Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.vom thrakischen Meere sterben ab, vermodern und geben neuen Bäumen, einem dichten Unterholz und starken Weiter nach Osten zog es mich nicht. Etwa anderthalb Stunden östlich strömt vom thrakischen Meere sterben ab, vermodern und geben neuen Bäumen, einem dichten Unterholz und starken Weiter nach Osten zog es mich nicht. Etwa anderthalb Stunden östlich strömt <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0208" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/312559"/> <fw type="header" place="top"> vom thrakischen Meere</fw><lb/> <p xml:id="ID_755" prev="#ID_754"> sterben ab, vermodern und geben neuen Bäumen, einem dichten Unterholz und starken<lb/> Schlingpflanzen Nahrung. In tief eingerissenen Betten strömen Bäche vom Phengari,<lb/> das darüber ragt, hindurch; große Felsblöcke sind einmal von ihm herabgerollt. So<lb/> üppig ist die Vegetation, daß wir mehrmals umkehren und einen andern Pfad suchen<lb/> mußten, weil der eingeschlagne völlig zugewachsen war. In kleinen Lichtungen breiten<lb/> sich Farnwälder von einer Höhe, daß Roß und Reiter fast darin verschwinden.<lb/> Schildkröten, Schlangen, auch Singvögel Hausen dort in Menge. Der Wald lichtet sich;<lb/> wir nähern uns dem alten Gebiet des Klosters Hagios Christos. Ein paar Häuser<lb/> stehn am Waldrande, von denen aus ein fruchtbares Stück Land bebaut wird. Hier<lb/> gedeiht auch vorzügliches Obst: Äpfel, Pflaumen, Nüsse, Kirschen, deren erste mir die<lb/> Tochter eines Bauern pflückte, auch Wein und der Erdbeerbaum (^.rdutW). Im<lb/> Winter aber lassen die Bergwasser und die Nordstürme hier niemand wohnen. Lange<lb/> Terrassenmauern zeugen weiterhin von einer Kultur, die jedenfalls in das Altertum<lb/> zurückreicht. Auf einem Hügel ruht unter hohen Bäumen die Ruine der Klosterkirche.<lb/> Die kleine 3^ Meter tiefe und 3 Meter breite Vorhalle liegt etwas schräg vor der<lb/> Kirche; sie ist vielleicht etwas später vorgelegt worden, und nur sie ist genau west¬<lb/> östlich orientiert. An den Seiten je zwei rundabgeschlossene Fenster; zwischen ihnen<lb/> stieg eine schmale Strebe zur Decke empor, die eingestürzt ist. Erhalten ist dagegen<lb/> das Tonnengewölbe des 6 Meter langen Innern. Hinten springt zwischen zwei<lb/> kleinen flachen Nischen eine Apsis hinaus. Technisch steht der Bau höher als alle<lb/> auf diesen Inseln. Reste von Stuck mit Spuren roter Farbe beweisen einstige Bemalung.<lb/> Die Kapitelle sind antik wie das ganze Material, das gerade vom alten Tempel<lb/> genommen wurde; immer wieder entdeckt man eine Inschrift, aber die meisten sind<lb/> vom Wetter so zerstört worden, daß sie eine Qual für die Augen sind. An zwei<lb/> Stellen liest man Namen von Mönchen und die Jahreszahlen 1742 und 1753;<lb/> wohl Zeichen der letzten Wiederherstellung des Gebäudes, das bei der Plünderung<lb/> des Jahres 1821 seinen Untergang gefunden haben wird. Mit ihm verfiel die Boden¬<lb/> kultur an dieser Stelle. Nur Bienen summen; Herdengeläut in der Ferne. Nach<lb/> Wasser mußten wir lange suchen.</p><lb/> <p xml:id="ID_756"> Weiter nach Osten zog es mich nicht. Etwa anderthalb Stunden östlich strömt<lb/> ein besonders starker Bach, Phonias genannt, zum Meere. An seiner Mündung<lb/> landet man wohl, wenn man von Norden, zum Beispiel von Dedeagatsch kommt,<lb/> und landete einst noch viel häufiger, als die Jusel dem Zweig der Gattilusi<lb/> gehörte, deren Hauptplatz Ainos gerade gegenüber an der Küste lag. Aus der<lb/> Zeit steht daher hier noch ein Wachtturm, nicht mehr aus antiken Steinen geschichtet,<lb/> dafür lag die Nuinenstätte zu fern, sondern aus dem Granit und Schiefer des<lb/> Ortes; oben wölbt sich ein schöner Marmorbogen. Die kurze Ostseite muß den<lb/> ärmlichsten Partien der Nordküste ähneln; die Kirchlein dort bergen nichts Antikes<lb/> mehr. Der einzige heilige Platz, der im Innern der Insel genannt wird, war<lb/> eine Grotte der zerynthischen Artemis, das heißt einer alten Naturgottheit dieser<lb/> Gegenden, die die Griechen der Artemis oder Hekate gleichgesetzt hatten; sie ist<lb/> noch nicht mit Sicherheit wieder gefunden worden. Ebenso unbewohnt ist hente<lb/> das Innere. Nur Hirten, die in Dialekt und Tracht altertümlich sind, ziehen dort<lb/> mit ihren halbwilden Hunden umher. Den Südosten sollen auch sie meiden; er ist<lb/> den verwilderten Ziegen, die man gern Steinböcke oder Gemsen getauft hat,<lb/> überlassen.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0208]
vom thrakischen Meere
sterben ab, vermodern und geben neuen Bäumen, einem dichten Unterholz und starken
Schlingpflanzen Nahrung. In tief eingerissenen Betten strömen Bäche vom Phengari,
das darüber ragt, hindurch; große Felsblöcke sind einmal von ihm herabgerollt. So
üppig ist die Vegetation, daß wir mehrmals umkehren und einen andern Pfad suchen
mußten, weil der eingeschlagne völlig zugewachsen war. In kleinen Lichtungen breiten
sich Farnwälder von einer Höhe, daß Roß und Reiter fast darin verschwinden.
