Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Neue Romane und Novellen

Was er später noch durchzumachen hatte, was er in seiner mit einer
Soldatentochter geschlossenen Ehe litt, und wie er als ein wahrer Ahasver von
Ort zu Ort zog, bis ihn in Kreuznach der Tod von aller Not erlöste, mag
der Leser in dem Buche selbst nachschlagen, das man den besten Romanen aller
Zeiten getrost an die Seite stellen kann.

Laukhards Schicksale haben ihn unsterblich gemacht, und seine Aufzeichnungen
mit ihrer Schärfe der Beobachtung, dem wilden Humor und der rücksichtslosen
Offenheit sichern ihm den Dank der Nachwelt.




Neue Romane und Novellen

immer runder arbeitet sich mit den Jahren und den Werken das
literarische Porträt von Julius N. Haarhaus heraus. Ich habe ihn
gelegentlich seiner rheinischen Novellen "Unter dem Krummstab"
hier unter die Künstler gerechnet, die das Kleine lieben, ohne
I kleinlich zu werden, die aus der Vergangenheit gern allerlei Humor
herausholen, ohne des Großen und Ernster zu vergessen. Jede neue Gabe be¬
stätigt das; ob nun in gelaßner Erzählung, die sich hier und da ein wenig
willenlos getrieben fühlt, wie im "Marquis von Marigny", ob in dem knappen
"Mönch' von Weinfelder" -- immer bleibt Haarhaus die Kunst treu, seinen
Stoff abzurunden und ohne Verzerrung, ohne Verniedlichung abzuschleifen,
immer bleibt ihm sein Heller und dennoch nicht mit dem Leben spielender Humor,
Stets sind seine Bücher eine Erquickung für Stunden des Aufruhrs, nichts ist
überhastet, nichts krampfhaft gewollt, alles wohl durchdacht und doch durchaus
künstlerisch empfunden. Es ist beste Freytagsche Schule, auch mit den antiquarischen
Liebhabereien des Meisters oder Hans Hoffmanns, mit dem eine gewisse Ver¬
wandtschaft besteht. All das erwies sich auch lebendig in dem Bande "Wo die
Linden blühn", dessen Märchennovellen ich hier im vorigen Jahre gerühmt
habe, und die nun in zweiter Auflage vorliegen. Leipziger Märchennovellen,
in denen der Reiz des sommerlichen Leipzigs mit seinen alten, schmalen Straßen
webt, seinen engen, dümmrigen Höfen und Gewölben. Und wie es hier be¬
zeichnend ist, daß Haarhaus ohne Scheu den Mürchenfaden bis in unsre Tage
fortspinnt und ihn von dem alten Wundermann Beireis, der Goethe interessierte,
bis zu einem der absonderlichen Antiquare der Gegenwart führt, so setzt er auch
in seinem neuen Buch "Nach der Hühnerhunde und andre Jagdgeschichten" die
Tollheit des Märchens in die Gegenwart selbst, läßt in der unbefangnen Art
Wilhelm Hauffs Herr" Satan die Jagdleidenschaft etlicher Nimrode und gar
des Verfassers ausnutzen und schlägt ihm zum Schluß ein Schnippchen. Der
Eindruck der vortrefflich hinerzähltcn Phantasie wäre noch stärker, wenn sich


Neue Romane und Novellen

Was er später noch durchzumachen hatte, was er in seiner mit einer
Soldatentochter geschlossenen Ehe litt, und wie er als ein wahrer Ahasver von
Ort zu Ort zog, bis ihn in Kreuznach der Tod von aller Not erlöste, mag
der Leser in dem Buche selbst nachschlagen, das man den besten Romanen aller
Zeiten getrost an die Seite stellen kann.

Laukhards Schicksale haben ihn unsterblich gemacht, und seine Aufzeichnungen
mit ihrer Schärfe der Beobachtung, dem wilden Humor und der rücksichtslosen
Offenheit sichern ihm den Dank der Nachwelt.




