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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Bas Theater als Kirche

die Überschätzung der ästhetischen Kultur meinte. Dann nahm ich den Wilhelm
Meister noch einmal vor. und da siel mir denn in den Wanderjahren die
schroffe Absage an die literarisch-üsthetische Bildung und an das Theater ans.
Endlich las ich in den Aufsätzen und Reden von Karl Chr. Planck (sie sind
von einem andern Mitarbeiter im 42, Heft des Jahrgangs 1905 der Grenz¬
ten besprochen worden) sehr anregende Betrachtungen über die Wendung
Goethes zum Praktischen in seinen letzten Lebensjahren, wobei zwar das
Theater nicht ausdrücklich erwähnt wird, jedoch selbstverständlich in die Abwehr
der Vorherrschaft des Ästhetizismus eingeschlossen erscheint. Aber steht nur
denn überhaupt ein Recht zu. über das Theater zu reden? In jüngern Jahren
habe ich ein Konversationsstück und sechs Opern gehört. Als nur vom vier-
undvierzigsten Lebensjahre an die Verhältnisse erlaubten, manchmal das Theater
z" besuchen, war ich schon so schwerhörig, daß ich kein Wort von dem ver¬
stand, was ans der Bühne gesprochen wurde; deshalb und weck ich die Musik
sehr liebe, beschränkte ich mich auf Opern. für die mein Gehör noch etwa
fünfzehn Jahre lang leidlich reichte. Ich könnte mich nun darauf berufen,
daß ich sogar als Präses eines Gesellenvereins - einigemal den Theater¬
direktor und Regisseur gespielt und dabei allerlei Erfahrungen gemacht habe.
Z-V.. daß sich das Vereinslokal füllte, wenn die Vorbereitungen aufs Stif¬
tungsfest begannen, und sich nach diesem, bei meinen belehrenden Vortrügen,
allmählich wieder leerte, woran ja mein Ungeschick schuld gewesen sein mag.
Interessant war mir auch, daß die Burschen ihre Rollen jämmerlich lasen,
dann aber, wenn sie frei sprachen und dabei agierten, von selbst die richtige
Betonung fanden und ganz natürlich sprachen. Ja. der Naturalismus feierte
auf unsrer Bühne wahre Triumphe, und an Drastik ließ das Spiel der muntern
Bande nichts zu wünschen übrig. Einmal wurde in einer Posse die moderne
Mfexerei. namentlich die Ziu.nergymnastik als Heilmittel der Fettleibigkeit
verspottet. Ein neuer Kurgast holt sich Information bei einem schon geübten
Der neue hatte sich einen kolossalen Wanst ans Federkissen angeschafft, und
der geübte erschreckte ihn mit heftigen Arm- und Beinbewegungen, die. u. die
Sphäre seiner eignen Leiblichkeit übergreifend, ihn mit seinem ^lud e schritt¬
weise zu retirieren zwangen. Der Knalleffekt bestand nun darin, daß der be¬
wegliche Komiker von Zeit zu Zeit aufsprang und mit seiner Ferse in das
Promontorium des andern ein tiefes Loch stieß, was jedesmal einen kolossalen
Heiterkeitsausbrnch erregte. (Lachen sie? pflegte der Komiker jedesmal ängstlich
5" fragen, wenn er von der Szene zurückkam.) Ob ein heutiges Großstadt-
Publikum solche Drastik mit Lachen oder mit Zischen aufnehmen würde, darüber
erlaube ich mir keine Vermutung. Manchmal geriet die Neigung zum Natura¬
lismus in Konflikt mit der Eitelkeit. Die uicht Komiker waren, spielten gern
unen feinen Kavalier, um sowohl mit ihrem feinen Benehmen wie mit ihrem
Sonntagsstaate zu glänzen. Als dessen Clou aber galt ein glattgebursteter
Zylinder neuster Fasson; darum bin ich wiederholt gefragt worden: .Herr


