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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Bismarck und Thiers als Unterhändler

Bismarck an diesen. Tage stellte, besitzen wir verschiedne. untereinander ab¬
weichende Berichte von Thiers. Nach seinen "Erinnerungen" forderte der
Kanzler: Elsaß mit Straßburg, ein Stück Lothringens um Metz herum und
vier Milliarden; entschlössen sich die Franzosen zum sofortigen Frieden, so wolle
er seinen Einfluß beim König aufbieten, damit Metz bei Frankreich bleibe; bei
längeren Zandern würden die Bedingungen erschwert werden.

Sonnabend den 5. November schrieb Hatzfeld, der allerdings nichts sichres
über die Verhandlungen wußte: "Die Lage der Dinge und die herrschende Stim¬
mung lassen mir die Sache nicht gerade in hoffnungsvollein Lichte erscheinen".
Er sah sie noch viel zu rosig an; die Verhandlungen waren schon so gut wie
gescheitert. Vor Wiederbeginn der Feindseligkeiten äußerte jedoch der Kanzler
den Wunsch, noch einen letzten Versuch der Verständigung auf andern Grund¬
lagen zu machen, und veranlaßte Thiers, sich in die Vorpostenlinie zu begeben,
um sich von einigen Negieruugsmitgliedem neue Instruktionen zu verschaffen.
Um acht Uhr morgens fuhr er hinaus. Unterdessen berief Bismarck gegen
ein Uhr sämtliche anwesende Minister der süddeutschen Staaten sowie den sächsischen
Minister von Friesen und den Staatsminister Delbrück zu einer (oben erwähnten)
Konferenz, "in ihnen Bericht über den Gang der Verhandlungen abzustatten.
Er erklärte Thiers für deu gebildetsten und unterrichtetsten Franzosen, der ihm
begegnet sei. aber er hege vorgefaßte Meinungen, ließe politische und historische
Betrachtungen einfließen und mache dadurch die Besprechungen sehr weitschweifig.
Von nichtfranzösischen Dingen wisse er zum Teil wenig und könne in keiner Sprache
außer der französischen auch nur Ja oder Nein sagen. Bei dieser Gelegenheit
erzählte er die bekannte, auch in des Fürsten Hohenlohe Denkwürdigkeiten
(II. S. 261) erwähnte Geschichte, daß Thiers die Ulanen für einen "wilden
Volksstamm" gehalten hätte. Nach Lorenz in der oben (S. 323 Anmerkung) an¬
geführten Schrift nannten die Minister alle Erörterungen Bismarcks ein Meister¬
stück von liebenswürdiger Lebendigkeit und Offenheit, doch gewannen sie den
Eindruck, daß sie für ihn ein Hauptmittel gewesen seien, "um sich nicht in die
Karten sehen zu lassen". Als der Kanzler nach dem Diner beim Könige in
seine Wohnung zurückgekehrt war, erhielt er eine Depesche: nach einer Prokla¬
mation der Regenten in Paris könne auch jetzt von Gebietsabtretung nicht die
Rede sein. Darauf äußerte er: "Dann wäre man ja von weitern Ver¬
handlungen mit Thiers dispensiert", und Delbrück meinte: "Bei solch einem
hartnäckigen Blödsinn kann davon eigentlich nicht mehr die Rede sein."

Inzwischen hatte Thiers an der Brücke von Sevres eine Besprechung mit
Favre und Ducrot, die dann erst mit den andern Regierungsvertretern Rück¬
sprache nehmen mußten. Aus diesem Grunde weilte Thiers nicht wie sonst bis
gegen Mitternacht beim Kanzler, sondern nur von halb neun bis nach halb zehn.
Es verlautete, jene beiden hätten die deutschen Waffenstillstandsbedingungen für
unannehmbar erklärt: Thiers, der noch einige Hoffnung hegte, solle am folgenden
Tage die endgiltige Antwort überbringen.