Neue Romane und Novellen

immer runder arbeitet sich mit den Jahren und den Werken das
literarische Porträt von Julius N. Haarhaus heraus. Ich habe ihn
gelegentlich seiner rheinischen Novellen „Unter dem Krummstab"
hier unter die Künstler gerechnet, die das Kleine lieben, ohne
I kleinlich zu werden, die aus der Vergangenheit gern allerlei Humor
herausholen, ohne des Großen und Ernster zu vergessen. Jede neue Gabe be¬
stätigt das; ob nun in gelaßner Erzählung, die sich hier und da ein wenig
willenlos getrieben fühlt, wie im „Marquis von Marigny", ob in dem knappen
„Mönch' von Weinfelder" — immer bleibt Haarhaus die Kunst treu, seinen
Stoff abzurunden und ohne Verzerrung, ohne Verniedlichung abzuschleifen,
immer bleibt ihm sein Heller und dennoch nicht mit dem Leben spielender Humor,
Stets sind seine Bücher eine Erquickung für Stunden des Aufruhrs, nichts ist
überhastet, nichts krampfhaft gewollt, alles wohl durchdacht und doch durchaus
künstlerisch empfunden. Es ist beste Freytagsche Schule, auch mit den antiquarischen
Liebhabereien des Meisters oder Hans Hoffmanns, mit dem eine gewisse Ver¬
wandtschaft besteht. All das erwies sich auch lebendig in dem Bande „Wo die
Linden blühn", dessen Märchennovellen ich hier im vorigen Jahre gerühmt
habe, und die nun in zweiter Auflage vorliegen. Leipziger Märchennovellen,
in denen der Reiz des sommerlichen Leipzigs mit seinen alten, schmalen Straßen
webt, seinen engen, dümmrigen Höfen und Gewölben. Und wie es hier be¬
zeichnend ist, daß Haarhaus ohne Scheu den Mürchenfaden bis in unsre Tage
fortspinnt und ihn von dem alten Wundermann Beireis, der Goethe interessierte,
bis zu einem der absonderlichen Antiquare der Gegenwart führt, so setzt er auch
in seinem neuen Buch „Nach der Hühnerhunde und andre Jagdgeschichten" die
Tollheit des Märchens in die Gegenwart selbst, läßt in der unbefangnen Art
Wilhelm Hauffs Herr» Satan die Jagdleidenschaft etlicher Nimrode und gar
des Verfassers ausnutzen und schlägt ihm zum Schluß ein Schnippchen. Der
Eindruck der vortrefflich hinerzähltcn Phantasie wäre noch stärker, wenn sich


