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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Aus dem griechischen Erzgebirge

wieder entreißen lassen, sondern es im Notfalle mit ihren Armen verteidigen.
Die alten Stände aber wandten sich von neuem an den Bundestag, auch der
Bückeburger mischte sich aus freundnachbarlicher Eifersucht ein, und schließlich
entschied die Rcklamationskommission, die Regentin Hütte die frühere Verfassung
nicht einseitig auflösen dürfen und solle mit der Einführung der neuen Ver¬
fassung warten. Pauline fügte sich dem Rechte des Stärkern, war aber auch
zu keinem Vermittlungsvorschlage geneigt; sie wollte lieber ihren ganzen Plan
aufgeben "wie einen frommen Traum als eine Adelskammer und etwas fremd¬
artiges ganz schreiender Natur darin aufnehmen, lieber ein zartes Kind ver¬
klären sehen im schönen Reiche der Ideen, als verderben, gemein werden und
jahrelang dahinwelken". So gelangte weder das neue Staatsgrundgesetz zur
Wirksamkeit, noch wurden die alten Landstände wieder berufen. Erst nach mehr
als sechzehn Jahren, im Jahre 1836 kam ein Ausgleich zustande.

Pauline sehnte sich nach Ruhe. Als die Karlsbader Beschlüsse dem Bundes¬
tage aufgezwungen waren, freute sie sich, dem Grabe näher zu sein als der
Blütezeit des Lebens. Ungern wollte sie eine zweite, der französischen ähnliche
Revolution erleben. Das Jahr 1848 blieb ihr erspart. Sie starb am 28. De¬
zember 1820, nachdem sie gerade sechs Monate vorher ihrem Sohne Leopold,
der inzwischen schon vierundzwanzig Jahre alt geworden war, in feierlicher
Versammlung die Negierung abgetreten hatte. Die Worte, mit denen sie sich
in ihrer Abschiedsrede an den jungen Fürsten wandte, sind das Bekenntnis
einer edeln Frauenseele und wahrhaft fürstlicher Gesinnung. Sie empfahl ihm,
nie jemand zu verdammen, der sich noch nicht verteidigen könne, nie auf Günst¬
linge zu hören, gut und sorgsam im Kleinen wie im Großen hauszuhalten, um
der christlichen Tugend der Wohltätigkeit, dem fürstlichen Vorzuge der Gro߬
mut sich nicht entziehen zu brauchen. Sie bat ihn um rasche Tätigkeit, dem
Regenten seien Freuden und Zerstreuungen nur nach Erfüllung seiner Pflichten
erlaubt. Nach diesen Grundsätzen möge er handeln, dann würde ihr mütter¬
licher Segen sein Teil, und was unendlich mehr sei, Gottes Wohlgefallen sein
Eigentum sein.




Aus dem griechischen Erzgebirge
Aarl Dieterich von

!er in Fallmerayers "Fragmenten aus dem Orient" im neunten
Stück (Hagion Oros oder der heilige Berg Athos) die herrlichen
Naturschilderungen gelesen hat, die ihn in einen romantischen
Urwaldzauber einspinnen und ihn trotz der Versicherung des
! Verfassers, das Bild sei nicht phantastisch, sondern naturgetreu,
manchmal an der Wahrheit der Schilderungen irre werden lassen, und wer
dann einige Seiten weiter jene mit Bangen um ihre Vernichtung gemischte


Aus dem griechischen Erzgebirge

wieder entreißen lassen, sondern es im Notfalle mit ihren Armen verteidigen.
Die alten Stände aber wandten sich von neuem an den Bundestag, auch der
Bückeburger mischte sich aus freundnachbarlicher Eifersucht ein, und schließlich
entschied die Rcklamationskommission, die Regentin Hütte die frühere Verfassung
nicht einseitig auflösen dürfen und solle mit der Einführung der neuen Ver¬
fassung warten. Pauline fügte sich dem Rechte des Stärkern, war aber auch
zu keinem Vermittlungsvorschlage geneigt; sie wollte lieber ihren ganzen Plan
aufgeben „wie einen frommen Traum als eine Adelskammer und etwas fremd¬
artiges ganz schreiender Natur darin aufnehmen, lieber ein zartes Kind ver¬
klären sehen im schönen Reiche der Ideen, als verderben, gemein werden und
jahrelang dahinwelken". So gelangte weder das neue Staatsgrundgesetz zur
Wirksamkeit, noch wurden die alten Landstände wieder berufen. Erst nach mehr
als sechzehn Jahren, im Jahre 1836 kam ein Ausgleich zustande.

