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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Eine Lisenbahnfahrt von Sevilla nach Lordoba

vertreten. Leider aber Eberlein, dessen wahrhaft unmögliche "Pallas Athene",
die vor einem wagenradgroszen Lorbeerkranz ihre nackten Glieder reckt, eines der
wenigen Werke ist, die unter dem Niveau der Ausstellung bleiben.

Auch eine kleine Architekturabteilung ist vorhanden, leider lange nicht von
der Bedeutung, die sie auf der vorjährigen Akademieausstellung hatte. Am er¬
freulichsten berühren die Entwürfe von Otto March Mharlottenburg) zu kleinen
Kirchenbauten im Rheinlande. March arbeitet hier ohne Materialvergeudung
in einfachen Formen, die sich dem späten Rokoko nähern, da aus ihm der
Louis Seize-Stil entwächst: vor allem scheint rühmenswert, wie geschickt er die
Turmanlagen für die Gesamtwirkung heranzieht! Mit allem Nachdruck sind da¬
gegen die Entwürfe Franz Schwechtens, des Erbauers der Kaiser-Wilhelm-
Gedächtnis kirche, für die geplanten Kölner Nheinbrücken zu bekämpfen. Auch
hier wieder die sinnlose Verbindung von moderner sachlicher Eisenkonstruktion
mit mittelalterlichen Portalen. Pfeilern und Galerien, beinahe Kreuzgängen --
glaubten die Kölner, ihren historischen Sinn in allen Ehren, diese Konzession
dem Stadtbilde machen zu müssen? Sind wir in der Tat immer noch nicht
aus der unglücklichen Periode der gotischen Bahnhöfe, der Renaissancepostämter
und der Villen im Raubritterburgenstil heraus? In Köln werden jetzt die
Direktorenposten der beiden hochbedeutenden Sammlungen, des Wallraf-Richartz-
und des Kunstgewerbemuseums, mit neuen Männern besetzt: möchte ihrer Wirk¬
samkeit ein Erfolg auch über die Museumsmauern hinaus in die Tiefe und
Dr. Walter Loben Weite beschieden sein!




(Line (Lisenbahnfahrt von Sevilla nach (Lordoba
Martin Andersen Nexö Reisebilder von

! inen ganzen Monat hat Sevilla uns festgehalten, nun aber muß
es ein Ende haben. Eines Tages gleich nach Neujahr entschließen
wir uns kurzerhand, rollen zum letztenmal durch die alle Sinne
weichlich betörende Stadt und setzen uns in den Zug, der nach
Cordoba geht.

Es ist Abgangszeit, aber der Zug rührt sich nicht vom Fleck.
Es vergeht eine Viertel-, eine halbe Stunde, immer noch kommen Leute und
steigen ein. Hier aber gibt es keinen, der von seinem Platze aus dem Neuan¬
kömmling zornige Blicke' zuwirft, keinen, der die Waggontür zuhält, um ihn aus¬
zusperren, oder ihm ein Bein stellt, wenn er mit seinem Reisegepäck mühsam
heraufklimmt. "Hier ist Platz, kommen Sie her!" rufen sie dem Suchenden zu,
selbst wenn alle Plätze besetzt sind. Und als er zögert, sagt einer: "So steigen
Sie doch ein, Mann; ich fahre nicht weiter als bis zur nächsten Station und
kann recht gut stehn." Dienstwillige Hände ergreifen sein Gepäck und bringen
es unter den Bänken unter, und er selbst kommt Hintennach, heiß und schwei߬
bedeckt und stellt sich mit dem Rücken an das andre Fenster; er sei zuletzt ge¬
kommen, und er wolle stehn, nichts sei ihm so zuträglich wie das Stehen, der


Eine Lisenbahnfahrt von Sevilla nach Lordoba

vertreten. Leider aber Eberlein, dessen wahrhaft unmögliche „Pallas Athene",
die vor einem wagenradgroszen Lorbeerkranz ihre nackten Glieder reckt, eines der
wenigen Werke ist, die unter dem Niveau der Ausstellung bleiben.

Auch eine kleine Architekturabteilung ist vorhanden, leider lange nicht von
der Bedeutung, die sie auf der vorjährigen Akademieausstellung hatte. Am er¬
freulichsten berühren die Entwürfe von Otto March Mharlottenburg) zu kleinen
Kirchenbauten im Rheinlande. March arbeitet hier ohne Materialvergeudung
in einfachen Formen, die sich dem späten Rokoko nähern, da aus ihm der
Louis Seize-Stil entwächst: vor allem scheint rühmenswert, wie geschickt er die
Turmanlagen für die Gesamtwirkung heranzieht! Mit allem Nachdruck sind da¬
gegen die Entwürfe Franz Schwechtens, des Erbauers der Kaiser-Wilhelm-
Gedächtnis kirche, für die geplanten Kölner Nheinbrücken zu bekämpfen. Auch
hier wieder die sinnlose Verbindung von moderner sachlicher Eisenkonstruktion
mit mittelalterlichen Portalen. Pfeilern und Galerien, beinahe Kreuzgängen —
glaubten die Kölner, ihren historischen Sinn in allen Ehren, diese Konzession
dem Stadtbilde machen zu müssen? Sind wir in der Tat immer noch nicht
aus der unglücklichen Periode der gotischen Bahnhöfe, der Renaissancepostämter
und der Villen im Raubritterburgenstil heraus? In Köln werden jetzt die
Direktorenposten der beiden hochbedeutenden Sammlungen, des Wallraf-Richartz-
und des Kunstgewerbemuseums, mit neuen Männern besetzt: möchte ihrer Wirk¬
samkeit ein Erfolg auch über die Museumsmauern hinaus in die Tiefe und
Dr. Walter Loben Weite beschieden sein!




(Line (Lisenbahnfahrt von Sevilla nach (Lordoba
Martin Andersen Nexö Reisebilder von

! inen ganzen Monat hat Sevilla uns festgehalten, nun aber muß
es ein Ende haben. Eines Tages gleich nach Neujahr entschließen
wir uns kurzerhand, rollen zum letztenmal durch die alle Sinne
weichlich betörende Stadt und setzen uns in den Zug, der nach
Cordoba geht.

Es ist Abgangszeit, aber der Zug rührt sich nicht vom Fleck.
Es vergeht eine Viertel-, eine halbe Stunde, immer noch kommen Leute und
steigen ein. Hier aber gibt es keinen, der von seinem Platze aus dem Neuan¬
kömmling zornige Blicke' zuwirft, keinen, der die Waggontür zuhält, um ihn aus¬
zusperren, oder ihm ein Bein stellt, wenn er mit seinem Reisegepäck mühsam
heraufklimmt. „Hier ist Platz, kommen Sie her!" rufen sie dem Suchenden zu,
selbst wenn alle Plätze besetzt sind. Und als er zögert, sagt einer: „So steigen
Sie doch ein, Mann; ich fahre nicht weiter als bis zur nächsten Station und
kann recht gut stehn." Dienstwillige Hände ergreifen sein Gepäck und bringen
es unter den Bänken unter, und er selbst kommt Hintennach, heiß und schwei߬
bedeckt und stellt sich mit dem Rücken an das andre Fenster; er sei zuletzt ge¬
kommen, und er wolle stehn, nichts sei ihm so zuträglich wie das Stehen, der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/34>, abgerufen am 27.06.2024.