Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Skizzen und Bilder aus dem westfälischen Industriegebiete

dem Kritiker auf den Tisch wirft, nicht den rechten Anlaß. Immerhin lehrt
auch eine solche Übersicht, wenn man Lyrik und Erzählung zusammenhält,
daß immer noch unser geistiges Leben farbenreich, von Einseitigkeit weit ent¬
fernt ist, und daß neben den starken und feinen auch schwächere Individuali¬
täten abliegende, eigne Pfade zu gehn bemüht sind. Und das wäre denn
schon immer auf die Gewinnseite zu hundelt.




Skizzen und Bilder aus dem westfälischen Industrie¬
gebiete
Ü.. Die beiden Mallinghof

n einem kleinen Dorfe des westfälischen Industriegebiets, ein wenig
abseits von der Straße, steht ein altes Bauerngehöft. Ein "Großer"
wohnt dort. Niemand nennt ihn mit seinem eigentlichen Zunamen.
"Große-Mallinghof" heißt der Bauer im Volksmnnde. stattlich ist
sein Hof. stattlich ist auch sein Besitzer, eine hohe, derbe Bauern¬
gestalt mit eckigen Gesichtsformen, etwas ungeschlacht, ein echter Ab¬
kömmling des westfälischen Volksschlags. Er hat bei der Kavallerie gedient. Jeder
Bauernsohn, der etwas auf sich hält, hat den Ehrgeiz, zu Pferde zu dienen. Ich
sehe ihn öfter auf seinem kräftigen Ackerpferde in die Stadt reiten, eine prachtvolle
Erscheinung. Dann richtet sich sein langer Körper straff auf. Wie sich die Beine
dem Pferdeleibe anschmiegen, scheinen sie erst recht ihre Bestimmung zu erfüllen.
Nichts Unebenes ist dann mehr an dieser Gestalt, alles Kraft, Sicherheit, Schön¬
heit. Es ist, als ob Reiter und Roß zusammengehörten. Ich habe ihm oft be¬
wundernd nachgeschaut, wenn er an mir vorüberbrauste.

Im Verkehr ist er leicht etwas grob und hält mit seiner Meinung nicht zurück.
Aber kleinlich fand ich ihn selten. Den Bauernstolz verleugnet er nie. Bei aller
Gutmütigkeit fehlt ihm nicht eine natürliche Schlauheit.

Seine Frau, eine Bauerntochter aus der Umgegend, ist von derselben west¬
fälischen Art. Trotz ihrer Jugend -- sie zählt noch nicht fünfundzwanzig Jahre --
und trotz ihrer rastlosen Tätigkeit in Haus und Hof und Feld neigt sie schon etwas
zur Fülle. Sie ist freundlich, aber zurückhaltend, fast verschlossen, wenn das Ge¬
spräch auf persönliche Angelegenheiten kommt.

Auf dem Hofe leben die alten Eltern. Der Vater achtzigjährig. Er hat sich
auf das Altenteil zurückgezogen, aber nicht, was die Arbeit betrifft. Vom Morgen
v's zum Abend ist er tätig, bald auf dem Hofe, bald auf dem Felde, hier einen
teilt" lächernd, dort eine Hecke scherend. Seine Zeitung liest er eifrig und ur-
seinenÄ"^' ^ Gehör hat etwas gelitten. Sonst steht er noch in allem
Auch ti/A"' Vater kann mehr aushalten als ich", pflegt der Sohn zu sagen.
Nrau s...ki ^' °"-e Siebzigerin, waltet noch rüstig im Hause. Sie ist eine stille
Man un? N g°ttergeben. Der Stolz der Alten ist der dreijährige Enkelsohn.
Man nuk N " ^et, ^>loi,z i^t." ^.^"7..^
verstehn. "^"^t kennen, um ihre Empfindungen dem Erben gegenüber zu


Skizzen und Bilder aus dem westfälischen Industriegebiete

dem Kritiker auf den Tisch wirft, nicht den rechten Anlaß. Immerhin lehrt
auch eine solche Übersicht, wenn man Lyrik und Erzählung zusammenhält,
daß immer noch unser geistiges Leben farbenreich, von Einseitigkeit weit ent¬
fernt ist, und daß neben den starken und feinen auch schwächere Individuali¬
täten abliegende, eigne Pfade zu gehn bemüht sind. Und das wäre denn
schon immer auf die Gewinnseite zu hundelt.




