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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Skizzen und Bilder aus dem westfälischen Industriegebiete

Es sind ausgeprägte Persönlichkeiten, die dieser Hof beherbergt. Jede hat
etwas für sich. Nur in einem sind sie gleich, in dem Mißtrauen, mit dem sie die
industrielle Entwicklung verfolgen, die von der großen Stadt ans ihnen immer
näher auf den Leib rückt. In ihrer Nähe wohnen schon zahlreiche Bergleute. Daß
aus ihrer Fleischkammer in einer dunkeln Nacht zuweilen einige Schinken und Würste
verschwinden, verursacht ihnen nicht geringen Ärger. Doch das verwinden sie noch.
Aber unheimlich ist ihnen das Überhandnehmen der "Roten". Und ihre größte
Klage ist, daß die Industrie ihnen soviel verdirbt. Sie hat ihnen die Arbeitskräfte
genommen und die Löhne so stark in die Höhe gedrückt. Wiesengelände ist ge¬
sunken durch den Bergwerksbetrteb. Die Zechen haben anständig bezahlen müssen.
Der Bauer freut sich des baren Geldes. Aber der Verlust ist in seinen Augen
doch größer als der Gewinn. Das schöne Land dauert ihn. Er kann sich der Er¬
kenntnis nicht verschließen, daß der gesteigerte Lebeusmittelverbrauch ihm wirtschaft¬
liche Vorteile bringt. Er nutzt die günstige Verkaufsgelegenheit in der nahen Stadt
auch voll aus. Dennoch bleibt er unzufrieden mit dem industriellen Fortschritt.
Er schimpft über die Schul- und Armenlasten, die der Gemeinde durch den Zuzug
von Arbeitern erwachsen. Er wettert gegen die Errungenschaften der Neuzeit, die
ihm nicht behagen. Ein Greuel sind ihm zum Beispiel die Automobile, weil seine
Pferde vor ihnen scheuen. Ich beklagte mich einmal über die schlechten Wege in
der Gemeinde. Da wurde mir mit überlegen lächelnder Miene die Antwort ge¬
geben: "Ja, die verbessern wir absichtlich nicht, damit wir uns diese abscheulichen
Dinger vom Halse halten." In Wirklichkeit mochten aber wohl Sparsamkeits¬
rücksichten den Ausschlag gegeben haben.

Wie lange noch -- und der Widerstand des Bauern ist gebrochen, der letzte
Hof verschwunden, Asphaltstraßen haben die holprigen Feldwege ersetzt!

Kaum ein Kilometer von dem alten Bauerngehöft entfernt liegt ein ein¬
stöckiges Backsteinbaus von verwahrlostem Aussehen an der Straße. Etwa zwanzig
bis fünfundzwanzig Jahre mag es stehn. Aber es scheint, als ob seit dem Bau
keine Hand von außen wieder daran gerührt hätte. Die roten Ziegelsteine sind unter
dem Einfluß der Schlote schwarz geworden. In den schlecht verwahrten Fugen hat
sich der Mörtel gelöst. Hier und da ist schon ein Stein herausgefallen. Ein verdorrter
Baum steht vor dem Hause. Die Straßenrinne ist gefüllt mit Abwässern.

Dort haust hinter blinden Fensterscheiben Klein-Mallinghof. Er hat vor dreißig
Jahren im Dorf auf einem eignen Hofe gesessen.

Kleiner war der Hof als der seines "großen" Nachbarn, aber schuldenfrei.
Und Bargeld lag auf der Sparkasse. Klein-Mallinghof hat den Hof herunter¬
gewirtschaftet und endlich verkauft, um sich an einem andern Ort anzusiedeln. Aber
auch den neuen Hof hat er nicht halten können. Seine Frau soll viel daran schuld
gewesen sein mit ihrer Unordentlichkeit und Trägheit. Von dem Rest seines Ver¬
mögens hat er sich das Häuschen gebaut, auf dem aber noch eine große Hypothek
lastet. Er selbst ist Bergmann geworden. Seit langer Zeit liebt er den Brannt¬
wein, und seine Frau teilt seine Leidenschaft. Ob er damit schon seinen wirtschaft¬
lichen Ruin herbeigeführt hat, oder ob ihn widrige Vermögensverhältnisse erst dem
Trunke überlieferten -- wer will es entscheiden!

