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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Das Theater als Kirche

An diesem, dem 6,, erschien er "sehr kleinlaut" erst um zweieinhalb Uhr
beim Kanzler, verweilte nur eine halbe Stunde etwa und teilte die ihm zu-
gegangne Weisung mit: da ein Waffenstillstand mit Verproviantierung von
Paris nicht zu erreichen sei, so habe er Versailles zu verlassen. Ein "kurzes,
trocknes" Schreiben Fcivres wies ihn an, nach Tours zurückzukehren. Besonders
Trochu war, Privatmitteilungen zufolge, Geguer des Waffenstillstandes; Thiers
persönlich wünschte den Frieden sehr -- so urteilt Hatzfeld auch in einem Briefe
am 5. November -- und reiste daher am 7. "mit niedergeschlagner Miene" ab.
Abeken fertigte einen Bericht über die Verhandlungen an, noch in der Nacht
gab ihm Bismarck die abschließende Form, und in der Frühe des 8. wurde er
dem Könige vorgelegt, damit er dann veröffentlicht werden könnte.

So waren die Verhandlungen gescheitert, und zwar besonders deshalb, weil
die Franzosen vollständige Verproviantierung von Paris forderten, aber kein
andres Gegenzngeständnis machen wollten als allgemeine Wahlen und dadurch
dann eine geordnete Regierung, nicht aber Übergabe auch nur eines Forts.
So konnte Bismarck in seinem Rundschreiben an die Vertreter des Norddeutschen
Bundes hervorheben, aus den Verhandlungen habe er die Überzeugung ge¬
wonnen, "daß es den jetzigen Machthabern in Frankreich von Anfang an nicht
ernst damit gewesen sei"; sie wollten nur "den neutralen Mächten, auf deren
Unterstützung sie hofften, nicht eine abweisende Autwort geben". Thiers Mit¬
teilungen machten auf viele Persönlichkeiten, die damals mit ihm in Berührung
kämen, deu Eindruck, daß er eigentlich nicht im Namen der Negierung zu sprechen
habe, sondern nur die Ansichten der sich bildenden kleinen Friedenspartei ver¬
trete (Lorenz S. 503). Ihm glückte es offenbar auch nicht, sich politisch oder
persönlich das Vertrauen des Kanzlers zu erwerben, vielmehr rief dieser, wie es
scheint, in ihm die Besorgnis wach, die von deutscher Seite gepflognen geheimen
Verhandlungen mit Napoleon und Eugenie könnten schließlich doch zu einem
Ergebnis führen.




Das Theater als Kirche

> n einem der Friedrich Nietzsche gewidmeten Artikel habe ich mich
vor zehn Jahren gegen die Schützling gewandt, die das Theater
im klassischen Weimar und später im Bayreuther Kreise gefunden
Ihat. Der von mir sehr verehrte Georg Stellanus hat daraus
gefolgert, daß ich der Bühne jeden Kulturwert abspreche. Dieses
Mißverständnis und drei andre Erlebnisse bestimmen mich, auf die Sache
nochmals zurückzukommen. Friedrich Ratzel forderte mich einmal auf, gegen
die Überschätzung des Weimars Karl Augusts zu schreiben, womit er natürlichF.MA^Ä^GX
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Das Theater als Kirche

An diesem, dem 6,, erschien er „sehr kleinlaut" erst um zweieinhalb Uhr
beim Kanzler, verweilte nur eine halbe Stunde etwa und teilte die ihm zu-
gegangne Weisung mit: da ein Waffenstillstand mit Verproviantierung von
Paris nicht zu erreichen sei, so habe er Versailles zu verlassen. Ein „kurzes,
trocknes" Schreiben Fcivres wies ihn an, nach Tours zurückzukehren. Besonders
Trochu war, Privatmitteilungen zufolge, Geguer des Waffenstillstandes; Thiers
persönlich wünschte den Frieden sehr — so urteilt Hatzfeld auch in einem Briefe
am 5. November — und reiste daher am 7. „mit niedergeschlagner Miene" ab.
Abeken fertigte einen Bericht über die Verhandlungen an, noch in der Nacht
gab ihm Bismarck die abschließende Form, und in der Frühe des 8. wurde er
dem Könige vorgelegt, damit er dann veröffentlicht werden könnte.

