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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Gstafrikanische Gisenbahnpolitik
Rudolf ZVagner von in Berlin

it geteilten Gefühlen hat man in kolonialen Kreisen von Dern-
burgs afrikanischen Eisenbahnplünen Kenntnis genommen. In
die Freude, daß unter Dernburg die Kolonialverwaltung endlich
die frühere falsche Bescheidenheit abgestreift hat und frank und
frei von der Volksvertretung für die Erschließung der Kolonien
das verlangt, was schon lange nottut, mischt sich die Erkenntnis, daß sich der
Staatssekretär hinsichtlich Ostafrikas einseitig festgelegt hat. Während man
seine Forderungen für Südwestafrika, Kamerun und Togo mit geringen Ein¬
schränkungen nur gutheißen kann, wird sich bei den meisten Kennern Ostafrikas
energischer Widerspruch erheben. Denn die ostafrikanische Eisenbahnvorlage
entspricht nicht nur in keiner Weise den wirklichen Bedürfnissen der Kolonie,
sondern birgt sogar eine ernste Gefahr für deren Entwicklung in sich. Dernburg
verlangt die Mittel zum Weiterbau der "Zentralbahn" nach Tabora (700 Kilo¬
meter), die "Nordbahn" (verlängerte Usambarabahn) wird mit ganzen 45 Kilo¬
metern abgespeist, die "Südbahn" füllt ganz unter den Tisch. Alle Erkundungen
und Feststelln.,gen der alten erfahrnen Kenner der wirtschaftlichen Verhältnisse
Ostafrikas sind damit schlankweg beiseite geschoben. An ihre Stelle tritt eine
reine Interessenpolitik, dies ist jedem klar, der die Entwicklung der Frage verfolgt
hat. Ich kann mich in der Schilderung der nähern Umstände kurz fassen, da
diese im letzten Jahrgang (Heft 21) schon eingehend gewürdigt worden sind.

Die Sachlage ist kurz die, daß in Ostafrika die entwicklungsfähigsten Ge¬
biete nur in geringem Umfang in Küstennähe, vorwiegend vielmehr in den
zentralen Hochländern liegen, am Viktoriasee, am Tanganjikasee und am
Nhassasee, also bis zu tausend und mehr Kilometern von der Küste entfernt.
Ohne Eisenbahnen sind diese Gebiete also nicht nutzbar zu machen, denn den
teuern Transport durch Träger, die wochenlang unterwegs sind, vertragen
nur Produkte mit hohem Marktwert wie Elfenbein und Kautschuk. Das


Grenzboten I 1908 77


Gstafrikanische Gisenbahnpolitik
Rudolf ZVagner von in Berlin

it geteilten Gefühlen hat man in kolonialen Kreisen von Dern-
burgs afrikanischen Eisenbahnplünen Kenntnis genommen. In
die Freude, daß unter Dernburg die Kolonialverwaltung endlich
die frühere falsche Bescheidenheit abgestreift hat und frank und
frei von der Volksvertretung für die Erschließung der Kolonien
das verlangt, was schon lange nottut, mischt sich die Erkenntnis, daß sich der
Staatssekretär hinsichtlich Ostafrikas einseitig festgelegt hat. Während man
seine Forderungen für Südwestafrika, Kamerun und Togo mit geringen Ein¬
schränkungen nur gutheißen kann, wird sich bei den meisten Kennern Ostafrikas
energischer Widerspruch erheben. Denn die ostafrikanische Eisenbahnvorlage
entspricht nicht nur in keiner Weise den wirklichen Bedürfnissen der Kolonie,
sondern birgt sogar eine ernste Gefahr für deren Entwicklung in sich. Dernburg
verlangt die Mittel zum Weiterbau der „Zentralbahn" nach Tabora (700 Kilo¬
meter), die „Nordbahn" (verlängerte Usambarabahn) wird mit ganzen 45 Kilo¬
metern abgespeist, die „Südbahn" füllt ganz unter den Tisch. Alle Erkundungen
und Feststelln.,gen der alten erfahrnen Kenner der wirtschaftlichen Verhältnisse
Ostafrikas sind damit schlankweg beiseite geschoben. An ihre Stelle tritt eine
reine Interessenpolitik, dies ist jedem klar, der die Entwicklung der Frage verfolgt
hat. Ich kann mich in der Schilderung der nähern Umstände kurz fassen, da
diese im letzten Jahrgang (Heft 21) schon eingehend gewürdigt worden sind.

Die Sachlage ist kurz die, daß in Ostafrika die entwicklungsfähigsten Ge¬
biete nur in geringem Umfang in Küstennähe, vorwiegend vielmehr in den
zentralen Hochländern liegen, am Viktoriasee, am Tanganjikasee und am
Nhassasee, also bis zu tausend und mehr Kilometern von der Küste entfernt.
Ohne Eisenbahnen sind diese Gebiete also nicht nutzbar zu machen, denn den
teuern Transport durch Träger, die wochenlang unterwegs sind, vertragen
nur Produkte mit hohem Marktwert wie Elfenbein und Kautschuk. Das


Grenzboten I 1908 77
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[0605] [Abbildung] Gstafrikanische Gisenbahnpolitik Rudolf ZVagner von in Berlin it geteilten Gefühlen hat man in kolonialen Kreisen von Dern- burgs afrikanischen Eisenbahnplünen Kenntnis genommen. In die Freude, daß unter Dernburg die Kolonialverwaltung endlich die frühere falsche Bescheidenheit abgestreift hat und frank und frei von der Volksvertretung für die Erschließung der Kolonien das verlangt, was schon lange nottut, mischt sich die Erkenntnis, daß sich der Staatssekretär hinsichtlich Ostafrikas einseitig festgelegt hat. Während man seine Forderungen für Südwestafrika, Kamerun und Togo mit geringen Ein¬ schränkungen nur gutheißen kann, wird sich bei den meisten Kennern Ostafrikas energischer Widerspruch erheben. Denn die ostafrikanische Eisenbahnvorlage entspricht nicht nur in keiner Weise den wirklichen Bedürfnissen der Kolonie, sondern birgt sogar eine ernste Gefahr für deren Entwicklung in sich. Dernburg verlangt die Mittel zum Weiterbau der „Zentralbahn" nach Tabora (700 Kilo¬ meter), die „Nordbahn" (verlängerte Usambarabahn) wird mit ganzen 45 Kilo¬ metern abgespeist, die „Südbahn" füllt ganz unter den Tisch. Alle Erkundungen und Feststelln.,gen der alten erfahrnen Kenner der wirtschaftlichen Verhältnisse Ostafrikas sind damit schlankweg beiseite geschoben. An ihre Stelle tritt eine reine Interessenpolitik, dies ist jedem klar, der die Entwicklung der Frage verfolgt hat. Ich kann mich in der Schilderung der nähern Umstände kurz fassen, da diese im letzten Jahrgang (Heft 21) schon eingehend gewürdigt worden sind. Die Sachlage ist kurz die, daß in Ostafrika die entwicklungsfähigsten Ge¬ biete nur in geringem Umfang in Küstennähe, vorwiegend vielmehr in den zentralen Hochländern liegen, am Viktoriasee, am Tanganjikasee und am Nhassasee, also bis zu tausend und mehr Kilometern von der Küste entfernt. Ohne Eisenbahnen sind diese Gebiete also nicht nutzbar zu machen, denn den teuern Transport durch Träger, die wochenlang unterwegs sind, vertragen nur Produkte mit hohem Marktwert wie Elfenbein und Kautschuk. Das Grenzboten I 1908 77

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/605>, abgerufen am 27.06.2024.