Der Mann gilt als "rot wie sein Bart". Aber er will nicht eigentlich zu
den Sozialdemokraten gezählt werden. Er ist sehr empfindlich im Punkte Ehre.
Wenn er sich zur Sozialdemokratie hält, soll das nur der Ausdruck seiner Un¬
zufriedenheit mit den bestehenden sozialen Verhältnissen sein. Von Feindschaft gegen
die Monarchie will er nichts wissen. Er will nur mitsprechen, ein gewichtiges Wort
mitsprechen in allen Dingen, ein Nest alten Bauernstolzes. Er redet gern von


Skizzen und Bilder aus dem westfälischen Industriegebiete

Es sind ausgeprägte Persönlichkeiten, die dieser Hof beherbergt. Jede hat
etwas für sich. Nur in einem sind sie gleich, in dem Mißtrauen, mit dem sie die
industrielle Entwicklung verfolgen, die von der großen Stadt ans ihnen immer
näher auf den Leib rückt. In ihrer Nähe wohnen schon zahlreiche Bergleute. Daß
aus ihrer Fleischkammer in einer dunkeln Nacht zuweilen einige Schinken und Würste
verschwinden, verursacht ihnen nicht geringen Ärger. Doch das verwinden sie noch.
Aber unheimlich ist ihnen das Überhandnehmen der „Roten". Und ihre größte
Klage ist, daß die Industrie ihnen soviel verdirbt. Sie hat ihnen die Arbeitskräfte
genommen und die Löhne so stark in die Höhe gedrückt. Wiesengelände ist ge¬
sunken durch den Bergwerksbetrteb. Die Zechen haben anständig bezahlen müssen.
Der Bauer freut sich des baren Geldes. Aber der Verlust ist in seinen Augen
doch größer als der Gewinn. Das schöne Land dauert ihn. Er kann sich der Er¬
kenntnis nicht verschließen, daß der gesteigerte Lebeusmittelverbrauch ihm wirtschaft¬
liche Vorteile bringt. Er nutzt die günstige Verkaufsgelegenheit in der nahen Stadt
auch voll aus. Dennoch bleibt er unzufrieden mit dem industriellen Fortschritt.
Er schimpft über die Schul- und Armenlasten, die der Gemeinde durch den Zuzug
von Arbeitern erwachsen. Er wettert gegen die Errungenschaften der Neuzeit, die
ihm nicht behagen. Ein Greuel sind ihm zum Beispiel die Automobile, weil seine
Pferde vor ihnen scheuen. Ich beklagte mich einmal über die schlechten Wege in
der Gemeinde. Da wurde mir mit überlegen lächelnder Miene die Antwort ge¬
geben: „Ja, die verbessern wir absichtlich nicht, damit wir uns diese abscheulichen
Dinger vom Halse halten." In Wirklichkeit mochten aber wohl Sparsamkeits¬
rücksichten den Ausschlag gegeben haben.

Wie lange noch — und der Widerstand des Bauern ist gebrochen, der letzte
Hof verschwunden, Asphaltstraßen haben die holprigen Feldwege ersetzt!

Kaum ein Kilometer von dem alten Bauerngehöft entfernt liegt ein ein¬
stöckiges Backsteinbaus von verwahrlostem Aussehen an der Straße. Etwa zwanzig
bis fünfundzwanzig Jahre mag es stehn. Aber es scheint, als ob seit dem Bau
keine Hand von außen wieder daran gerührt hätte. Die roten Ziegelsteine sind unter
dem Einfluß der Schlote schwarz geworden. In den schlecht verwahrten Fugen hat
sich der Mörtel gelöst. Hier und da ist schon ein Stein herausgefallen. Ein verdorrter
Baum steht vor dem Hause. Die Straßenrinne ist gefüllt mit Abwässern.

Dort haust hinter blinden Fensterscheiben Klein-Mallinghof. Er hat vor dreißig
Jahren im Dorf auf einem eignen Hofe gesessen.

Kleiner war der Hof als der seines „großen" Nachbarn, aber schuldenfrei.
Und Bargeld lag auf der Sparkasse. Klein-Mallinghof hat den Hof herunter¬
gewirtschaftet und endlich verkauft, um sich an einem andern Ort anzusiedeln. Aber
auch den neuen Hof hat er nicht halten können. Seine Frau soll viel daran schuld
gewesen sein mit ihrer Unordentlichkeit und Trägheit. Von dem Rest seines Ver¬
mögens hat er sich das Häuschen gebaut, auf dem aber noch eine große Hypothek
lastet. Er selbst ist Bergmann geworden. Seit langer Zeit liebt er den Brannt¬
wein, und seine Frau teilt seine Leidenschaft. Ob er damit schon seinen wirtschaft¬
lichen Ruin herbeigeführt hat, oder ob ihn widrige Vermögensverhältnisse erst dem
Trunke überlieferten — wer will es entscheiden!

