Luzie.

Und zum Teil nicht. Und dieser Teil gefällt dir also nicht. Sage es doch
deinem Manne, daß er seine Romane so schreibt, daß sie zuerst seiner Frau
gefallen. , !




Der parnassus in Neusiedel
von Fritz Anders (Fortsetzung)

M0
M
M! enzel Holm bewohnte ein Haus, das in der innern Stadt lag, und
das einst zu den Zierden der Neusiedler Kaufmannshäuser gehört
hatte. Es zeichnete sich durch ein himmelhohes Dach aus, und oben
aus der Dachluke und über dem Tor schaute noch immer der Kran
heraus, an dem einst die Warmhalten hochgezogen worden waren.
iDas Haus war das Urbild bürgerlicher Respektabilität. Treppen
und Flure bewiesen eine unglaubliche Raumverschwendung. Auf der Flur hatten
einst alte kunstvolle Schränke gestanden, Wenzel Holm aber hatte sie, als er die
Regierung angetreten hatte, wegschaffen lassen und sich modern eingerichtet. Auch
das Wohnzimmer von Frau Holm hätte besser ausgesehn, wenn man es in altem
Stande gelassen hätte. Die reichgeschnitzte Holzdecke und die dürftigen, eckigen
Möbel wollten nicht zueinander passen. „Er" wollte es aber so haben, sagte Frau
Holm und richtete sich ein, so gut sie konnte. Hieran schloß sich das Allerheiligste
des Hauses, das Studierzimmer des Dichters, das mit Schriften, Büchern, Gipser
und Bronzen vollgepackt war. Laura, das Hausmädchen, bekam allemal das Zittern,
wenn sie in „dem Herrn seiner Stube" kehren und abstauben sollte. Denn hinterher
gab es jedesmal Krach über unsinniges Aufräumen und verlegte Papiere. Vor
der Tür, die zum Wohnzimmer führte, hing eine dicke Decke, damit der Dichter
bei seinen Inspirationen nicht durch profanen Lärm gestört würde. Es ist nur
merkwürdig, daß allemal, wenn Besuch von Damen, namentlich von jungen Damen
da war, der Teppich hellhörig wurde. Und dann dauerte es nicht lange, daß
er sich auseinandertat, daß Herr Wenzel Holm erschien, sich dazusetzte und seinen
Geist funkeln ließ.

Frau Luzie saß am Tische zusammen mit ihren beiden Kindern. Die Kinder
machten Schularbeiten, und Frau Luzie las die Korrektur der neuesten Novelle ihres
lieben Mannes. Das durfte sie, dazu war sie als die Tochter ihres Vaters ge¬
eignet, denn sie ließ nie einen Fehler stehn. Und sie korrigierte gern und dachte dabei
lächelnd an David Copperfields Frau, die dabeisitzen und die Federn halten durfte,
wenn ihr Mann schrieb.

Ein Mädchenkopf schonte zur Tür herein. Es war Hilda. Darf ich? fragte
sie und war drinnen und bei Frau Luzie, ehe sich diese noch erheben konnte. Frau
Luzie schob den Korrekturbogen weg, und Hilda betrachtete ihn mit Aufmerksamkeit.
Also so, sagte sie, sieht ein Roman im Neglige' aus? Ist er schön?

Zum Teil, antwortete Frau Luzie.

Und zum Teil nicht. Und dieser Teil gefällt dir also nicht. Sage es doch
deinem Manne, daß er seine Romane so schreibt, daß sie zuerst seiner Frau
gefallen. , !