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0494" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/310905"/>
          <fw type="header" place="top"> Neue Romane und Novellen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2610"> Was er später noch durchzumachen hatte, was er in seiner mit einer<lb/>
Soldatentochter geschlossenen Ehe litt, und wie er als ein wahrer Ahasver von<lb/>
Ort zu Ort zog, bis ihn in Kreuznach der Tod von aller Not erlöste, mag<lb/>
der Leser in dem Buche selbst nachschlagen, das man den besten Romanen aller<lb/>
Zeiten getrost an die Seite stellen kann.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2611"> Laukhards Schicksale haben ihn unsterblich gemacht, und seine Aufzeichnungen<lb/>
mit ihrer Schärfe der Beobachtung, dem wilden Humor und der rücksichtslosen<lb/>
Offenheit sichern ihm den Dank der Nachwelt.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Neue Romane und Novellen</head><lb/>
          <p xml:id="ID_2612" next="#ID_2613"> immer runder arbeitet sich mit den Jahren und den Werken das<lb/>
literarische Porträt von Julius N. Haarhaus heraus. Ich habe ihn<lb/>
gelegentlich seiner rheinischen Novellen &#x201E;Unter dem Krummstab"<lb/>
hier unter die Künstler gerechnet, die das Kleine lieben, ohne<lb/>
I kleinlich zu werden, die aus der Vergangenheit gern allerlei Humor<lb/>
herausholen, ohne des Großen und Ernster zu vergessen. Jede neue Gabe be¬<lb/>
stätigt das; ob nun in gelaßner Erzählung, die sich hier und da ein wenig<lb/>
willenlos getrieben fühlt, wie im &#x201E;Marquis von Marigny", ob in dem knappen<lb/>
&#x201E;Mönch' von Weinfelder" &#x2014; immer bleibt Haarhaus die Kunst treu, seinen<lb/>
Stoff abzurunden und ohne Verzerrung, ohne Verniedlichung abzuschleifen,<lb/>
immer bleibt ihm sein Heller und dennoch nicht mit dem Leben spielender Humor,<lb/>
Stets sind seine Bücher eine Erquickung für Stunden des Aufruhrs, nichts ist<lb/>
überhastet, nichts krampfhaft gewollt, alles wohl durchdacht und doch durchaus<lb/>
künstlerisch empfunden. Es ist beste Freytagsche Schule, auch mit den antiquarischen<lb/>
Liebhabereien des Meisters oder Hans Hoffmanns, mit dem eine gewisse Ver¬<lb/>
wandtschaft besteht. All das erwies sich auch lebendig in dem Bande &#x201E;Wo die<lb/>
Linden blühn", dessen Märchennovellen ich hier im vorigen Jahre gerühmt<lb/>
habe, und die nun in zweiter Auflage vorliegen. Leipziger Märchennovellen,<lb/>
in denen der Reiz des sommerlichen Leipzigs mit seinen alten, schmalen Straßen<lb/>
webt, seinen engen, dümmrigen Höfen und Gewölben. Und wie es hier be¬<lb/>
zeichnend ist, daß Haarhaus ohne Scheu den Mürchenfaden bis in unsre Tage<lb/>
fortspinnt und ihn von dem alten Wundermann Beireis, der Goethe interessierte,<lb/>
bis zu einem der absonderlichen Antiquare der Gegenwart führt, so setzt er auch<lb/>
in seinem neuen Buch &#x201E;Nach der Hühnerhunde und andre Jagdgeschichten" die<lb/>
Tollheit des Märchens in die Gegenwart selbst, läßt in der unbefangnen Art<lb/>
Wilhelm Hauffs Herr» Satan die Jagdleidenschaft etlicher Nimrode und gar<lb/>
des Verfassers ausnutzen und schlägt ihm zum Schluß ein Schnippchen. Der<lb/>
Eindruck der vortrefflich hinerzähltcn Phantasie wäre noch stärker, wenn sich</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0494] Neue Romane und Novellen Was er später noch durchzumachen hatte, was er in seiner mit einer Soldatentochter geschlossenen Ehe litt, und wie er als ein wahrer Ahasver von Ort zu Ort zog, bis ihn in Kreuznach der Tod von aller Not erlöste, mag der Leser in dem Buche selbst nachschlagen, das man den besten Romanen aller Zeiten getrost an die Seite stellen kann. Laukhards Schicksale haben ihn unsterblich gemacht, und seine Aufzeichnungen mit ihrer Schärfe der Beobachtung, dem wilden Humor und der rücksichtslosen Offenheit sichern ihm den Dank der Nachwelt. Neue Romane und Novellen immer runder arbeitet sich mit den Jahren und den Werken das literarische Porträt von Julius N. Haarhaus heraus. Ich habe ihn gelegentlich seiner rheinischen Novellen „Unter dem Krummstab" hier unter die Künstler gerechnet, die das Kleine lieben, ohne I kleinlich zu werden, die aus der Vergangenheit gern allerlei Humor herausholen, ohne des Großen und Ernster zu vergessen. Jede neue Gabe be¬ stätigt das; ob nun in gelaßner Erzählung, die sich hier und da ein wenig willenlos getrieben fühlt, wie im „Marquis von Marigny", ob in dem knappen „Mönch' von Weinfelder" — immer bleibt Haarhaus die Kunst treu, seinen Stoff abzurunden und ohne Verzerrung, ohne Verniedlichung abzuschleifen, immer bleibt ihm sein Heller und dennoch nicht mit dem Leben spielender Humor, Stets sind seine Bücher eine Erquickung für Stunden des Aufruhrs, nichts ist überhastet, nichts krampfhaft gewollt, alles wohl durchdacht und doch durchaus künstlerisch empfunden. Es ist beste Freytagsche Schule, auch mit den antiquarischen Liebhabereien des Meisters oder Hans Hoffmanns, mit dem eine gewisse Ver¬ wandtschaft besteht. All das erwies sich auch lebendig in dem Bande „Wo die Linden blühn", dessen Märchennovellen ich hier im vorigen Jahre gerühmt habe, und die nun in zweiter Auflage vorliegen. Leipziger Märchennovellen, in denen der Reiz des sommerlichen Leipzigs mit seinen alten, schmalen Straßen webt, seinen engen, dümmrigen Höfen und Gewölben. Und wie es hier be¬ zeichnend ist, daß Haarhaus ohne Scheu den Mürchenfaden bis in unsre Tage fortspinnt und ihn von dem alten Wundermann Beireis, der Goethe interessierte, bis zu einem der absonderlichen Antiquare der Gegenwart führt, so setzt er auch in seinem neuen Buch „Nach der Hühnerhunde und andre Jagdgeschichten" die Tollheit des Märchens in die Gegenwart selbst, läßt in der unbefangnen Art Wilhelm Hauffs Herr» Satan die Jagdleidenschaft etlicher Nimrode und gar des Verfassers ausnutzen und schlägt ihm zum Schluß ein Schnippchen. Der Eindruck der vortrefflich hinerzähltcn Phantasie wäre noch stärker, wenn sich

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/494
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/494>, abgerufen am 22.07.2024.