Der Mann gilt als „rot wie sein Bart". Aber er will nicht eigentlich zu
den Sozialdemokraten gezählt werden. Er ist sehr empfindlich im Punkte Ehre.
Wenn er sich zur Sozialdemokratie hält, soll das nur der Ausdruck seiner Un¬
zufriedenheit mit den bestehenden sozialen Verhältnissen sein. Von Feindschaft gegen
die Monarchie will er nichts wissen. Er will nur mitsprechen, ein gewichtiges Wort
mitsprechen in allen Dingen, ein Nest alten Bauernstolzes. Er redet gern von


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[0142] Skizzen und Bilder aus dem westfälischen Industriegebiete Es sind ausgeprägte Persönlichkeiten, die dieser Hof beherbergt. Jede hat etwas für sich. Nur in einem sind sie gleich, in dem Mißtrauen, mit dem sie die industrielle Entwicklung verfolgen, die von der großen Stadt ans ihnen immer näher auf den Leib rückt. In ihrer Nähe wohnen schon zahlreiche Bergleute. Daß aus ihrer Fleischkammer in einer dunkeln Nacht zuweilen einige Schinken und Würste verschwinden, verursacht ihnen nicht geringen Ärger. Doch das verwinden sie noch. Aber unheimlich ist ihnen das Überhandnehmen der „Roten". Und ihre größte Klage ist, daß die Industrie ihnen soviel verdirbt. Sie hat ihnen die Arbeitskräfte genommen und die Löhne so stark in die Höhe gedrückt. Wiesengelände ist ge¬ sunken durch den Bergwerksbetrteb. Die Zechen haben anständig bezahlen müssen. Der Bauer freut sich des baren Geldes. Aber der Verlust ist in seinen Augen doch größer als der Gewinn. Das schöne Land dauert ihn. Er kann sich der Er¬ kenntnis nicht verschließen, daß der gesteigerte Lebeusmittelverbrauch ihm wirtschaft¬ liche Vorteile bringt. Er nutzt die günstige Verkaufsgelegenheit in der nahen Stadt auch voll aus. Dennoch bleibt er unzufrieden mit dem industriellen Fortschritt. Er schimpft über die Schul- und Armenlasten, die der Gemeinde durch den Zuzug von Arbeitern erwachsen. Er wettert gegen die Errungenschaften der Neuzeit, die ihm nicht behagen. Ein Greuel sind ihm zum Beispiel die Automobile, weil seine Pferde vor ihnen scheuen. Ich beklagte mich einmal über die schlechten Wege in der Gemeinde. Da wurde mir mit überlegen lächelnder Miene die Antwort ge¬ geben: „Ja, die verbessern wir absichtlich nicht, damit wir uns diese abscheulichen Dinger vom Halse halten." In Wirklichkeit mochten aber wohl Sparsamkeits¬ rücksichten den Ausschlag gegeben haben. Wie lange noch — und der Widerstand des Bauern ist gebrochen, der letzte Hof verschwunden, Asphaltstraßen haben die holprigen Feldwege ersetzt! Kaum ein Kilometer von dem alten Bauerngehöft entfernt liegt ein ein¬ stöckiges Backsteinbaus von verwahrlostem Aussehen an der Straße. Etwa zwanzig bis fünfundzwanzig Jahre mag es stehn. Aber es scheint, als ob seit dem Bau keine Hand von außen wieder daran gerührt hätte. Die roten Ziegelsteine sind unter dem Einfluß der Schlote schwarz geworden. In den schlecht verwahrten Fugen hat sich der Mörtel gelöst. Hier und da ist schon ein Stein herausgefallen. Ein verdorrter Baum steht vor dem Hause. Die Straßenrinne ist gefüllt mit Abwässern. Dort haust hinter blinden Fensterscheiben Klein-Mallinghof. Er hat vor dreißig Jahren im Dorf auf einem eignen Hofe gesessen. Kleiner war der Hof als der seines „großen" Nachbarn, aber schuldenfrei. Und Bargeld lag auf der Sparkasse. Klein-Mallinghof hat den Hof herunter¬ gewirtschaftet und endlich verkauft, um sich an einem andern Ort anzusiedeln. Aber auch den neuen Hof hat er nicht halten können. Seine Frau soll viel daran schuld gewesen sein mit ihrer Unordentlichkeit und Trägheit. Von dem Rest seines Ver¬ mögens hat er sich das Häuschen gebaut, auf dem aber noch eine große Hypothek lastet. Er selbst ist Bergmann geworden. Seit langer Zeit liebt er den Brannt¬ wein, und seine Frau teilt seine Leidenschaft. Ob er damit schon seinen wirtschaft¬ lichen Ruin herbeigeführt hat, oder ob ihn widrige Vermögensverhältnisse erst dem Trunke überlieferten — wer will es entscheiden! Der Mann gilt als „rot wie sein Bart". Aber er will nicht eigentlich zu den Sozialdemokraten gezählt werden. Er ist sehr empfindlich im Punkte Ehre. Wenn er sich zur Sozialdemokratie hält, soll das nur der Ausdruck seiner Un¬ zufriedenheit mit den bestehenden sozialen Verhältnissen sein. Von Feindschaft gegen die Monarchie will er nichts wissen. Er will nur mitsprechen, ein gewichtiges Wort mitsprechen in allen Dingen, ein Nest alten Bauernstolzes. Er redet gern von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/142>, abgerufen am 29.06.2024.