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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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<Lin deutscher Magister als Sansculotte

um einen Paß nach Paris zu ersuchen. Der Brief gelangte, da Dentzel wegen
der Landauer Affäre in Untersuchungshaft saß, in die Hände des Wohlfahrts¬
ausschusses, nud die Folge davon war, daß Laukhard acht Tage später auf der
Straße verhaftet und in die Conciergerie gebracht wurde. Wiederholt unterwarf
man ihn vor der revolutionären Inquisition einem Verhör, sprach ihn jedoch,
obgleich er sich mehrfach in Widersprüche verwickelt und sowohl Dentzel wie sich
selbst kompromittiert hatte, endlich doch frei, wahrscheinlich weil unter den Richtern
Leute waren, die triftige Gründe hatten, den ehemaligen Repräsentanten von
Landau zu schonen.

Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnisse schlug er sich nach Dijon
durch, schrieb für die ausländischen Offiziere unter den Gefangnen Liebesbriefe
und übersetzte ihnen die Billetdoux, die ihnen von den angebeteten Schönen
Zugesandt wurden. Nebenbei gab er wieder Sprachstunden, mußte aber noch
einmal in das Spital übersiedeln, da seine Brustwunde von neuem aufbrach
und eine Augenentzündung ihn in die Gefahr brachte, zu erblinden. Nun
wanderte er von Spital zu Spital, diente zwischendurch dem Kriegskommissar
als Konzipist, arbeitete bei der Niederreißung eines Klosters mit und wartete
"on Tag zu Tag auf einen Brief seines Freundes Bispink in Halle, den er
ersucht hatte, sich um seine Befreiung zu bemühen. Endlich traf das lang¬
ersehnte, der Vorsicht wegen von Hamburg datierte Schreiben ein, zugleich mit
einem Brief an den Kommandanten von Dijon und mit einem zweiten, lateinisch
umschriebnen, an Laukhard. Dieser lateinische Brief war fingiert, kam angeblich
°us Altona. berichtete über Dinge, die sich hier als in der "Vaterstadt" des
Adressaten ereignet haben sollten, und gab diesem den Rat, sich in die Schweiz
zu begeben, wo er als preußischer Deserteur vor Nachstellungen sicher sein würde.
List hatte Erfolg, der Kommandant ließ sich überzeugen, daß Laukhard
^Mer von den verhaßten Preußen sei, und legte ihm keine Hindernisse in den
Weg. So kam der Unglückliche nach mancherlei Abenteuern bis Basel.

Nun hätte alle Not ein Ende haben können, aber das Schicksal hatte es
anders bestimmt. Im Badischen fiel der Flüchtling einem Werber der Emigranten
'u die Hände, der ihm die Stelle eines Unteroffiziers anbot. Laukhard ver¬
mochte diesem Anerbieten nicht zu widerstehen und trat nnn bei der Armee ein,
°le die Sache bekämpfen sollte, für die er bisher seine Haut zu Markte ge¬
igen hatte. In Ettenheim machte er die Bekanntschaft des durch die Hals¬
bandgeschichte berüchtigten Kardinals Rosen, der durch sein ehrwürdiges Antlitz,
anständiges Wesen und seine schön modulierte Stimme großen Eindruck
^s ihn ausübte, benutzte jedoch die erste sich ihm bietende Gelegenheit, zu
desertieren, und nahm in Offenbach Dienst bei den schwäbischen Kreistruppen
1^' Reichsarmee, deren ganze Erbärmlichkeit er in grellen Farben schildert.
Dank der Vermittlung des Kronprinzen von Preußen, an den er einen Brief
gerastet hatte, kam er auch aus diesem Elend wieder los, und damit schließt
°er interessanteste Abschnitt seines Lebens.


<Lin deutscher Magister als Sansculotte

um einen Paß nach Paris zu ersuchen. Der Brief gelangte, da Dentzel wegen
der Landauer Affäre in Untersuchungshaft saß, in die Hände des Wohlfahrts¬
ausschusses, nud die Folge davon war, daß Laukhard acht Tage später auf der
Straße verhaftet und in die Conciergerie gebracht wurde. Wiederholt unterwarf
man ihn vor der revolutionären Inquisition einem Verhör, sprach ihn jedoch,
obgleich er sich mehrfach in Widersprüche verwickelt und sowohl Dentzel wie sich
selbst kompromittiert hatte, endlich doch frei, wahrscheinlich weil unter den Richtern
Leute waren, die triftige Gründe hatten, den ehemaligen Repräsentanten von
Landau zu schonen.

Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnisse schlug er sich nach Dijon
durch, schrieb für die ausländischen Offiziere unter den Gefangnen Liebesbriefe
und übersetzte ihnen die Billetdoux, die ihnen von den angebeteten Schönen
Zugesandt wurden. Nebenbei gab er wieder Sprachstunden, mußte aber noch
einmal in das Spital übersiedeln, da seine Brustwunde von neuem aufbrach
und eine Augenentzündung ihn in die Gefahr brachte, zu erblinden. Nun
wanderte er von Spital zu Spital, diente zwischendurch dem Kriegskommissar
als Konzipist, arbeitete bei der Niederreißung eines Klosters mit und wartete
"on Tag zu Tag auf einen Brief seines Freundes Bispink in Halle, den er
ersucht hatte, sich um seine Befreiung zu bemühen. Endlich traf das lang¬
ersehnte, der Vorsicht wegen von Hamburg datierte Schreiben ein, zugleich mit
einem Brief an den Kommandanten von Dijon und mit einem zweiten, lateinisch
umschriebnen, an Laukhard. Dieser lateinische Brief war fingiert, kam angeblich
°us Altona. berichtete über Dinge, die sich hier als in der „Vaterstadt" des
Adressaten ereignet haben sollten, und gab diesem den Rat, sich in die Schweiz
zu begeben, wo er als preußischer Deserteur vor Nachstellungen sicher sein würde.
List hatte Erfolg, der Kommandant ließ sich überzeugen, daß Laukhard
^Mer von den verhaßten Preußen sei, und legte ihm keine Hindernisse in den
Weg. So kam der Unglückliche nach mancherlei Abenteuern bis Basel.

Nun hätte alle Not ein Ende haben können, aber das Schicksal hatte es
anders bestimmt. Im Badischen fiel der Flüchtling einem Werber der Emigranten
'u die Hände, der ihm die Stelle eines Unteroffiziers anbot. Laukhard ver¬
mochte diesem Anerbieten nicht zu widerstehen und trat nnn bei der Armee ein,
°le die Sache bekämpfen sollte, für die er bisher seine Haut zu Markte ge¬
igen hatte. In Ettenheim machte er die Bekanntschaft des durch die Hals¬
bandgeschichte berüchtigten Kardinals Rosen, der durch sein ehrwürdiges Antlitz,
anständiges Wesen und seine schön modulierte Stimme großen Eindruck
^s ihn ausübte, benutzte jedoch die erste sich ihm bietende Gelegenheit, zu
desertieren, und nahm in Offenbach Dienst bei den schwäbischen Kreistruppen
1^' Reichsarmee, deren ganze Erbärmlichkeit er in grellen Farben schildert.
Dank der Vermittlung des Kronprinzen von Preußen, an den er einen Brief
gerastet hatte, kam er auch aus diesem Elend wieder los, und damit schließt
°er interessanteste Abschnitt seines Lebens.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/493>, abgerufen am 22.07.2024.