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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Der Marquis von (Larabas
palle Rosenkrantz Roman von
Drittes Kapitel

(worin berichtet wird, was die Neuvermählten auf Steensgaard erleben, und worin Kalks Motive
endlich -- und es ist die höchste Zeit -- offen und klar an den Tag gelegt werden)

lörgen Steenfeld hatte nach und nach seine alten Gewohnheiten wieder
aufgenommen -- er jagte, ritt und tat andern Müßiggang. Das
schaffte ihm etwas Erleichterung. Nun war er ein halbes Jahr lang
mit seiner Frau auf der Hochzeitsreise gewesen, hatte den galanten
Igel gespielt, wie er selbst meinte, und war dennoch der Sache um
! keinen Schritt näher gekommen. Eigentlich lag es nur daran, daß
er zu viel Respekt vor seiner Frau hatte; er vermochte sie niemals recht nach Herzens¬
lust zu "nehmen"; denn er fürchtete, daß sie vielleicht zu denen gehörte, die sich
überhaupt nicht "nehmen" lassen. Sie war immer so ruhig -- so kühl. Reizend
war sie freilich schon, fein und auch hübsch -- bloß etwas zu mager und, wie
gesagt, viel zu kühl. Verliebt in sie konnte er somit nicht sein, und sie zu lieben,
war ihm ja nicht erlaubt. Sie verstand es nicht, sich ihm aus ganzem Herzen hin¬
zugeben.

Doch diesem Spiel, gleich einer Fremden in seinem Hause zu wohnen, mußte
unbedingt ein Ende gemacht werden. Sie hätte ihm gut ein wenig entgegen¬
kommen können, und es ärgerte ihn, daß sie es nicht tat. Er hatte den festen
Entschluß gefaßt, nie und nimmermehr an die alten schönen Tage zu denken, und
dennoch dachte er jeden einzigen Tag daran -- die Frau seines Gutsverwalters
bekam er ja täglich zu Gesicht, und er wußte auch, wie die beiden Menschen mit¬
einander lebten. Im Grunde genommen herrschte zwischen Kattrups Haushalt und
dem seinigen kein allzu großer Unterschied. Das Zusammenleben zwischen Mann
und Frau kann ja von sehr verschiedner Art sein, und mit Jörgens Lebensweise
war es beinahe ebenso bestellt wie mit Kattrups.

Auf die Dauer aber glaubte er es nicht ertragen zu können. Er war ja jung,
wußte, daß er schön war, und leben will man doch natürlich so, ^ wie man es liebt,
nicht etwa als wohlerzogner Stammhausbesitzer und werdender Lehnsgraf, der an
die Erbfolge zu denken hat, sondern als ein Mann. Zum Teufel noch mal!

Über diese Geschichte hier konnte man wirklich hitzig werden. Doch um sie
beizulegen, mußten viele Worte gemacht werden, und jedes lange Gerede haßte er.
O, wie vermißte er doch seine kleine, sonnige, zärtliche Helga!

Was er seiner Gattin schuldete, war ihm durchaus nicht unbekannt, aber
schließlich gibt es doch Grenzen für die Geduld eines Mannes, und er hatte ja
selbst Schaden dabei. Vielleicht konnte sie ihm gar nicht das sein, was ein Weib
seinem Manne, wenigstens in den ersten Jahren, immer sein muß: seine Geliebte.
Und er mußte doch jemand zum Lieben, zum wirklichen Lieben haben.

Das wär der Inhalt seines Philosophierens, wenn der Marquis von Carabas
den Weg hinabritt oder mit der Büchse auf dem Rücken durch den Wald schweifte.




Der Marquis von (Larabas
palle Rosenkrantz Roman von
Drittes Kapitel

(worin berichtet wird, was die Neuvermählten auf Steensgaard erleben, und worin Kalks Motive
endlich — und es ist die höchste Zeit — offen und klar an den Tag gelegt werden)

lörgen Steenfeld hatte nach und nach seine alten Gewohnheiten wieder
aufgenommen — er jagte, ritt und tat andern Müßiggang. Das
schaffte ihm etwas Erleichterung. Nun war er ein halbes Jahr lang
mit seiner Frau auf der Hochzeitsreise gewesen, hatte den galanten
Igel gespielt, wie er selbst meinte, und war dennoch der Sache um
! keinen Schritt näher gekommen. Eigentlich lag es nur daran, daß
er zu viel Respekt vor seiner Frau hatte; er vermochte sie niemals recht nach Herzens¬
lust zu „nehmen"; denn er fürchtete, daß sie vielleicht zu denen gehörte, die sich
überhaupt nicht „nehmen" lassen. Sie war immer so ruhig — so kühl. Reizend
war sie freilich schon, fein und auch hübsch — bloß etwas zu mager und, wie
gesagt, viel zu kühl. Verliebt in sie konnte er somit nicht sein, und sie zu lieben,
war ihm ja nicht erlaubt. Sie verstand es nicht, sich ihm aus ganzem Herzen hin¬
zugeben.

