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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Der parnassus in Neusiedel
von Fritz Anders

,LZ)OZ
^"5s^H,--^n demselben Abend war bei Frciu von Seidelbast wieder einmal etwas
los. Entweder gaben sich die "Getreuen" dort Stelldichein, oder es
i war Teeabend oder Gesellschaft, oder es galt eine durchreisende
musikalische Größe, namentlich Bayreuther Größe zu feiern oder den
Geburtstag oder Todestag Wagners zu begehn. Aber immer wurde
! Musik gemacht, und meist kam Wagner allein zu Worte.

Die Seidelbastsche Villa lag in der sogenannten Stadtkellerei, einer Borstadt,
die erst in neuern Jahren entstanden war. Diese Vorstadt dehnte sich von der
Stadtgrenze bis zum Kellereiwalde aus und stellte die Fremdenkolonie der Stadt
dar. Denn hier hatten sich im Laufe der Zeit die pensionierten Generale, Geheim¬
räte, und wer sonst noch Neusiedel zum Wohnorte erwählt hatte, angesiedelt, und
hier stand an schön rechtwinkligen Straßen Villa bei Villa. Und von hier aus
hatte man auch eine schöne Aussicht auf die alte Stadt, auf den Dom mit seinen
drei Kuppeltürmen, auf die weite, grüne Ebene, an deren Grenze Neusiedel lag,
und auf den Fluß, der sich hellglänzend in großen Bogen durch das Grün zog.

Die schönste und vornehmste Villa war die Villa der Frau von Seidelbast.
Wobei wir jedoch bemerken müssen, daß es auch einen Herrn von Seidelbast gab,
der freilich bei den musikalischen Veranstaltungen der gnädigen Frau wenig in
Betracht kam, denn er war sehr schwerhörig. Übrigens war er ein feiner, alter
Herr mit weißem Haar, weißem Bart, weißer Binde und schwarzem Gehrocke, der,
wenn die Größen in seinem Hause gefeiert wurden, in gebückter Haltung und mit
steifen Schritten im Hintergrunde herumzog und bereit war, jedem, der die Güte
hatte, ihn zu bemerken, eine freundliche Selbstverständlichkeit zu sagen. Er hatte
in irgendeinem Ministerium eine hohe Stelle verwaltet, hatte es zum Wirklichen
Geheimen Rate, aber nicht zur Exzellenz gebracht. Schade! Dann war er wegen
seiner Schwerhörigkeit in Pension gegangen, und zwar von Berlin fort, was er
gegen den Willen seiner Frau dnrchschte. Er hatte den Lärm satt und wollte den
Rest seiner Tage in stiller Beschaulichkeit verbringen. Den Ausschlag gab, daß er
gerade damals die Villa in Neusiedel und einen hübschen Posten Geld geerbt
hatte. Anfänglich war Frau von Seidelbast unglücklich darüber, daß sie aus dem
Mittelpunkte einer geistvollen Geselligkeit ausscheiden sollte, aber dann fand sie sich.
Neusiedel bot zwar an sich gar nichts. Es war ein großes Opfer, in Neusiedel
leben zu sollen. Aber Neusiedel lag doch nicht aus der Welt. Wie schnell war
man in Berlin oder in Dresden oder in Weimar oder in Bayreuth. Bei den
heutigen Verkehrsverhältnissen spielen doch fünfzig Meilen gar keine Rolle. Nicht
wahr? Und es gab ja auch in Neusiedel liebe Menschen, mit denen man ver¬
kehren konnte, General von Kämpffer, Exzellenz, und seine Familie, Baurath,
Direktors, Neugebauers und die andern. Liebe, gebildete Menschen. Und was




Der parnassus in Neusiedel
von Fritz Anders

,LZ)OZ
^«5s^H,--^n demselben Abend war bei Frciu von Seidelbast wieder einmal etwas
los. Entweder gaben sich die „Getreuen" dort Stelldichein, oder es
i war Teeabend oder Gesellschaft, oder es galt eine durchreisende
musikalische Größe, namentlich Bayreuther Größe zu feiern oder den
Geburtstag oder Todestag Wagners zu begehn. Aber immer wurde
! Musik gemacht, und meist kam Wagner allein zu Worte.

Die Seidelbastsche Villa lag in der sogenannten Stadtkellerei, einer Borstadt,
die erst in neuern Jahren entstanden war. Diese Vorstadt dehnte sich von der
Stadtgrenze bis zum Kellereiwalde aus und stellte die Fremdenkolonie der Stadt
dar. Denn hier hatten sich im Laufe der Zeit die pensionierten Generale, Geheim¬
räte, und wer sonst noch Neusiedel zum Wohnorte erwählt hatte, angesiedelt, und
hier stand an schön rechtwinkligen Straßen Villa bei Villa. Und von hier aus
hatte man auch eine schöne Aussicht auf die alte Stadt, auf den Dom mit seinen
drei Kuppeltürmen, auf die weite, grüne Ebene, an deren Grenze Neusiedel lag,
und auf den Fluß, der sich hellglänzend in großen Bogen durch das Grün zog.