Bismarck und Thiers als Unterhändler

Bismarck an diesen. Tage stellte, besitzen wir verschiedne. untereinander ab¬
weichende Berichte von Thiers. Nach seinen „Erinnerungen" forderte der
Kanzler: Elsaß mit Straßburg, ein Stück Lothringens um Metz herum und
vier Milliarden; entschlössen sich die Franzosen zum sofortigen Frieden, so wolle
er seinen Einfluß beim König aufbieten, damit Metz bei Frankreich bleibe; bei
längeren Zandern würden die Bedingungen erschwert werden.

Sonnabend den 5. November schrieb Hatzfeld, der allerdings nichts sichres
über die Verhandlungen wußte: „Die Lage der Dinge und die herrschende Stim¬
mung lassen mir die Sache nicht gerade in hoffnungsvollein Lichte erscheinen".
Er sah sie noch viel zu rosig an; die Verhandlungen waren schon so gut wie
gescheitert. Vor Wiederbeginn der Feindseligkeiten äußerte jedoch der Kanzler
den Wunsch, noch einen letzten Versuch der Verständigung auf andern Grund¬
lagen zu machen, und veranlaßte Thiers, sich in die Vorpostenlinie zu begeben,
um sich von einigen Negieruugsmitgliedem neue Instruktionen zu verschaffen.
Um acht Uhr morgens fuhr er hinaus. Unterdessen berief Bismarck gegen
ein Uhr sämtliche anwesende Minister der süddeutschen Staaten sowie den sächsischen
Minister von Friesen und den Staatsminister Delbrück zu einer (oben erwähnten)
Konferenz, »in ihnen Bericht über den Gang der Verhandlungen abzustatten.
Er erklärte Thiers für deu gebildetsten und unterrichtetsten Franzosen, der ihm
begegnet sei. aber er hege vorgefaßte Meinungen, ließe politische und historische
Betrachtungen einfließen und mache dadurch die Besprechungen sehr weitschweifig.
Von nichtfranzösischen Dingen wisse er zum Teil wenig und könne in keiner Sprache
außer der französischen auch nur Ja oder Nein sagen. Bei dieser Gelegenheit
erzählte er die bekannte, auch in des Fürsten Hohenlohe Denkwürdigkeiten
(II. S. 261) erwähnte Geschichte, daß Thiers die Ulanen für einen „wilden
Volksstamm" gehalten hätte. Nach Lorenz in der oben (S. 323 Anmerkung) an¬
geführten Schrift nannten die Minister alle Erörterungen Bismarcks ein Meister¬
stück von liebenswürdiger Lebendigkeit und Offenheit, doch gewannen sie den
Eindruck, daß sie für ihn ein Hauptmittel gewesen seien, „um sich nicht in die
Karten sehen zu lassen". Als der Kanzler nach dem Diner beim Könige in
seine Wohnung zurückgekehrt war, erhielt er eine Depesche: nach einer Prokla¬
mation der Regenten in Paris könne auch jetzt von Gebietsabtretung nicht die
Rede sein. Darauf äußerte er: „Dann wäre man ja von weitern Ver¬
handlungen mit Thiers dispensiert", und Delbrück meinte: „Bei solch einem
hartnäckigen Blödsinn kann davon eigentlich nicht mehr die Rede sein."

Inzwischen hatte Thiers an der Brücke von Sevres eine Besprechung mit
Favre und Ducrot, die dann erst mit den andern Regierungsvertretern Rück¬
sprache nehmen mußten. Aus diesem Grunde weilte Thiers nicht wie sonst bis
gegen Mitternacht beim Kanzler, sondern nur von halb neun bis nach halb zehn.
Es verlautete, jene beiden hätten die deutschen Waffenstillstandsbedingungen für
unannehmbar erklärt: Thiers, der noch einige Hoffnung hegte, solle am folgenden
Tage die endgiltige Antwort überbringen.