Pauline sehnte sich nach Ruhe. Als die Karlsbader Beschlüsse dem Bundes¬
tage aufgezwungen waren, freute sie sich, dem Grabe näher zu sein als der
Blütezeit des Lebens. Ungern wollte sie eine zweite, der französischen ähnliche
Revolution erleben. Das Jahr 1848 blieb ihr erspart. Sie starb am 28. De¬
zember 1820, nachdem sie gerade sechs Monate vorher ihrem Sohne Leopold,
der inzwischen schon vierundzwanzig Jahre alt geworden war, in feierlicher
Versammlung die Negierung abgetreten hatte. Die Worte, mit denen sie sich
in ihrer Abschiedsrede an den jungen Fürsten wandte, sind das Bekenntnis
einer edeln Frauenseele und wahrhaft fürstlicher Gesinnung. Sie empfahl ihm,
nie jemand zu verdammen, der sich noch nicht verteidigen könne, nie auf Günst¬
linge zu hören, gut und sorgsam im Kleinen wie im Großen hauszuhalten, um
der christlichen Tugend der Wohltätigkeit, dem fürstlichen Vorzuge der Gro߬
mut sich nicht entziehen zu brauchen. Sie bat ihn um rasche Tätigkeit, dem
Regenten seien Freuden und Zerstreuungen nur nach Erfüllung seiner Pflichten
erlaubt. Nach diesen Grundsätzen möge er handeln, dann würde ihr mütter¬
licher Segen sein Teil, und was unendlich mehr sei, Gottes Wohlgefallen sein
Eigentum sein.




Aus dem griechischen Erzgebirge
Aarl Dieterich von

!er in Fallmerayers „Fragmenten aus dem Orient" im neunten
Stück (Hagion Oros oder der heilige Berg Athos) die herrlichen
Naturschilderungen gelesen hat, die ihn in einen romantischen
Urwaldzauber einspinnen und ihn trotz der Versicherung des
! Verfassers, das Bild sei nicht phantastisch, sondern naturgetreu,
manchmal an der Wahrheit der Schilderungen irre werden lassen, und wer
dann einige Seiten weiter jene mit Bangen um ihre Vernichtung gemischte


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[0336] Aus dem griechischen Erzgebirge wieder entreißen lassen, sondern es im Notfalle mit ihren Armen verteidigen. Die alten Stände aber wandten sich von neuem an den Bundestag, auch der Bückeburger mischte sich aus freundnachbarlicher Eifersucht ein, und schließlich entschied die Rcklamationskommission, die Regentin Hütte die frühere Verfassung nicht einseitig auflösen dürfen und solle mit der Einführung der neuen Ver¬ fassung warten. Pauline fügte sich dem Rechte des Stärkern, war aber auch zu keinem Vermittlungsvorschlage geneigt; sie wollte lieber ihren ganzen Plan aufgeben „wie einen frommen Traum als eine Adelskammer und etwas fremd¬ artiges ganz schreiender Natur darin aufnehmen, lieber ein zartes Kind ver¬ klären sehen im schönen Reiche der Ideen, als verderben, gemein werden und jahrelang dahinwelken". So gelangte weder das neue Staatsgrundgesetz zur Wirksamkeit, noch wurden die alten Landstände wieder berufen. Erst nach mehr als sechzehn Jahren, im Jahre 1836 kam ein Ausgleich zustande. Pauline sehnte sich nach Ruhe. Als die Karlsbader Beschlüsse dem Bundes¬ tage aufgezwungen waren, freute sie sich, dem Grabe näher zu sein als der Blütezeit des Lebens. Ungern wollte sie eine zweite, der französischen ähnliche Revolution erleben. Das Jahr 1848 blieb ihr erspart. Sie starb am 28. De¬ zember 1820, nachdem sie gerade sechs Monate vorher ihrem Sohne Leopold, der inzwischen schon vierundzwanzig Jahre alt geworden war, in feierlicher Versammlung die Negierung abgetreten hatte. Die Worte, mit denen sie sich in ihrer Abschiedsrede an den jungen Fürsten wandte, sind das Bekenntnis einer edeln Frauenseele und wahrhaft fürstlicher Gesinnung. Sie empfahl ihm, nie jemand zu verdammen, der sich noch nicht verteidigen könne, nie auf Günst¬ linge zu hören, gut und sorgsam im Kleinen wie im Großen hauszuhalten, um der christlichen Tugend der Wohltätigkeit, dem fürstlichen Vorzuge der Gro߬ mut sich nicht entziehen zu brauchen. Sie bat ihn um rasche Tätigkeit, dem Regenten seien Freuden und Zerstreuungen nur nach Erfüllung seiner Pflichten erlaubt. Nach diesen Grundsätzen möge er handeln, dann würde ihr mütter¬ licher Segen sein Teil, und was unendlich mehr sei, Gottes Wohlgefallen sein Eigentum sein. Aus dem griechischen Erzgebirge Aarl Dieterich von !er in Fallmerayers „Fragmenten aus dem Orient" im neunten Stück (Hagion Oros oder der heilige Berg Athos) die herrlichen Naturschilderungen gelesen hat, die ihn in einen romantischen Urwaldzauber einspinnen und ihn trotz der Versicherung des ! Verfassers, das Bild sei nicht phantastisch, sondern naturgetreu, manchmal an der Wahrheit der Schilderungen irre werden lassen, und wer dann einige Seiten weiter jene mit Bangen um ihre Vernichtung gemischte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/336>, abgerufen am 24.07.2024.