Die schönste und vornehmste Villa war die Villa der Frau von Seidelbast.
Wobei wir jedoch bemerken müssen, daß es auch einen Herrn von Seidelbast gab,
der freilich bei den musikalischen Veranstaltungen der gnädigen Frau wenig in
Betracht kam, denn er war sehr schwerhörig. Übrigens war er ein feiner, alter
Herr mit weißem Haar, weißem Bart, weißer Binde und schwarzem Gehrocke, der,
wenn die Größen in seinem Hause gefeiert wurden, in gebückter Haltung und mit
steifen Schritten im Hintergrunde herumzog und bereit war, jedem, der die Güte
hatte, ihn zu bemerken, eine freundliche Selbstverständlichkeit zu sagen. Er hatte
in irgendeinem Ministerium eine hohe Stelle verwaltet, hatte es zum Wirklichen
Geheimen Rate, aber nicht zur Exzellenz gebracht. Schade! Dann war er wegen
seiner Schwerhörigkeit in Pension gegangen, und zwar von Berlin fort, was er
gegen den Willen seiner Frau dnrchschte. Er hatte den Lärm satt und wollte den
Rest seiner Tage in stiller Beschaulichkeit verbringen. Den Ausschlag gab, daß er
gerade damals die Villa in Neusiedel und einen hübschen Posten Geld geerbt
hatte. Anfänglich war Frau von Seidelbast unglücklich darüber, daß sie aus dem
Mittelpunkte einer geistvollen Geselligkeit ausscheiden sollte, aber dann fand sie sich.
Neusiedel bot zwar an sich gar nichts. Es war ein großes Opfer, in Neusiedel
leben zu sollen. Aber Neusiedel lag doch nicht aus der Welt. Wie schnell war
man in Berlin oder in Dresden oder in Weimar oder in Bayreuth. Bei den
heutigen Verkehrsverhältnissen spielen doch fünfzig Meilen gar keine Rolle. Nicht
wahr? Und es gab ja auch in Neusiedel liebe Menschen, mit denen man ver¬
kehren konnte, General von Kämpffer, Exzellenz, und seine Familie, Baurath,
Direktors, Neugebauers und die andern. Liebe, gebildete Menschen. Und was


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[0101] [Abbildung] Der parnassus in Neusiedel von Fritz Anders ,LZ)OZ ^«5s^H,--^n demselben Abend war bei Frciu von Seidelbast wieder einmal etwas los. Entweder gaben sich die „Getreuen" dort Stelldichein, oder es i war Teeabend oder Gesellschaft, oder es galt eine durchreisende musikalische Größe, namentlich Bayreuther Größe zu feiern oder den Geburtstag oder Todestag Wagners zu begehn. Aber immer wurde ! Musik gemacht, und meist kam Wagner allein zu Worte. Die Seidelbastsche Villa lag in der sogenannten Stadtkellerei, einer Borstadt, die erst in neuern Jahren entstanden war. Diese Vorstadt dehnte sich von der Stadtgrenze bis zum Kellereiwalde aus und stellte die Fremdenkolonie der Stadt dar. Denn hier hatten sich im Laufe der Zeit die pensionierten Generale, Geheim¬ räte, und wer sonst noch Neusiedel zum Wohnorte erwählt hatte, angesiedelt, und hier stand an schön rechtwinkligen Straßen Villa bei Villa. Und von hier aus hatte man auch eine schöne Aussicht auf die alte Stadt, auf den Dom mit seinen drei Kuppeltürmen, auf die weite, grüne Ebene, an deren Grenze Neusiedel lag, und auf den Fluß, der sich hellglänzend in großen Bogen durch das Grün zog. Die schönste und vornehmste Villa war die Villa der Frau von Seidelbast. Wobei wir jedoch bemerken müssen, daß es auch einen Herrn von Seidelbast gab, der freilich bei den musikalischen Veranstaltungen der gnädigen Frau wenig in Betracht kam, denn er war sehr schwerhörig. Übrigens war er ein feiner, alter Herr mit weißem Haar, weißem Bart, weißer Binde und schwarzem Gehrocke, der, wenn die Größen in seinem Hause gefeiert wurden, in gebückter Haltung und mit steifen Schritten im Hintergrunde herumzog und bereit war, jedem, der die Güte hatte, ihn zu bemerken, eine freundliche Selbstverständlichkeit zu sagen. Er hatte in irgendeinem Ministerium eine hohe Stelle verwaltet, hatte es zum Wirklichen Geheimen Rate, aber nicht zur Exzellenz gebracht. Schade! Dann war er wegen seiner Schwerhörigkeit in Pension gegangen, und zwar von Berlin fort, was er gegen den Willen seiner Frau dnrchschte. Er hatte den Lärm satt und wollte den Rest seiner Tage in stiller Beschaulichkeit verbringen. Den Ausschlag gab, daß er gerade damals die Villa in Neusiedel und einen hübschen Posten Geld geerbt hatte. Anfänglich war Frau von Seidelbast unglücklich darüber, daß sie aus dem Mittelpunkte einer geistvollen Geselligkeit ausscheiden sollte, aber dann fand sie sich. Neusiedel bot zwar an sich gar nichts. Es war ein großes Opfer, in Neusiedel leben zu sollen. Aber Neusiedel lag doch nicht aus der Welt. Wie schnell war man in Berlin oder in Dresden oder in Weimar oder in Bayreuth. Bei den heutigen Verkehrsverhältnissen spielen doch fünfzig Meilen gar keine Rolle. Nicht wahr? Und es gab ja auch in Neusiedel liebe Menschen, mit denen man ver¬ kehren konnte, General von Kämpffer, Exzellenz, und seine Familie, Baurath, Direktors, Neugebauers und die andern. Liebe, gebildete Menschen. Und was

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/101>, abgerufen am 22.07.2024.