Schildkröten, Schlangen, auch Singvögel Hausen dort in Menge. Der Wald lichtet sich;
wir nähern uns dem alten Gebiet des Klosters Hagios Christos. Ein paar Häuser
stehn am Waldrande, von denen aus ein fruchtbares Stück Land bebaut wird. Hier
gedeiht auch vorzügliches Obst: Äpfel, Pflaumen, Nüsse, Kirschen, deren erste mir die
Tochter eines Bauern pflückte, auch Wein und der Erdbeerbaum (^.rdutW). Im
Winter aber lassen die Bergwasser und die Nordstürme hier niemand wohnen. Lange
Terrassenmauern zeugen weiterhin von einer Kultur, die jedenfalls in das Altertum
zurückreicht. Auf einem Hügel ruht unter hohen Bäumen die Ruine der Klosterkirche.
Die kleine 3^ Meter tiefe und 3 Meter breite Vorhalle liegt etwas schräg vor der
Kirche; sie ist vielleicht etwas später vorgelegt worden, und nur sie ist genau west¬
östlich orientiert. An den Seiten je zwei rundabgeschlossene Fenster; zwischen ihnen
stieg eine schmale Strebe zur Decke empor, die eingestürzt ist. Erhalten ist dagegen
das Tonnengewölbe des 6 Meter langen Innern. Hinten springt zwischen zwei
kleinen flachen Nischen eine Apsis hinaus. Technisch steht der Bau höher als alle
auf diesen Inseln. Reste von Stuck mit Spuren roter Farbe beweisen einstige Bemalung.
Die Kapitelle sind antik wie das ganze Material, das gerade vom alten Tempel
genommen wurde; immer wieder entdeckt man eine Inschrift, aber die meisten sind
vom Wetter so zerstört worden, daß sie eine Qual für die Augen sind. An zwei
Stellen liest man Namen von Mönchen und die Jahreszahlen 1742 und 1753;
wohl Zeichen der letzten Wiederherstellung des Gebäudes, das bei der Plünderung
des Jahres 1821 seinen Untergang gefunden haben wird. Mit ihm verfiel die Boden¬
kultur an dieser Stelle. Nur Bienen summen; Herdengeläut in der Ferne. Nach
Wasser mußten wir lange suchen.
Weiter nach Osten zog es mich nicht. Etwa anderthalb Stunden östlich strömt
ein besonders starker Bach, Phonias genannt, zum Meere. An seiner Mündung
landet man wohl, wenn man von Norden, zum Beispiel von Dedeagatsch kommt,
und landete einst noch viel häufiger, als die Jusel dem Zweig der Gattilusi
gehörte, deren Hauptplatz Ainos gerade gegenüber an der Küste lag. Aus der
Zeit steht daher hier noch ein Wachtturm, nicht mehr aus antiken Steinen geschichtet,
dafür lag die Nuinenstätte zu fern, sondern aus dem Granit und Schiefer des
Ortes; oben wölbt sich ein schöner Marmorbogen. Die kurze Ostseite muß den
ärmlichsten Partien der Nordküste ähneln; die Kirchlein dort bergen nichts Antikes
mehr. Der einzige heilige Platz, der im Innern der Insel genannt wird, war
eine Grotte der zerynthischen Artemis, das heißt einer alten Naturgottheit dieser
Gegenden, die die Griechen der Artemis oder Hekate gleichgesetzt hatten; sie ist
noch nicht mit Sicherheit wieder gefunden worden. Ebenso unbewohnt ist hente
das Innere. Nur Hirten, die in Dialekt und Tracht altertümlich sind, ziehen dort
mit ihren halbwilden Hunden umher. Den Südosten sollen auch sie meiden; er ist
den verwilderten Ziegen, die man gern Steinböcke oder Gemsen getauft hat,
überlassen.
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