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[0335] Bismarck und Thiers als Unterhändler Bismarck an diesen. Tage stellte, besitzen wir verschiedne. untereinander ab¬ weichende Berichte von Thiers. Nach seinen „Erinnerungen" forderte der Kanzler: Elsaß mit Straßburg, ein Stück Lothringens um Metz herum und vier Milliarden; entschlössen sich die Franzosen zum sofortigen Frieden, so wolle er seinen Einfluß beim König aufbieten, damit Metz bei Frankreich bleibe; bei längeren Zandern würden die Bedingungen erschwert werden. Sonnabend den 5. November schrieb Hatzfeld, der allerdings nichts sichres über die Verhandlungen wußte: „Die Lage der Dinge und die herrschende Stim¬ mung lassen mir die Sache nicht gerade in hoffnungsvollein Lichte erscheinen". Er sah sie noch viel zu rosig an; die Verhandlungen waren schon so gut wie gescheitert. Vor Wiederbeginn der Feindseligkeiten äußerte jedoch der Kanzler den Wunsch, noch einen letzten Versuch der Verständigung auf andern Grund¬ lagen zu machen, und veranlaßte Thiers, sich in die Vorpostenlinie zu begeben, um sich von einigen Negieruugsmitgliedem neue Instruktionen zu verschaffen. Um acht Uhr morgens fuhr er hinaus. Unterdessen berief Bismarck gegen ein Uhr sämtliche anwesende Minister der süddeutschen Staaten sowie den sächsischen Minister von Friesen und den Staatsminister Delbrück zu einer (oben erwähnten) Konferenz, »in ihnen Bericht über den Gang der Verhandlungen abzustatten. Er erklärte Thiers für deu gebildetsten und unterrichtetsten Franzosen, der ihm begegnet sei. aber er hege vorgefaßte Meinungen, ließe politische und historische Betrachtungen einfließen und mache dadurch die Besprechungen sehr weitschweifig. Von nichtfranzösischen Dingen wisse er zum Teil wenig und könne in keiner Sprache außer der französischen auch nur Ja oder Nein sagen. Bei dieser Gelegenheit erzählte er die bekannte, auch in des Fürsten Hohenlohe Denkwürdigkeiten (II. S. 261) erwähnte Geschichte, daß Thiers die Ulanen für einen „wilden Volksstamm" gehalten hätte. Nach Lorenz in der oben (S. 323 Anmerkung) an¬ geführten Schrift nannten die Minister alle Erörterungen Bismarcks ein Meister¬ stück von liebenswürdiger Lebendigkeit und Offenheit, doch gewannen sie den Eindruck, daß sie für ihn ein Hauptmittel gewesen seien, „um sich nicht in die Karten sehen zu lassen". Als der Kanzler nach dem Diner beim Könige in seine Wohnung zurückgekehrt war, erhielt er eine Depesche: nach einer Prokla¬ mation der Regenten in Paris könne auch jetzt von Gebietsabtretung nicht die Rede sein. Darauf äußerte er: „Dann wäre man ja von weitern Ver¬ handlungen mit Thiers dispensiert", und Delbrück meinte: „Bei solch einem hartnäckigen Blödsinn kann davon eigentlich nicht mehr die Rede sein." Inzwischen hatte Thiers an der Brücke von Sevres eine Besprechung mit Favre und Ducrot, die dann erst mit den andern Regierungsvertretern Rück¬ sprache nehmen mußten. Aus diesem Grunde weilte Thiers nicht wie sonst bis gegen Mitternacht beim Kanzler, sondern nur von halb neun bis nach halb zehn. Es verlautete, jene beiden hätten die deutschen Waffenstillstandsbedingungen für unannehmbar erklärt: Thiers, der noch einige Hoffnung hegte, solle am folgenden Tage die endgiltige Antwort überbringen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/335>, abgerufen am 22.07.2024.