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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Englische Porträtkunst

Dafür wurde nun sein Bruder Friedrich von seiner Frau verhätschelt. Die war
ein ganz andres Blut: Dorothea Veit, die Gattin eines Bankiers, die Tochter
Moses Mendelssohns, also aus dem Cercle jener temperamentvollen Jüdinnen,
die in der Berliner Gesellschaft zuerst den ästhetisierenden Ton anschlugen. Bei
Henriette Herz hatte sie Friedrich 1798 zuerst gesehen, und sie hatte sich ihm
zuliebe scheiden lassen. In Jena lebten sie jetzt miteinander unbedenklich im
Hause Wilhelms. ..wie die Patriarchen". Erst 1802 ließen sie sich trauen.
Ihr Witz, der oft geistvoller schien, als er war, zog ihn an, und. das Harte,
das sie hatte, und das sich in den teilweise starken, männlichen Zügen ihres
Gesichtes ausdrückte, stieß ihn nicht ab. Er versicherte, daß er das Göttliche
lieber zu hart als zu zierlich möge, und daß es ihn an der Geliebten nicht
irre. Die Androgync hatte er in ihr gefunden, den Ganzmenschen, in dem
Männlichkeit und Weiblichkeit zu einer Einheit zusammenfließen. Sie war. nach
seinen Worten, sehr einfach und hatte für nichts in und außer der Welt Sinn
als für Liebe, Musik, Witz und Philosophie. "In ihren Armen habe ich meine
Jugend wiedergefunden, und ich kann sie mir jetzt gar nicht aus meinem Leben
wegdenken." Dorothea war eher häßlich als schön, auch um sieben Jahre älter
als ihr Mann. Fichte und Schleiermacher haben sie besonders geschützt. Sie
war immer heiter und offen, dabei praktisch im Handeln und gewandt im Mit¬
arbeiten mit ihrem Mann. Nie wollte sie über ihm stehn; sie hatte das Talent
des Sichuntervrdnens. Unwirtschaftlich und selbstsüchtig, wie er war, nahm
er ihre Stütze. Und der Bequeme wurde fortan immer bequemer und ani¬
malischer. Und wie sein Doppelkinn immer runder wurde, wurde sein Geist
immer gesättigter von Ideen und Ideen und immer unfähiger, dieser Jdeenmasse
zu einem Leben zu verhelfen. Nicht ungeschickt hat Dorothea seine Schmer-
beweglichkeit gekennzeichnet, wenn sie sagte, er sei. was die Orgel unter den
Instrumenten, die Orchideenblüte unter den Blumen, die Pfirsiche unter den
Früchten. Doch dies Hingleiten zu der "immer stumpfer werdenden Behäbig¬
keit eines Haremsweibes" lag noch nicht in seiner Jenenser Zeit.




Englische Porträtkunst
Zur Ausstellung in der Berliner Akademie vom 27. Januar bis 25. Februar

se das nisi'i-)' "M Lug'Jana eine Erfindung der Litcrar- und Kultur-
Historiker? Wer dieses England liebt, hätte in der jetzt zu Ende
gegangnen Ausstellung, von deren verdientem Erfolge die Tages¬
zeitungen berichtet haben, eine Enttäuschung erleben können. Es ist
eine Kunst der "Könige und großen Herren"; vergeblich wird man nach
sozialem Empfinden suchen; auch fehlt der weise Narr, der mit seinen Pritschen¬
schlägen gerade die Malvolios, die von ihrer ttuentbehrlichkeit und Vortrefflich-


Englische Porträtkunst

Dafür wurde nun sein Bruder Friedrich von seiner Frau verhätschelt. Die war
ein ganz andres Blut: Dorothea Veit, die Gattin eines Bankiers, die Tochter
Moses Mendelssohns, also aus dem Cercle jener temperamentvollen Jüdinnen,
die in der Berliner Gesellschaft zuerst den ästhetisierenden Ton anschlugen. Bei
Henriette Herz hatte sie Friedrich 1798 zuerst gesehen, und sie hatte sich ihm
zuliebe scheiden lassen. In Jena lebten sie jetzt miteinander unbedenklich im
Hause Wilhelms. ..wie die Patriarchen". Erst 1802 ließen sie sich trauen.
Ihr Witz, der oft geistvoller schien, als er war, zog ihn an, und. das Harte,
das sie hatte, und das sich in den teilweise starken, männlichen Zügen ihres
Gesichtes ausdrückte, stieß ihn nicht ab. Er versicherte, daß er das Göttliche
lieber zu hart als zu zierlich möge, und daß es ihn an der Geliebten nicht
irre. Die Androgync hatte er in ihr gefunden, den Ganzmenschen, in dem
Männlichkeit und Weiblichkeit zu einer Einheit zusammenfließen. Sie war. nach
seinen Worten, sehr einfach und hatte für nichts in und außer der Welt Sinn
als für Liebe, Musik, Witz und Philosophie. „In ihren Armen habe ich meine
Jugend wiedergefunden, und ich kann sie mir jetzt gar nicht aus meinem Leben
wegdenken." Dorothea war eher häßlich als schön, auch um sieben Jahre älter
als ihr Mann. Fichte und Schleiermacher haben sie besonders geschützt. Sie
war immer heiter und offen, dabei praktisch im Handeln und gewandt im Mit¬
arbeiten mit ihrem Mann. Nie wollte sie über ihm stehn; sie hatte das Talent
des Sichuntervrdnens. Unwirtschaftlich und selbstsüchtig, wie er war, nahm
er ihre Stütze. Und der Bequeme wurde fortan immer bequemer und ani¬
malischer. Und wie sein Doppelkinn immer runder wurde, wurde sein Geist
immer gesättigter von Ideen und Ideen und immer unfähiger, dieser Jdeenmasse
zu einem Leben zu verhelfen. Nicht ungeschickt hat Dorothea seine Schmer-
beweglichkeit gekennzeichnet, wenn sie sagte, er sei. was die Orgel unter den
Instrumenten, die Orchideenblüte unter den Blumen, die Pfirsiche unter den
Früchten. Doch dies Hingleiten zu der „immer stumpfer werdenden Behäbig¬
keit eines Haremsweibes" lag noch nicht in seiner Jenenser Zeit.




Englische Porträtkunst
Zur Ausstellung in der Berliner Akademie vom 27. Januar bis 25. Februar

se das nisi'i-)' «M Lug'Jana eine Erfindung der Litcrar- und Kultur-
Historiker? Wer dieses England liebt, hätte in der jetzt zu Ende
gegangnen Ausstellung, von deren verdientem Erfolge die Tages¬
zeitungen berichtet haben, eine Enttäuschung erleben können. Es ist
eine Kunst der „Könige und großen Herren"; vergeblich wird man nach
sozialem Empfinden suchen; auch fehlt der weise Narr, der mit seinen Pritschen¬
schlägen gerade die Malvolios, die von ihrer ttuentbehrlichkeit und Vortrefflich-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/535>, abgerufen am 22.07.2024.