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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Neue Romane und Novellen

er seine Schicksale hinaus in jene die Zeiten überleuchtende Welterbarmnng,
die Goethes Bajaderengedicht zu immer frischer Wirksamkeit verklärt.

Auch Joseph Laufs soll ja ein Hofdichter sein und wird, ohne daß man
ihn im übrigen etwa an Wildenbruch messen darf, mit gleichem Recht wie
dieser jene Bezeichnung ablehnen dürfen. Weil Laufs dem großen Publikum
erst dadurch bekannt wurde, daß ein schwaches Drama des Verfassers guter
und starker Epen die Aufmerksamkeit des Kaisers erregt hat, ist Laufs doch
lange noch kein Hofdichter, und am wenigsten das, was die demokratische
Presse unter dieser Bezeichnung versteht. In letzter Zeit hat er eine Reihe
von Romanen geschrieben, die bei vielen schönen Einzelheiten, insbesondre in
der Charakteristik des niederrheinischen Landes und Volkes, zu sehr im Detail
verschwammen und so keinen kräftigen Eindruck hinterließen. Zu diesem Mangel
gesellt sich in dem neuen Buch, "Die Tanzmamsell" (Berlin, G. Grote), noch
ein zweiter und sehr wesentlicher, nämlich eine Tendenz, die so stark auf¬
getragen wird, daß sie fast karikierend wirkt. Das Buch spielt während des
Kulturkampfes, und zwar in einem ultramontanen niederrheinischen Städtchen,
dessen Bevölkerung die erhitzten Gefühle der streiterfüllten Zeit an den wenigen
Gegnern in Ernst und Scherz ausläßt. Ich bin nicht prüde und lache sehr
gern, aber die Drastik der Scherze in diesem Buche häuft sich denn doch bis
über das Maß des künstlerisch Zulässigen. Ich bin natürlich gegen jeden
Ultramontanismus, aber ich empfinde vor diesem Buch, daß es denn doch
heißt, den Teufel mit Beelzebub austreiben, wenn man in einem Kunstwerk
die Tendenz bei der Schilderung der einzelnen Gestalten dermaßen ins Krasse
übertreibt wie hier. Ich habe ähnliches in den Grenzboten vom 22. No¬
vember 1906 schon gelegentlich eines andern Buches ausgesprochen und finde
gleichermaßen den künstlerischen Takt wie die Lebenswahrhaftigkeit durch die
Art der Lauffschen Erzählung verletzt.

Zum Schluß seien noch zwei anspruchslose Sammlungen von Erzählungen
angezeigt. Heinrich Sohnreh gibt in dem Buch "Robinson in der Linden¬
hütte" (Berlin, Warneck) eine Reihe einfacher Geschichten, ein rechtes Haus¬
hund zum Vorlesen bei der Lampe, behaglich hingeschrieben und behaglich
wieder zu genießen. Eduard Engel versammelt in dem Bande "Paraskewüla
und andere Novellen" (Stuttgart, Cotta) eine Anzahl von Erzählungen, die
sich gut lesen, und ohne höhere Ansprüche zu machen, das einfache Bedürfnis
einer geschmackvollen Unterhaltungslektüre (von der letzten Novelle abgesehen)
befriedigen. Wenn Engel, wie er in seiner Literaturgeschichte von sich sagt,
keinen höhern Ehrgeiz hat, als den zu erzählen, so wird man diese nicht neuen,
sondern nur in neues Gewand gebundnen Novellen gern hinnehmen.

Wo wir stehn -- die Frage warf ich vorhin auf und versuchte sie mit
Rücksicht auf den Geschmack des Publikums zu beantworten. Ihr um auch
die Autwort zu finden für den Stand unsrer erzählenden Literatur -- dazu
bietet diese Betrachtung der Werke, die der Zufall gemeinsamen Erscheinens


Neue Romane und Novellen

er seine Schicksale hinaus in jene die Zeiten überleuchtende Welterbarmnng,
die Goethes Bajaderengedicht zu immer frischer Wirksamkeit verklärt.

Auch Joseph Laufs soll ja ein Hofdichter sein und wird, ohne daß man
ihn im übrigen etwa an Wildenbruch messen darf, mit gleichem Recht wie
dieser jene Bezeichnung ablehnen dürfen. Weil Laufs dem großen Publikum
erst dadurch bekannt wurde, daß ein schwaches Drama des Verfassers guter
und starker Epen die Aufmerksamkeit des Kaisers erregt hat, ist Laufs doch
lange noch kein Hofdichter, und am wenigsten das, was die demokratische
Presse unter dieser Bezeichnung versteht. In letzter Zeit hat er eine Reihe
von Romanen geschrieben, die bei vielen schönen Einzelheiten, insbesondre in
der Charakteristik des niederrheinischen Landes und Volkes, zu sehr im Detail
verschwammen und so keinen kräftigen Eindruck hinterließen. Zu diesem Mangel
gesellt sich in dem neuen Buch, „Die Tanzmamsell" (Berlin, G. Grote), noch
ein zweiter und sehr wesentlicher, nämlich eine Tendenz, die so stark auf¬
getragen wird, daß sie fast karikierend wirkt. Das Buch spielt während des
Kulturkampfes, und zwar in einem ultramontanen niederrheinischen Städtchen,
dessen Bevölkerung die erhitzten Gefühle der streiterfüllten Zeit an den wenigen
Gegnern in Ernst und Scherz ausläßt. Ich bin nicht prüde und lache sehr
gern, aber die Drastik der Scherze in diesem Buche häuft sich denn doch bis
über das Maß des künstlerisch Zulässigen. Ich bin natürlich gegen jeden
Ultramontanismus, aber ich empfinde vor diesem Buch, daß es denn doch
heißt, den Teufel mit Beelzebub austreiben, wenn man in einem Kunstwerk
die Tendenz bei der Schilderung der einzelnen Gestalten dermaßen ins Krasse
übertreibt wie hier. Ich habe ähnliches in den Grenzboten vom 22. No¬
vember 1906 schon gelegentlich eines andern Buches ausgesprochen und finde
gleichermaßen den künstlerischen Takt wie die Lebenswahrhaftigkeit durch die
Art der Lauffschen Erzählung verletzt.

Zum Schluß seien noch zwei anspruchslose Sammlungen von Erzählungen
angezeigt. Heinrich Sohnreh gibt in dem Buch „Robinson in der Linden¬
hütte" (Berlin, Warneck) eine Reihe einfacher Geschichten, ein rechtes Haus¬
hund zum Vorlesen bei der Lampe, behaglich hingeschrieben und behaglich
wieder zu genießen. Eduard Engel versammelt in dem Bande „Paraskewüla
und andere Novellen" (Stuttgart, Cotta) eine Anzahl von Erzählungen, die
sich gut lesen, und ohne höhere Ansprüche zu machen, das einfache Bedürfnis
einer geschmackvollen Unterhaltungslektüre (von der letzten Novelle abgesehen)
befriedigen. Wenn Engel, wie er in seiner Literaturgeschichte von sich sagt,
keinen höhern Ehrgeiz hat, als den zu erzählen, so wird man diese nicht neuen,
sondern nur in neues Gewand gebundnen Novellen gern hinnehmen.

Wo wir stehn — die Frage warf ich vorhin auf und versuchte sie mit
Rücksicht auf den Geschmack des Publikums zu beantworten. Ihr um auch
die Autwort zu finden für den Stand unsrer erzählenden Literatur — dazu
bietet diese Betrachtung der Werke, die der Zufall gemeinsamen Erscheinens


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/140>, abgerufen am 29.06.2024.