Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches näherte, nämlich der Überschreitung des Taurus. Denn war dies geschehn, so war Im Innern nähern wir uns den Zeiten politischer Windstille. Aber noch sind Eigenarten des politischen Urteils in Deutschland Ei Es gibt zwei logisch und ps chologisch getreu,, e Arten des Urteilen^ ur die <"^ Maßgebliches und Unmaßgebliches näherte, nämlich der Überschreitung des Taurus. Denn war dies geschehn, so war Im Innern nähern wir uns den Zeiten politischer Windstille. Aber noch sind Eigenarten des politischen Urteils in Deutschland Ei Es gibt zwei logisch und ps chologisch getreu,, e Arten des Urteilen^ ur die <„^ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0449" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/312134"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1806" prev="#ID_1805"> näherte, nämlich der Überschreitung des Taurus. Denn war dies geschehn, so war<lb/> die Durchführung der Bahn bis zum Tigris so gut wie selbstverständlich. Deshalb<lb/> wurde alles getan, um das Steckenbleiben des Unternehmens aus anatolischem Boden<lb/> herbeizuführen. Mau ließ sich deshalb die Erschütterung der Stellung Deutsch¬<lb/> lands bei der Pforte so angelegen wie möglich sein, und in diese Bemühungen<lb/> wurden alle Fragen der Orientpolitik mit hineingezogen. Auch in der deuljcheu<lb/> Presse fand man oft genug nach französischen, englischen und russische» Quellen die<lb/> Behauptung, daß unsre Diplomatie in der Balkanpolitik falsch operiert habe, und<lb/> daß es mit dem frühern Einfluß Deutschlands am Goldner Horn vorbei sei. Jetzt<lb/> stehen wir der Tatsache gegenüber, daß die Verlängerung der Bagdadbnhn um<lb/> weitere achthundert und einige mehr Kilometer gesichert ist. Diese jetzt konzessionierte<lb/> Strecke aber bedeutet die Überschreitung des Taurus! Es muß doch also wohl<lb/> nicht so arg sein mit der Einflußlosigkeit Deutschlands im Orient und mit der Un¬<lb/> fähigkeit unsrer Diplomatie, deutsche Interessen gegen die widerstrebenden Einflüsse<lb/> Englands und andrer Mächte durchzusetzen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1807"> Im Innern nähern wir uns den Zeiten politischer Windstille. Aber noch sind<lb/> vorher die preußischen Landtagswahlen zu überwinden. Man sollte meinen, das müsse<lb/> noch dem heftigen Sturme, der wegen des preußischen Wahlrechts bei Beginn dieses<lb/> Jahres den Blätterwald durchtobte, eine recht starke Bewegung werden. Doch davon<lb/> ist recht wenig zu bemerken. Die Parteien suchen in den einzelnen Wahlkreisen die<lb/> Kandidatenfrage so gut zu regeln, wie es nach den Umstanden eben geht. Da<lb/> werden denn die verschiedensten Bundesgenosienschaften geschlossen, und alle diese<lb/> Bündnisse act Iroo vertragen nicht die starke Aufregung einer gronen Prinzipienfrage.<lb/> die die Wählerschaft in zwei Heerlager teilt. So geht es emsiweileu uoch recht still<lb/> Zu. und niemand erwartet eigentlich, daß der neue Landtag e.u wesentlich andres<lb/> Gesicht zeigen wird als der bisherige. Nur daß mau infolge der Neuemte.lung<lb/> der Wahlkreise doch nicht ganz die Möglichkeit abweisen kann, einen oder den andern<lb/> Sozialdemokraten in den Landtag einziehen zu sehen. Anstrengungen genug werden<lb/> dazu gemacht werden</p> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="2"> <head> Eigenarten des politischen Urteils in Deutschland</head> <p xml:id="ID_1808"> Ei<lb/> n Franzose,<lb/> el» Engländer ein Deutscher machten einst eme Wette. Keiner hatte noch je ein<lb/> Kamel gesehen- wer nach einem bestimmten Zeitraum ein solches am besten zeichne»<lb/> kannte, sollte gewinnen. Der Engländer reiste nach Ägypten, beobachtete zeichnete<lb/> photographierte, der Franzose ging in die Menagerie und in die Bibliothek, der<lb/> Deutsch, aber blieb zu Hause und schuf das Kamel aus der Tiefe ,e.ues Gemüts.<lb/> Die Anekdote hält es nicht für nötig zu erzählen wer nnn schließ ich die beste<lb/> Zei-Hnuug lieferte. Diese ^scheinbare Erzählung enthalt eine Wahrheit Es scheint<lb/> eine Eigenart des Deutschen zu sein, daß seine Urteile über Dinge vielfach ähnlich<lb/> zustande kommen wie seine Zeichming des Kamels. ^</p><lb/> <p xml:id="ID_1809"> Es gibt zwei logisch und ps chologisch getreu,, e Arten des Urteilen^ ur die<lb/> einzelnen Völker verschiedne Neigung und Fähigkeit zu haben scheinen. Die eine geht<lb/> v°u der Wirklichkei und dem einzelnen aus und ,..ehe e.n allgemeines die ^geht von. allgemeinen aus und sucht dann das einzelne, das dazu paßt Die Urteile<lb/> der ersten A?t wer en komplizi rter Natur, vorsich iger. weniger umfassend sem und<lb/> "uf manche Einschränkungen verweisen; die °"d,er"<lb/> viel einfacher deutlicher leichter faßbar, apodiktischer und formelhafter; die ersten<lb/> °ber h^be.7d'en V A' Ä sie von der Wirklichkeit etwas aussagen wä re.'d die<lb/> Zweiten immer nur eine Idee des Urteileuden geben, die eben alles von der Wirk-<lb/> uchkeit, was ihr nicht paßt, ignoriert. ^ c» ^ ^ -</p><lb/> <p xml:id="ID_1810" next="#ID_1811"> <„^<lb/> Die zweite Art des Urteils, die keinem andern Bol der Erde '" fliegt<lb/> w'e dem deutschen, hat gewiß ihre Vorzüge - sie ist d.e Wurzel des Idealismus</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0449]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
