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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

und eindringlichsten betätigen kann. "Wir lehren ihn, sagt er, ein gegebnes Be¬
obachtungsmaterial sorgfältig zu verarbeiten, die Erscheinungen im Menschenleben
und in der Natur zu prüfen und zu wägen und behutsam zu sein im Urteilen
und Schließen. Wir erziehen ihm eine köstliche Tugend an, die Tugend der Objek¬
tivität, die gleich wertvoll ist im intellektuellen wie im moralischen Leben, ohne
welche sich die höchste Tugend des Menschen, die Gerechtigkeit, gar nicht denken läßt."
Sehr gut ist, was er über die Schätzung der Methodik sagt: "Die heutigen Finessen
der Methodik können der schöpferischen Begabung geradezu verhängnisvoll werden.
Man nennt den einen geschickten Methodiker, der alle Schwierigkeiten im Erfassen
einer neuen Sache so zerkleinern kann, daß alle Schüler, wenn möglich gleichmäßig,
wie auf einem schiefen Asphaltpflaster in den neuen Vorstellungsinhalt hinüber-
rutschen. Dieses Lob ist aber ein sehr bedingtes. Für eine Klasse geistig armer
Schüler ist er vielleicht ein geschickter, für eine Klasse von Begabungen aller Art
ist er aber ein sehr ungeschickter Methodiker. Denn die geistige Kraft der Kinder
wächst, wie die körperliche, nur durch Überwindung von Schwierigkeiten. . . Der
allein ist der geschickteste Methodiker, der seinen Unterricht so einzurichten versteht,
daß jede Begabung die ihr angemessene Schwierigkeit findet."

Von großem Werte ist Kerschensteiners Abhandlung über die Aufgabe der
Stadtverwaltungen, über die Erziehung zur hygienischen Einsicht, über die Jugend¬
spiele und die Einrichtung der Schulhofe, und seine fünf Fundamentalsätze für die
Organisation höherer Schulen sollten von allen Schulmännern gründlich studiert
c? G. werden. Das vortreffliche Buch verdient die weiteste Verbreitung.









Maßgebliches und Unmaßgebliches

und eindringlichsten betätigen kann. „Wir lehren ihn, sagt er, ein gegebnes Be¬
obachtungsmaterial sorgfältig zu verarbeiten, die Erscheinungen im Menschenleben
und in der Natur zu prüfen und zu wägen und behutsam zu sein im Urteilen
und Schließen. Wir erziehen ihm eine köstliche Tugend an, die Tugend der Objek¬
tivität, die gleich wertvoll ist im intellektuellen wie im moralischen Leben, ohne
welche sich die höchste Tugend des Menschen, die Gerechtigkeit, gar nicht denken läßt."
Sehr gut ist, was er über die Schätzung der Methodik sagt: „Die heutigen Finessen
der Methodik können der schöpferischen Begabung geradezu verhängnisvoll werden.
Man nennt den einen geschickten Methodiker, der alle Schwierigkeiten im Erfassen
einer neuen Sache so zerkleinern kann, daß alle Schüler, wenn möglich gleichmäßig,
wie auf einem schiefen Asphaltpflaster in den neuen Vorstellungsinhalt hinüber-
rutschen. Dieses Lob ist aber ein sehr bedingtes. Für eine Klasse geistig armer
Schüler ist er vielleicht ein geschickter, für eine Klasse von Begabungen aller Art
ist er aber ein sehr ungeschickter Methodiker. Denn die geistige Kraft der Kinder
wächst, wie die körperliche, nur durch Überwindung von Schwierigkeiten. . . Der
allein ist der geschickteste Methodiker, der seinen Unterricht so einzurichten versteht,
daß jede Begabung die ihr angemessene Schwierigkeit findet."

Von großem Werte ist Kerschensteiners Abhandlung über die Aufgabe der
Stadtverwaltungen, über die Erziehung zur hygienischen Einsicht, über die Jugend¬
spiele und die Einrichtung der Schulhofe, und seine fünf Fundamentalsätze für die
Organisation höherer Schulen sollten von allen Schulmännern gründlich studiert
c? G. werden. Das vortreffliche Buch verdient die weiteste Verbreitung.









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[0356] Maßgebliches und Unmaßgebliches und eindringlichsten betätigen kann. „Wir lehren ihn, sagt er, ein gegebnes Be¬ obachtungsmaterial sorgfältig zu verarbeiten, die Erscheinungen im Menschenleben und in der Natur zu prüfen und zu wägen und behutsam zu sein im Urteilen und Schließen. Wir erziehen ihm eine köstliche Tugend an, die Tugend der Objek¬ tivität, die gleich wertvoll ist im intellektuellen wie im moralischen Leben, ohne welche sich die höchste Tugend des Menschen, die Gerechtigkeit, gar nicht denken läßt." Sehr gut ist, was er über die Schätzung der Methodik sagt: „Die heutigen Finessen der Methodik können der schöpferischen Begabung geradezu verhängnisvoll werden. Man nennt den einen geschickten Methodiker, der alle Schwierigkeiten im Erfassen einer neuen Sache so zerkleinern kann, daß alle Schüler, wenn möglich gleichmäßig, wie auf einem schiefen Asphaltpflaster in den neuen Vorstellungsinhalt hinüber- rutschen. Dieses Lob ist aber ein sehr bedingtes. Für eine Klasse geistig armer Schüler ist er vielleicht ein geschickter, für eine Klasse von Begabungen aller Art ist er aber ein sehr ungeschickter Methodiker. Denn die geistige Kraft der Kinder wächst, wie die körperliche, nur durch Überwindung von Schwierigkeiten. . . Der allein ist der geschickteste Methodiker, der seinen Unterricht so einzurichten versteht, daß jede Begabung die ihr angemessene Schwierigkeit findet." Von großem Werte ist Kerschensteiners Abhandlung über die Aufgabe der Stadtverwaltungen, über die Erziehung zur hygienischen Einsicht, über die Jugend¬ spiele und die Einrichtung der Schulhofe, und seine fünf Fundamentalsätze für die Organisation höherer Schulen sollten von allen Schulmännern gründlich studiert c? G. werden. Das vortreffliche Buch verdient die weiteste Verbreitung.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/356>, abgerufen am 27.06.2024.