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die Überschätzung der ästhetischen Kultur meinte. Dann nahm ich den Wilhelm
Meister noch einmal vor. und da siel mir denn in den Wanderjahren die
schroffe Absage an die literarisch-üsthetische Bildung und an das Theater ans.
Endlich las ich in den Aufsätzen und Reden von Karl Chr. Planck (sie sind
von einem andern Mitarbeiter im 42, Heft des Jahrgangs 1905 der Grenz¬
ten besprochen worden) sehr anregende Betrachtungen über die Wendung
Goethes zum Praktischen in seinen letzten Lebensjahren, wobei zwar das
Theater nicht ausdrücklich erwähnt wird, jedoch selbstverständlich in die Abwehr
der Vorherrschaft des Ästhetizismus eingeschlossen erscheint. Aber steht nur
denn überhaupt ein Recht zu. über das Theater zu reden? In jüngern Jahren
habe ich ein Konversationsstück und sechs Opern gehört. Als nur vom vier-
undvierzigsten Lebensjahre an die Verhältnisse erlaubten, manchmal das Theater
z» besuchen, war ich schon so schwerhörig, daß ich kein Wort von dem ver¬
stand, was ans der Bühne gesprochen wurde; deshalb und weck ich die Musik
sehr liebe, beschränkte ich mich auf Opern. für die mein Gehör noch etwa
fünfzehn Jahre lang leidlich reichte. Ich könnte mich nun darauf berufen,
daß ich sogar als Präses eines Gesellenvereins - einigemal den Theater¬
direktor und Regisseur gespielt und dabei allerlei Erfahrungen gemacht habe.
Z-V.. daß sich das Vereinslokal füllte, wenn die Vorbereitungen aufs Stif¬
tungsfest begannen, und sich nach diesem, bei meinen belehrenden Vortrügen,
allmählich wieder leerte, woran ja mein Ungeschick schuld gewesen sein mag.
Interessant war mir auch, daß die Burschen ihre Rollen jämmerlich lasen,
dann aber, wenn sie frei sprachen und dabei agierten, von selbst die richtige
Betonung fanden und ganz natürlich sprachen. Ja. der Naturalismus feierte
auf unsrer Bühne wahre Triumphe, und an Drastik ließ das Spiel der muntern
Bande nichts zu wünschen übrig. Einmal wurde in einer Posse die moderne
Mfexerei. namentlich die Ziu.nergymnastik als Heilmittel der Fettleibigkeit
verspottet. Ein neuer Kurgast holt sich Information bei einem schon geübten
Der neue hatte sich einen kolossalen Wanst ans Federkissen angeschafft, und
der geübte erschreckte ihn mit heftigen Arm- und Beinbewegungen, die. u. die
Sphäre seiner eignen Leiblichkeit übergreifend, ihn mit seinem ^lud e schritt¬
weise zu retirieren zwangen. Der Knalleffekt bestand nun darin, daß der be¬
wegliche Komiker von Zeit zu Zeit aufsprang und mit seiner Ferse in das
Promontorium des andern ein tiefes Loch stieß, was jedesmal einen kolossalen
Heiterkeitsausbrnch erregte. (Lachen sie? pflegte der Komiker jedesmal ängstlich
5» fragen, wenn er von der Szene zurückkam.) Ob ein heutiges Großstadt-
Publikum solche Drastik mit Lachen oder mit Zischen aufnehmen würde, darüber
erlaube ich mir keine Vermutung. Manchmal geriet die Neigung zum Natura¬
lismus in Konflikt mit der Eitelkeit. Die uicht Komiker waren, spielten gern
unen feinen Kavalier, um sowohl mit ihrem feinen Benehmen wie mit ihrem
Sonntagsstaate zu glänzen. Als dessen Clou aber galt ein glattgebursteter
Zylinder neuster Fasson; darum bin ich wiederholt gefragt worden: .Herr


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/337>, abgerufen am 24.08.2024.