Skizzen und Bilder aus dem westfälischen Industrie¬
gebiete
Ü.. Die beiden Mallinghof

n einem kleinen Dorfe des westfälischen Industriegebiets, ein wenig
abseits von der Straße, steht ein altes Bauerngehöft. Ein „Großer"
wohnt dort. Niemand nennt ihn mit seinem eigentlichen Zunamen.
„Große-Mallinghof" heißt der Bauer im Volksmnnde. stattlich ist
sein Hof. stattlich ist auch sein Besitzer, eine hohe, derbe Bauern¬
gestalt mit eckigen Gesichtsformen, etwas ungeschlacht, ein echter Ab¬
kömmling des westfälischen Volksschlags. Er hat bei der Kavallerie gedient. Jeder
Bauernsohn, der etwas auf sich hält, hat den Ehrgeiz, zu Pferde zu dienen. Ich
sehe ihn öfter auf seinem kräftigen Ackerpferde in die Stadt reiten, eine prachtvolle
Erscheinung. Dann richtet sich sein langer Körper straff auf. Wie sich die Beine
dem Pferdeleibe anschmiegen, scheinen sie erst recht ihre Bestimmung zu erfüllen.
Nichts Unebenes ist dann mehr an dieser Gestalt, alles Kraft, Sicherheit, Schön¬
heit. Es ist, als ob Reiter und Roß zusammengehörten. Ich habe ihm oft be¬
wundernd nachgeschaut, wenn er an mir vorüberbrauste.

Im Verkehr ist er leicht etwas grob und hält mit seiner Meinung nicht zurück.
Aber kleinlich fand ich ihn selten. Den Bauernstolz verleugnet er nie. Bei aller
Gutmütigkeit fehlt ihm nicht eine natürliche Schlauheit.

Seine Frau, eine Bauerntochter aus der Umgegend, ist von derselben west¬
fälischen Art. Trotz ihrer Jugend — sie zählt noch nicht fünfundzwanzig Jahre —
und trotz ihrer rastlosen Tätigkeit in Haus und Hof und Feld neigt sie schon etwas
zur Fülle. Sie ist freundlich, aber zurückhaltend, fast verschlossen, wenn das Ge¬
spräch auf persönliche Angelegenheiten kommt.

Auf dem Hofe leben die alten Eltern. Der Vater achtzigjährig. Er hat sich
auf das Altenteil zurückgezogen, aber nicht, was die Arbeit betrifft. Vom Morgen
v's zum Abend ist er tätig, bald auf dem Hofe, bald auf dem Felde, hier einen
teilt" lächernd, dort eine Hecke scherend. Seine Zeitung liest er eifrig und ur-
seinenÄ"^' ^ Gehör hat etwas gelitten. Sonst steht er noch in allem
Auch ti/A"' Vater kann mehr aushalten als ich", pflegt der Sohn zu sagen.
Nrau s...ki ^' °"-e Siebzigerin, waltet noch rüstig im Hause. Sie ist eine stille
Man un? N g°ttergeben. Der Stolz der Alten ist der dreijährige Enkelsohn.
Man nuk N » ^et, ^>loi,z i^t.» ^.^»7..^
verstehn. "^»^t kennen, um ihre Empfindungen dem Erben gegenüber zu