So waren die Verhandlungen gescheitert, und zwar besonders deshalb, weil
die Franzosen vollständige Verproviantierung von Paris forderten, aber kein
andres Gegenzngeständnis machen wollten als allgemeine Wahlen und dadurch
dann eine geordnete Regierung, nicht aber Übergabe auch nur eines Forts.
So konnte Bismarck in seinem Rundschreiben an die Vertreter des Norddeutschen
Bundes hervorheben, aus den Verhandlungen habe er die Überzeugung ge¬
wonnen, „daß es den jetzigen Machthabern in Frankreich von Anfang an nicht
ernst damit gewesen sei"; sie wollten nur „den neutralen Mächten, auf deren
Unterstützung sie hofften, nicht eine abweisende Autwort geben". Thiers Mit¬
teilungen machten auf viele Persönlichkeiten, die damals mit ihm in Berührung
kämen, deu Eindruck, daß er eigentlich nicht im Namen der Negierung zu sprechen
habe, sondern nur die Ansichten der sich bildenden kleinen Friedenspartei ver¬
trete (Lorenz S. 503). Ihm glückte es offenbar auch nicht, sich politisch oder
persönlich das Vertrauen des Kanzlers zu erwerben, vielmehr rief dieser, wie es
scheint, in ihm die Besorgnis wach, die von deutscher Seite gepflognen geheimen
Verhandlungen mit Napoleon und Eugenie könnten schließlich doch zu einem
Ergebnis führen.




Das Theater als Kirche

> n einem der Friedrich Nietzsche gewidmeten Artikel habe ich mich
vor zehn Jahren gegen die Schützling gewandt, die das Theater
im klassischen Weimar und später im Bayreuther Kreise gefunden
Ihat. Der von mir sehr verehrte Georg Stellanus hat daraus
gefolgert, daß ich der Bühne jeden Kulturwert abspreche. Dieses
Mißverständnis und drei andre Erlebnisse bestimmen mich, auf die Sache
nochmals zurückzukommen. Friedrich Ratzel forderte mich einmal auf, gegen
die Überschätzung des Weimars Karl Augusts zu schreiben, womit er natürlichF.MA^Ä^GX
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[0336] Das Theater als Kirche An diesem, dem 6,, erschien er „sehr kleinlaut" erst um zweieinhalb Uhr beim Kanzler, verweilte nur eine halbe Stunde etwa und teilte die ihm zu- gegangne Weisung mit: da ein Waffenstillstand mit Verproviantierung von Paris nicht zu erreichen sei, so habe er Versailles zu verlassen. Ein „kurzes, trocknes" Schreiben Fcivres wies ihn an, nach Tours zurückzukehren. Besonders Trochu war, Privatmitteilungen zufolge, Geguer des Waffenstillstandes; Thiers persönlich wünschte den Frieden sehr — so urteilt Hatzfeld auch in einem Briefe am 5. November — und reiste daher am 7. „mit niedergeschlagner Miene" ab. Abeken fertigte einen Bericht über die Verhandlungen an, noch in der Nacht gab ihm Bismarck die abschließende Form, und in der Frühe des 8. wurde er dem Könige vorgelegt, damit er dann veröffentlicht werden könnte. So waren die Verhandlungen gescheitert, und zwar besonders deshalb, weil die Franzosen vollständige Verproviantierung von Paris forderten, aber kein andres Gegenzngeständnis machen wollten als allgemeine Wahlen und dadurch dann eine geordnete Regierung, nicht aber Übergabe auch nur eines Forts. So konnte Bismarck in seinem Rundschreiben an die Vertreter des Norddeutschen Bundes hervorheben, aus den Verhandlungen habe er die Überzeugung ge¬ wonnen, „daß es den jetzigen Machthabern in Frankreich von Anfang an nicht ernst damit gewesen sei"; sie wollten nur „den neutralen Mächten, auf deren Unterstützung sie hofften, nicht eine abweisende Autwort geben". Thiers Mit¬ teilungen machten auf viele Persönlichkeiten, die damals mit ihm in Berührung kämen, deu Eindruck, daß er eigentlich nicht im Namen der Negierung zu sprechen habe, sondern nur die Ansichten der sich bildenden kleinen Friedenspartei ver¬ trete (Lorenz S. 503). Ihm glückte es offenbar auch nicht, sich politisch oder persönlich das Vertrauen des Kanzlers zu erwerben, vielmehr rief dieser, wie es scheint, in ihm die Besorgnis wach, die von deutscher Seite gepflognen geheimen Verhandlungen mit Napoleon und Eugenie könnten schließlich doch zu einem Ergebnis führen. Das Theater als Kirche > n einem der Friedrich Nietzsche gewidmeten Artikel habe ich mich vor zehn Jahren gegen die Schützling gewandt, die das Theater im klassischen Weimar und später im Bayreuther Kreise gefunden Ihat. Der von mir sehr verehrte Georg Stellanus hat daraus gefolgert, daß ich der Bühne jeden Kulturwert abspreche. Dieses Mißverständnis und drei andre Erlebnisse bestimmen mich, auf die Sache nochmals zurückzukommen. Friedrich Ratzel forderte mich einmal auf, gegen die Überschätzung des Weimars Karl Augusts zu schreiben, womit er natürlichF.MA^Ä^GX //W!«-H? MW^-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/336>, abgerufen am 22.07.2024.