näherte, nämlich der Überschreitung des Taurus. Denn war dies geschehn, so war
die Durchführung der Bahn bis zum Tigris so gut wie selbstverständlich. Deshalb
wurde alles getan, um das Steckenbleiben des Unternehmens aus anatolischem Boden
herbeizuführen. Mau ließ sich deshalb die Erschütterung der Stellung Deutsch¬
lands bei der Pforte so angelegen wie möglich sein, und in diese Bemühungen
wurden alle Fragen der Orientpolitik mit hineingezogen. Auch in der deuljcheu
Presse fand man oft genug nach französischen, englischen und russische» Quellen die
Behauptung, daß unsre Diplomatie in der Balkanpolitik falsch operiert habe, und
daß es mit dem frühern Einfluß Deutschlands am Goldner Horn vorbei sei. Jetzt
stehen wir der Tatsache gegenüber, daß die Verlängerung der Bagdadbnhn um
weitere achthundert und einige mehr Kilometer gesichert ist. Diese jetzt konzessionierte
Strecke aber bedeutet die Überschreitung des Taurus! Es muß doch also wohl
nicht so arg sein mit der Einflußlosigkeit Deutschlands im Orient und mit der Un¬
fähigkeit unsrer Diplomatie, deutsche Interessen gegen die widerstrebenden Einflüsse
Englands und andrer Mächte durchzusetzen.
Im Innern nähern wir uns den Zeiten politischer Windstille. Aber noch sind
vorher die preußischen Landtagswahlen zu überwinden. Man sollte meinen, das müsse
noch dem heftigen Sturme, der wegen des preußischen Wahlrechts bei Beginn dieses
Jahres den Blätterwald durchtobte, eine recht starke Bewegung werden. Doch davon
ist recht wenig zu bemerken. Die Parteien suchen in den einzelnen Wahlkreisen die
Kandidatenfrage so gut zu regeln, wie es nach den Umstanden eben geht. Da
werden denn die verschiedensten Bundesgenosienschaften geschlossen, und alle diese
Bündnisse act Iroo vertragen nicht die starke Aufregung einer gronen Prinzipienfrage.
die die Wählerschaft in zwei Heerlager teilt. So geht es emsiweileu uoch recht still
Zu. und niemand erwartet eigentlich, daß der neue Landtag e.u wesentlich andres
Gesicht zeigen wird als der bisherige. Nur daß mau infolge der Neuemte.lung
der Wahlkreise doch nicht ganz die Möglichkeit abweisen kann, einen oder den andern
Sozialdemokraten in den Landtag einziehen zu sehen. Anstrengungen genug werden
dazu gemacht werden
Eigenarten des politischen Urteils in Deutschland Ei
n Franzose,
el» Engländer ein Deutscher machten einst eme Wette. Keiner hatte noch je ein
Kamel gesehen- wer nach einem bestimmten Zeitraum ein solches am besten zeichne»
kannte, sollte gewinnen. Der Engländer reiste nach Ägypten, beobachtete zeichnete
photographierte, der Franzose ging in die Menagerie und in die Bibliothek, der
Deutsch, aber blieb zu Hause und schuf das Kamel aus der Tiefe ,e.ues Gemüts.
Die Anekdote hält es nicht für nötig zu erzählen wer nnn schließ ich die beste
Zei-Hnuug lieferte. Diese ^scheinbare Erzählung enthalt eine Wahrheit Es scheint
eine Eigenart des Deutschen zu sein, daß seine Urteile über Dinge vielfach ähnlich
zustande kommen wie seine Zeichming des Kamels. ^
Es gibt zwei logisch und ps chologisch getreu,, e Arten des Urteilen^ ur die
einzelnen Völker verschiedne Neigung und Fähigkeit zu haben scheinen. Die eine geht
v°u der Wirklichkei und dem einzelnen aus und ,..ehe e.n allgemeines die ^geht von. allgemeinen aus und sucht dann das einzelne, das dazu paßt Die Urteile
der ersten A?t wer en komplizi rter Natur, vorsich iger. weniger umfassend sem und
"uf manche Einschränkungen verweisen; die °"d,er"
viel einfacher deutlicher leichter faßbar, apodiktischer und formelhafter; die ersten
°ber h^be.7d'en V A' Ä sie von der Wirklichkeit etwas aussagen wä re.'d die
Zweiten immer nur eine Idee des Urteileuden geben, die eben alles von der Wirk-
uchkeit, was ihr nicht paßt, ignoriert. ^ c» ^ ^ -
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Die zweite Art des Urteils, die keinem andern Bol der Erde '" fliegt
w'e dem deutschen, hat gewiß ihre Vorzüge - sie ist d.e Wurzel des Idealismus
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