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0141" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/311222"/>
          <fw type="header" place="top"> Skizzen und Bilder aus dem westfälischen Industriegebiete</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_574" prev="#ID_573"> dem Kritiker auf den Tisch wirft, nicht den rechten Anlaß. Immerhin lehrt<lb/>
auch eine solche Übersicht, wenn man Lyrik und Erzählung zusammenhält,<lb/>
daß immer noch unser geistiges Leben farbenreich, von Einseitigkeit weit ent¬<lb/>
fernt ist, und daß neben den starken und feinen auch schwächere Individuali¬<lb/>
täten abliegende, eigne Pfade zu gehn bemüht sind. Und das wäre denn<lb/>
schon immer auf die Gewinnseite zu hundelt.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Skizzen und Bilder aus dem westfälischen Industrie¬<lb/>
gebiete</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> Ü.. Die beiden Mallinghof</head><lb/>
            <p xml:id="ID_575"> n einem kleinen Dorfe des westfälischen Industriegebiets, ein wenig<lb/>
abseits von der Straße, steht ein altes Bauerngehöft. Ein &#x201E;Großer"<lb/>
wohnt dort. Niemand nennt ihn mit seinem eigentlichen Zunamen.<lb/>
&#x201E;Große-Mallinghof" heißt der Bauer im Volksmnnde. stattlich ist<lb/>
sein Hof. stattlich ist auch sein Besitzer, eine hohe, derbe Bauern¬<lb/>
gestalt mit eckigen Gesichtsformen, etwas ungeschlacht, ein echter Ab¬<lb/>
kömmling des westfälischen Volksschlags. Er hat bei der Kavallerie gedient. Jeder<lb/>
Bauernsohn, der etwas auf sich hält, hat den Ehrgeiz, zu Pferde zu dienen. Ich<lb/>
sehe ihn öfter auf seinem kräftigen Ackerpferde in die Stadt reiten, eine prachtvolle<lb/>
Erscheinung. Dann richtet sich sein langer Körper straff auf. Wie sich die Beine<lb/>
dem Pferdeleibe anschmiegen, scheinen sie erst recht ihre Bestimmung zu erfüllen.<lb/>
Nichts Unebenes ist dann mehr an dieser Gestalt, alles Kraft, Sicherheit, Schön¬<lb/>
heit. Es ist, als ob Reiter und Roß zusammengehörten. Ich habe ihm oft be¬<lb/>
wundernd nachgeschaut, wenn er an mir vorüberbrauste.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_576"> Im Verkehr ist er leicht etwas grob und hält mit seiner Meinung nicht zurück.<lb/>
Aber kleinlich fand ich ihn selten. Den Bauernstolz verleugnet er nie. Bei aller<lb/>
Gutmütigkeit fehlt ihm nicht eine natürliche Schlauheit.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_577"> Seine Frau, eine Bauerntochter aus der Umgegend, ist von derselben west¬<lb/>
fälischen Art. Trotz ihrer Jugend &#x2014; sie zählt noch nicht fünfundzwanzig Jahre &#x2014;<lb/>
und trotz ihrer rastlosen Tätigkeit in Haus und Hof und Feld neigt sie schon etwas<lb/>
zur Fülle. Sie ist freundlich, aber zurückhaltend, fast verschlossen, wenn das Ge¬<lb/>
spräch auf persönliche Angelegenheiten kommt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_578"> Auf dem Hofe leben die alten Eltern. Der Vater achtzigjährig. Er hat sich<lb/>
auf das Altenteil zurückgezogen, aber nicht, was die Arbeit betrifft. Vom Morgen<lb/>
v's zum Abend ist er tätig, bald auf dem Hofe, bald auf dem Felde, hier einen<lb/>
teilt" lächernd, dort eine Hecke scherend. Seine Zeitung liest er eifrig und ur-<lb/>
seinenÄ"^' ^ Gehör hat etwas gelitten. Sonst steht er noch in allem<lb/>
Auch ti/A"' Vater kann mehr aushalten als ich", pflegt der Sohn zu sagen.<lb/>
