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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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cLIeon Rangabe und seine Werke

aus Backsteinen, zehn Fuß unter dem Wasserspiegel, von den Marmorsäulen,
die den Turm der Burg getragen, fabelte. Jene drei bemerkten Pfeiler, die
bei niedrigem Wasserstand so weit hervorragen sollten, daß die Fischer ihre
Netze darauf trocknen könnten, hat niemand später je in jener Gegend gesehen
oder von ihnen gehört."

Damit hatten die Fabelerzählungen nun allerdings ihren Höhepunkt er¬
reicht. Die nüchterne Forschung der wiedergebornen Geschichtswissenschaft
setzte ein und klärte die Entstehung der merkwürdigen Sage auf. Über einzelne
Punkte besteht wohl noch mancher Streit unter den Gelehrten, aber in allem
wesentlichen hat doch Barthold mit seiner klaren und überzeugenden Auf¬
deckung aller Quellen und Zuflüsse der Sage Recht behalten. Die Genauig¬
keit, mit der man die allmähliche Ausgestaltung der Sage aus anfänglich
mißverstandncn historischen Berichten unter Beimischung volkstümlicher Sagen-
mvtive verfolgen kann, hat etwas Ungewöhnliches und Verblüffendes. Aber
es wäre schade, wenn die Kenntnis dieses eigentümlichen Prozesses, der in
geschichtlicher und psychologischer Beziehung soviel Belehrendes enthält, weiten
Kreisen verloren ginge, anstatt besondrer Aufmerksamkeit gewürdigt zu werden.




(Lleon Rangabe und seine Werke
Ulara Finale von

em Wirken des hervorragendsten griechischen Dichters der Jetztzeit,
dessen Schöpfungen, soweit sie übersetzt worden sind, auch in
Deutschland mit Begeistrung aufgenommen wurden, seien diese
Zeilen in der Annahme gewidmet, daß seine Kunstrichtung und
der Inhalt seiner Dramen die Teilnahme unsrer Leser erwecken
werden. Ist doch der Einfluß deutschen Geisteslebens auf Ncmgcibc, als den
Vorkämpfer des Humanitätsgedankcns, insbesondre durch Goethes Faust und
Egmont, unverkennbar, und die Wesensart des Dichters, die in der zarten
Keuschheit seiner edeln Frauencharaktere zutage tritt, erinnert uns an Schiller.
In der dramatischen Gestaltungskraft aber kommt er dem großen Briten nahe.
Und wie Shakespeare durch Dramntisieruug der Hauptperioden der englischen
Nativnalgeschichte die historische Vergangenheit seines Vaterlandes belebte, so
setzte es sichNangabe zur Lebensaufgabe, eine Serie von chronologisch aufeinander
folgenden Schauspielen zu verfassen, die in der Geschichte Griechenlands von
einem historischen Gipfel zum andern fortschreiten. Der Dichter führt uns die tausend¬
jährige Periode vor Augen, während deren sich das griechische Kaisertum in
Byzanz durch unaufhörliche glorreiche Kämpfe gegen die von allen Seiten an¬
stürmende,? barbarischen Völker, die Perser, Goten und Avaren, Türken und


cLIeon Rangabe und seine Werke

aus Backsteinen, zehn Fuß unter dem Wasserspiegel, von den Marmorsäulen,
die den Turm der Burg getragen, fabelte. Jene drei bemerkten Pfeiler, die
bei niedrigem Wasserstand so weit hervorragen sollten, daß die Fischer ihre
Netze darauf trocknen könnten, hat niemand später je in jener Gegend gesehen
oder von ihnen gehört."

Damit hatten die Fabelerzählungen nun allerdings ihren Höhepunkt er¬
reicht. Die nüchterne Forschung der wiedergebornen Geschichtswissenschaft
setzte ein und klärte die Entstehung der merkwürdigen Sage auf. Über einzelne
Punkte besteht wohl noch mancher Streit unter den Gelehrten, aber in allem
wesentlichen hat doch Barthold mit seiner klaren und überzeugenden Auf¬
deckung aller Quellen und Zuflüsse der Sage Recht behalten. Die Genauig¬
keit, mit der man die allmähliche Ausgestaltung der Sage aus anfänglich
mißverstandncn historischen Berichten unter Beimischung volkstümlicher Sagen-
mvtive verfolgen kann, hat etwas Ungewöhnliches und Verblüffendes. Aber
es wäre schade, wenn die Kenntnis dieses eigentümlichen Prozesses, der in
geschichtlicher und psychologischer Beziehung soviel Belehrendes enthält, weiten
Kreisen verloren ginge, anstatt besondrer Aufmerksamkeit gewürdigt zu werden.




(Lleon Rangabe und seine Werke
Ulara Finale von

em Wirken des hervorragendsten griechischen Dichters der Jetztzeit,
dessen Schöpfungen, soweit sie übersetzt worden sind, auch in
Deutschland mit Begeistrung aufgenommen wurden, seien diese
Zeilen in der Annahme gewidmet, daß seine Kunstrichtung und
der Inhalt seiner Dramen die Teilnahme unsrer Leser erwecken
werden. Ist doch der Einfluß deutschen Geisteslebens auf Ncmgcibc, als den
Vorkämpfer des Humanitätsgedankcns, insbesondre durch Goethes Faust und
Egmont, unverkennbar, und die Wesensart des Dichters, die in der zarten
Keuschheit seiner edeln Frauencharaktere zutage tritt, erinnert uns an Schiller.
In der dramatischen Gestaltungskraft aber kommt er dem großen Briten nahe.
Und wie Shakespeare durch Dramntisieruug der Hauptperioden der englischen
Nativnalgeschichte die historische Vergangenheit seines Vaterlandes belebte, so
setzte es sichNangabe zur Lebensaufgabe, eine Serie von chronologisch aufeinander
folgenden Schauspielen zu verfassen, die in der Geschichte Griechenlands von
einem historischen Gipfel zum andern fortschreiten. Der Dichter führt uns die tausend¬
jährige Periode vor Augen, während deren sich das griechische Kaisertum in
Byzanz durch unaufhörliche glorreiche Kämpfe gegen die von allen Seiten an¬
stürmende,? barbarischen Völker, die Perser, Goten und Avaren, Türken und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/184>, abgerufen am 27.06.2024.