Doch diesem Spiel, gleich einer Fremden in seinem Hause zu wohnen, mußte
unbedingt ein Ende gemacht werden. Sie hätte ihm gut ein wenig entgegen¬
kommen können, und es ärgerte ihn, daß sie es nicht tat. Er hatte den festen
Entschluß gefaßt, nie und nimmermehr an die alten schönen Tage zu denken, und
dennoch dachte er jeden einzigen Tag daran — die Frau seines Gutsverwalters
bekam er ja täglich zu Gesicht, und er wußte auch, wie die beiden Menschen mit¬
einander lebten. Im Grunde genommen herrschte zwischen Kattrups Haushalt und
dem seinigen kein allzu großer Unterschied. Das Zusammenleben zwischen Mann
und Frau kann ja von sehr verschiedner Art sein, und mit Jörgens Lebensweise
war es beinahe ebenso bestellt wie mit Kattrups.

Auf die Dauer aber glaubte er es nicht ertragen zu können. Er war ja jung,
wußte, daß er schön war, und leben will man doch natürlich so, ^ wie man es liebt,
nicht etwa als wohlerzogner Stammhausbesitzer und werdender Lehnsgraf, der an
die Erbfolge zu denken hat, sondern als ein Mann. Zum Teufel noch mal!

Über diese Geschichte hier konnte man wirklich hitzig werden. Doch um sie
beizulegen, mußten viele Worte gemacht werden, und jedes lange Gerede haßte er.
O, wie vermißte er doch seine kleine, sonnige, zärtliche Helga!

Was er seiner Gattin schuldete, war ihm durchaus nicht unbekannt, aber
schließlich gibt es doch Grenzen für die Geduld eines Mannes, und er hatte ja
selbst Schaden dabei. Vielleicht konnte sie ihm gar nicht das sein, was ein Weib
seinem Manne, wenigstens in den ersten Jahren, immer sein muß: seine Geliebte.
Und er mußte doch jemand zum Lieben, zum wirklichen Lieben haben.

Das wär der Inhalt seines Philosophierens, wenn der Marquis von Carabas
den Weg hinabritt oder mit der Büchse auf dem Rücken durch den Wald schweifte.


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[0635] [Abbildung] Der Marquis von (Larabas palle Rosenkrantz Roman von Drittes Kapitel (worin berichtet wird, was die Neuvermählten auf Steensgaard erleben, und worin Kalks Motive endlich — und es ist die höchste Zeit — offen und klar an den Tag gelegt werden) lörgen Steenfeld hatte nach und nach seine alten Gewohnheiten wieder aufgenommen — er jagte, ritt und tat andern Müßiggang. Das schaffte ihm etwas Erleichterung. Nun war er ein halbes Jahr lang mit seiner Frau auf der Hochzeitsreise gewesen, hatte den galanten Igel gespielt, wie er selbst meinte, und war dennoch der Sache um ! keinen Schritt näher gekommen. Eigentlich lag es nur daran, daß er zu viel Respekt vor seiner Frau hatte; er vermochte sie niemals recht nach Herzens¬ lust zu „nehmen"; denn er fürchtete, daß sie vielleicht zu denen gehörte, die sich überhaupt nicht „nehmen" lassen. Sie war immer so ruhig — so kühl. Reizend war sie freilich schon, fein und auch hübsch — bloß etwas zu mager und, wie gesagt, viel zu kühl. Verliebt in sie konnte er somit nicht sein, und sie zu lieben, war ihm ja nicht erlaubt. Sie verstand es nicht, sich ihm aus ganzem Herzen hin¬ zugeben. Doch diesem Spiel, gleich einer Fremden in seinem Hause zu wohnen, mußte unbedingt ein Ende gemacht werden. Sie hätte ihm gut ein wenig entgegen¬ kommen können, und es ärgerte ihn, daß sie es nicht tat. Er hatte den festen Entschluß gefaßt, nie und nimmermehr an die alten schönen Tage zu denken, und dennoch dachte er jeden einzigen Tag daran — die Frau seines Gutsverwalters bekam er ja täglich zu Gesicht, und er wußte auch, wie die beiden Menschen mit¬ einander lebten. Im Grunde genommen herrschte zwischen Kattrups Haushalt und dem seinigen kein allzu großer Unterschied. Das Zusammenleben zwischen Mann und Frau kann ja von sehr verschiedner Art sein, und mit Jörgens Lebensweise war es beinahe ebenso bestellt wie mit Kattrups. Auf die Dauer aber glaubte er es nicht ertragen zu können. Er war ja jung, wußte, daß er schön war, und leben will man doch natürlich so, ^ wie man es liebt, nicht etwa als wohlerzogner Stammhausbesitzer und werdender Lehnsgraf, der an die Erbfolge zu denken hat, sondern als ein Mann. Zum Teufel noch mal! Über diese Geschichte hier konnte man wirklich hitzig werden. Doch um sie beizulegen, mußten viele Worte gemacht werden, und jedes lange Gerede haßte er. O, wie vermißte er doch seine kleine, sonnige, zärtliche Helga! Was er seiner Gattin schuldete, war ihm durchaus nicht unbekannt, aber schließlich gibt es doch Grenzen für die Geduld eines Mannes, und er hatte ja selbst Schaden dabei. Vielleicht konnte sie ihm gar nicht das sein, was ein Weib seinem Manne, wenigstens in den ersten Jahren, immer sein muß: seine Geliebte. Und er mußte doch jemand zum Lieben, zum wirklichen Lieben haben. Das wär der Inhalt seines Philosophierens, wenn der Marquis von Carabas den Weg hinabritt oder mit der Büchse auf dem Rücken durch den Wald schweifte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/635>, abgerufen am 27.06.2024.