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0209" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/312560"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341889_312350/figures/grenzboten_341889_312350_312560_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Der parnassus in Neusiedel<lb/><note type="byline"> von Fritz Anders</note> (Fortsetzung) </head><lb/>
          <p xml:id="ID_757"> M0<lb/>
M<lb/>
M! enzel Holm bewohnte ein Haus, das in der innern Stadt lag, und<lb/>
das einst zu den Zierden der Neusiedler Kaufmannshäuser gehört<lb/>
hatte. Es zeichnete sich durch ein himmelhohes Dach aus, und oben<lb/>
aus der Dachluke und über dem Tor schaute noch immer der Kran<lb/>
heraus, an dem einst die Warmhalten hochgezogen worden waren.<lb/>
iDas Haus war das Urbild bürgerlicher Respektabilität. Treppen<lb/>
und Flure bewiesen eine unglaubliche Raumverschwendung.  Auf der Flur hatten<lb/>
einst alte kunstvolle Schränke gestanden, Wenzel Holm aber hatte sie, als er die<lb/>
Regierung angetreten hatte, wegschaffen lassen und sich modern eingerichtet. Auch<lb/>
das Wohnzimmer von Frau Holm hätte besser ausgesehn, wenn man es in altem<lb/>
Stande gelassen hätte.  Die reichgeschnitzte Holzdecke und die dürftigen, eckigen<lb/>
Möbel wollten nicht zueinander passen. &#x201E;Er" wollte es aber so haben, sagte Frau<lb/>
Holm und richtete sich ein, so gut sie konnte. Hieran schloß sich das Allerheiligste<lb/>
des Hauses, das Studierzimmer des Dichters, das mit Schriften, Büchern, Gipser<lb/>
und Bronzen vollgepackt war. Laura, das Hausmädchen, bekam allemal das Zittern,<lb/>
wenn sie in &#x201E;dem Herrn seiner Stube" kehren und abstauben sollte. Denn hinterher<lb/>
gab es jedesmal Krach über unsinniges Aufräumen und verlegte Papiere. Vor<lb/>
der Tür, die zum Wohnzimmer führte, hing eine dicke Decke, damit der Dichter<lb/>
bei seinen Inspirationen nicht durch profanen Lärm gestört würde.  Es ist nur<lb/>
merkwürdig, daß allemal, wenn Besuch von Damen, namentlich von jungen Damen<lb/>
da war, der Teppich hellhörig wurde.  Und dann dauerte es nicht lange, daß<lb/>
er sich auseinandertat, daß Herr Wenzel Holm erschien, sich dazusetzte und seinen<lb/>
Geist funkeln ließ.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_758"> Frau Luzie saß am Tische zusammen mit ihren beiden Kindern. Die Kinder<lb/>
machten Schularbeiten, und Frau Luzie las die Korrektur der neuesten Novelle ihres<lb/>
lieben Mannes. Das durfte sie, dazu war sie als die Tochter ihres Vaters ge¬<lb/>
eignet, denn sie ließ nie einen Fehler stehn. Und sie korrigierte gern und dachte dabei<lb/>
lächelnd an David Copperfields Frau, die dabeisitzen und die Federn halten durfte,<lb/>
wenn ihr Mann schrieb.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_759"> Ein Mädchenkopf schonte zur Tür herein. Es war Hilda. Darf ich? fragte<lb/>
sie und war drinnen und bei Frau Luzie, ehe sich diese noch erheben konnte. Frau<lb/>
Luzie schob den Korrekturbogen weg, und Hilda betrachtete ihn mit Aufmerksamkeit.<lb/>
Also so, sagte sie, sieht ein Roman im Neglige' aus?  Ist er schön?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_760"> Zum Teil, antwortete Frau Luzie.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_761"> Und zum Teil nicht. Und dieser Teil gefällt dir also nicht. Sage es doch<lb/>
deinem Manne, daß er seine Romane so schreibt, daß sie zuerst seiner Frau<lb/>
gefallen. , !</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0209] [Abbildung] Der parnassus in Neusiedel von Fritz Anders (Fortsetzung) M0 M M! enzel Holm bewohnte ein Haus, das in der innern Stadt lag, und das einst zu den Zierden der Neusiedler Kaufmannshäuser gehört hatte. Es zeichnete sich durch ein himmelhohes Dach aus, und oben aus der Dachluke und über dem Tor schaute noch immer der Kran heraus, an dem einst die Warmhalten hochgezogen worden waren. iDas Haus war das Urbild bürgerlicher Respektabilität. Treppen und Flure bewiesen eine unglaubliche Raumverschwendung. Auf der Flur hatten einst alte kunstvolle Schränke gestanden, Wenzel Holm aber hatte sie, als er die Regierung angetreten hatte, wegschaffen lassen und sich modern eingerichtet. Auch das Wohnzimmer von Frau Holm hätte besser ausgesehn, wenn man es in altem Stande gelassen hätte. Die reichgeschnitzte Holzdecke und die dürftigen, eckigen Möbel wollten nicht zueinander passen. „Er" wollte es aber so haben, sagte Frau Holm und richtete sich ein, so gut sie konnte. Hieran schloß sich das Allerheiligste des Hauses, das Studierzimmer des Dichters, das mit Schriften, Büchern, Gipser und Bronzen vollgepackt war. Laura, das Hausmädchen, bekam allemal das Zittern, wenn sie in „dem Herrn seiner Stube" kehren und abstauben sollte. Denn hinterher gab es jedesmal Krach über unsinniges Aufräumen und verlegte Papiere. Vor der Tür, die zum Wohnzimmer führte, hing eine dicke Decke, damit der Dichter bei seinen Inspirationen nicht durch profanen Lärm gestört würde. Es ist nur merkwürdig, daß allemal, wenn Besuch von Damen, namentlich von jungen Damen da war, der Teppich hellhörig wurde. Und dann dauerte es nicht lange, daß er sich auseinandertat, daß Herr Wenzel Holm erschien, sich dazusetzte und seinen Geist funkeln ließ. Frau Luzie saß am Tische zusammen mit ihren beiden Kindern. Die Kinder machten Schularbeiten, und Frau Luzie las die Korrektur der neuesten Novelle ihres lieben Mannes. Das durfte sie, dazu war sie als die Tochter ihres Vaters ge¬ eignet, denn sie ließ nie einen Fehler stehn. Und sie korrigierte gern und dachte dabei lächelnd an David Copperfields Frau, die dabeisitzen und die Federn halten durfte, wenn ihr Mann schrieb. Ein Mädchenkopf schonte zur Tür herein. Es war Hilda. Darf ich? fragte sie und war drinnen und bei Frau Luzie, ehe sich diese noch erheben konnte. Frau Luzie schob den Korrekturbogen weg, und Hilda betrachtete ihn mit Aufmerksamkeit. Also so, sagte sie, sieht ein Roman im Neglige' aus? Ist er schön? Zum Teil, antwortete Frau Luzie. Und zum Teil nicht. Und dieser Teil gefällt dir also nicht. Sage es doch deinem Manne, daß er seine Romane so schreibt, daß sie zuerst seiner Frau gefallen. , !

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/209
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/209>, abgerufen am 12.12.2024.