Nrau s...ki ^' °"-e Siebzigerin, waltet noch rüstig im Hause. Sie ist eine stille<lb/>
Man un? N  g°ttergeben.  Der Stolz der Alten ist der dreijährige Enkelsohn.<lb/>
Man nuk N   » ^et, ^&gt;loi,z i^t.» ^.^»7..^<lb/>
verstehn.    "^»^t kennen, um ihre Empfindungen dem Erben gegenüber zu</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0141] Skizzen und Bilder aus dem westfälischen Industriegebiete dem Kritiker auf den Tisch wirft, nicht den rechten Anlaß. Immerhin lehrt auch eine solche Übersicht, wenn man Lyrik und Erzählung zusammenhält, daß immer noch unser geistiges Leben farbenreich, von Einseitigkeit weit ent¬ fernt ist, und daß neben den starken und feinen auch schwächere Individuali¬ täten abliegende, eigne Pfade zu gehn bemüht sind. Und das wäre denn schon immer auf die Gewinnseite zu hundelt. Skizzen und Bilder aus dem westfälischen Industrie¬ gebiete Ü.. Die beiden Mallinghof n einem kleinen Dorfe des westfälischen Industriegebiets, ein wenig abseits von der Straße, steht ein altes Bauerngehöft. Ein „Großer" wohnt dort. Niemand nennt ihn mit seinem eigentlichen Zunamen. „Große-Mallinghof" heißt der Bauer im Volksmnnde. stattlich ist sein Hof. stattlich ist auch sein Besitzer, eine hohe, derbe Bauern¬ gestalt mit eckigen Gesichtsformen, etwas ungeschlacht, ein echter Ab¬ kömmling des westfälischen Volksschlags. Er hat bei der Kavallerie gedient. Jeder Bauernsohn, der etwas auf sich hält, hat den Ehrgeiz, zu Pferde zu dienen. Ich sehe ihn öfter auf seinem kräftigen Ackerpferde in die Stadt reiten, eine prachtvolle Erscheinung. Dann richtet sich sein langer Körper straff auf. Wie sich die Beine dem Pferdeleibe anschmiegen, scheinen sie erst recht ihre Bestimmung zu erfüllen. Nichts Unebenes ist dann mehr an dieser Gestalt, alles Kraft, Sicherheit, Schön¬ heit. Es ist, als ob Reiter und Roß zusammengehörten. Ich habe ihm oft be¬ wundernd nachgeschaut, wenn er an mir vorüberbrauste. Im Verkehr ist er leicht etwas grob und hält mit seiner Meinung nicht zurück. Aber kleinlich fand ich ihn selten. Den Bauernstolz verleugnet er nie. Bei aller Gutmütigkeit fehlt ihm nicht eine natürliche Schlauheit. Seine Frau, eine Bauerntochter aus der Umgegend, ist von derselben west¬ fälischen Art. Trotz ihrer Jugend — sie zählt noch nicht fünfundzwanzig Jahre — und trotz ihrer rastlosen Tätigkeit in Haus und Hof und Feld neigt sie schon etwas zur Fülle. Sie ist freundlich, aber zurückhaltend, fast verschlossen, wenn das Ge¬ spräch auf persönliche Angelegenheiten kommt. Auf dem Hofe leben die alten Eltern. Der Vater achtzigjährig. Er hat sich auf das Altenteil zurückgezogen, aber nicht, was die Arbeit betrifft. Vom Morgen v's zum Abend ist er tätig, bald auf dem Hofe, bald auf dem Felde, hier einen teilt" lächernd, dort eine Hecke scherend. Seine Zeitung liest er eifrig und ur- seinenÄ"^' ^ Gehör hat etwas gelitten. Sonst steht er noch in allem Auch ti/A"' Vater kann mehr aushalten als ich", pflegt der Sohn zu sagen. Nrau s...ki ^' °"-e Siebzigerin, waltet noch rüstig im Hause. Sie ist eine stille Man un? N g°ttergeben. Der Stolz der Alten ist der dreijährige Enkelsohn. Man nuk N » ^et, ^>loi,z i^t.» ^.^»7..^ verstehn. "^»^t kennen, um ihre Empfindungen dem Erben gegenüber zu

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/141
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/141>, abgerufen am 27.06.2024.