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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Bilder aus der Grafschaft Glatz

Die wiederholenden Stile von der Renaissance an setzen umgekehrt mit einer
Änderung des Ornaments ein, und erst langsam lernt man die alte Konstruktion
schätzen. Wir dürfen diesen Fehler nicht mehr wiederholen, denn wir kommen
nicht mehr über das Alte hinaus wegen der geradezu erdrückenden Fülle der
Formen; waren wir schon drauf und dran, in einem neuen Ornament einen
neuen Stil zu sehen, den so viel verschrienen Bandwurmstil, so müssen wir,
wenn wir tüchtig und ehrlich sein wollen, nun endlich am entgegengesetzten
Ende, nämlich bei der Konstruktion anfangen und aus dieser heraus den neuen
Stil, den Eisenbetonstil bildnerisch erzeugen und gebären.




Bilder aus der Grafschaft Glatz
Gelo Raemmel von
5. Stadt und Festung Glatz

n dem langen Zuge der Sudeten, die Sachsen und Schlesien
von Böhmen und Mähren trennen, also heute die Reichsgrenze
bilden, die vielumkämpfte Grenze, von der aus Friedrich der
Große die meisten seiner Feldzüge führte, und hinter die er sich
wie hinter ein gewaltiges Bollwerk zurückzog, wenn er vom
feindlichen Boden weichen wußte, von der aus noch 1866 die
preußischen Heersäulen zum Entscheidungskampfe in Böhmen einbrachen, eine so
natürliche Grenze wie wenige andre und deshalb auch eine uralte Grenze,
nimmt ein kleines Gebiet geographisch, historisch und landschaftlich eine besondre
Stellung ein. die Grafschaft Glatz. Wenn man von der alten engen Festungsstadt
zur eigentlichen "Festung" durch sieben Tore und über drei Zugbrücken langsam
bis zum obersten Burghofe emporgestiegen ist, dann entfaltet sich oben auf der
windumbrausten Plattform des "Donjon", eines starken niedrigen runden
Turmes, wo der heilige Nepomuk nach Osten, nach Böhmen gewandt, segnend
seine Hand ausstreckt, eine der herrlichsten Aussichten Deutschlands über eine
völlig abgeschlossene Landschaft. Langgestreckte waldbedeckte Bergzüge rahmen im
Osten und Westen das Bild ein, dort die gleichförmige blaue Linie des Habel-
schwerdter Gebirges und der Hohen Meuse, hier in größerer Nähe die Hohe
Eule und das Reichensteiner Gebirge, zwischen denen der tiefe Einschnitt des
Neißetales sichtbar wird, die natürliche Pforte nach Schlesien hin. Im Süden
steigt über niedrigern Gipfeln das kahle, abgerundete Haupt des Hohen Schnee¬
berges auf, im Norden das steile Dach der Heuscheuer, in einer Lücke der
Umwallung bei Hellem Wetter die Wand des Riesengebirges. Geschlossener
erscheint die natürliche Begrenzung gegen Osten nach Schlesien hin, aber von
allen Gebirgsrändern rinnen die Wasserhunde schließlich in der Reiße zusammen,
die sie nach Osten ins schlesische Flachland hinausführt; auch in dieser Be¬
ziehung ist die Grafschaft ein kleineres Abbild Böhmens. In unmittelbarer
Nähe zu unsern Füßen ragen ringsum gewaltige, in mehreren Stockwerken
über- und hintereinander getürmte Wälle auf, zum Teil in Felsen gehauen


Bilder aus der Grafschaft Glatz

Die wiederholenden Stile von der Renaissance an setzen umgekehrt mit einer
Änderung des Ornaments ein, und erst langsam lernt man die alte Konstruktion
schätzen. Wir dürfen diesen Fehler nicht mehr wiederholen, denn wir kommen
nicht mehr über das Alte hinaus wegen der geradezu erdrückenden Fülle der
Formen; waren wir schon drauf und dran, in einem neuen Ornament einen
neuen Stil zu sehen, den so viel verschrienen Bandwurmstil, so müssen wir,
wenn wir tüchtig und ehrlich sein wollen, nun endlich am entgegengesetzten
Ende, nämlich bei der Konstruktion anfangen und aus dieser heraus den neuen
Stil, den Eisenbetonstil bildnerisch erzeugen und gebären.




Bilder aus der Grafschaft Glatz
Gelo Raemmel von
5. Stadt und Festung Glatz

n dem langen Zuge der Sudeten, die Sachsen und Schlesien
von Böhmen und Mähren trennen, also heute die Reichsgrenze
bilden, die vielumkämpfte Grenze, von der aus Friedrich der
Große die meisten seiner Feldzüge führte, und hinter die er sich
wie hinter ein gewaltiges Bollwerk zurückzog, wenn er vom
feindlichen Boden weichen wußte, von der aus noch 1866 die
preußischen Heersäulen zum Entscheidungskampfe in Böhmen einbrachen, eine so
natürliche Grenze wie wenige andre und deshalb auch eine uralte Grenze,
nimmt ein kleines Gebiet geographisch, historisch und landschaftlich eine besondre
Stellung ein. die Grafschaft Glatz. Wenn man von der alten engen Festungsstadt
zur eigentlichen „Festung" durch sieben Tore und über drei Zugbrücken langsam
bis zum obersten Burghofe emporgestiegen ist, dann entfaltet sich oben auf der
windumbrausten Plattform des „Donjon", eines starken niedrigen runden
Turmes, wo der heilige Nepomuk nach Osten, nach Böhmen gewandt, segnend
seine Hand ausstreckt, eine der herrlichsten Aussichten Deutschlands über eine
völlig abgeschlossene Landschaft. Langgestreckte waldbedeckte Bergzüge rahmen im
Osten und Westen das Bild ein, dort die gleichförmige blaue Linie des Habel-
schwerdter Gebirges und der Hohen Meuse, hier in größerer Nähe die Hohe
Eule und das Reichensteiner Gebirge, zwischen denen der tiefe Einschnitt des
Neißetales sichtbar wird, die natürliche Pforte nach Schlesien hin. Im Süden
steigt über niedrigern Gipfeln das kahle, abgerundete Haupt des Hohen Schnee¬
berges auf, im Norden das steile Dach der Heuscheuer, in einer Lücke der
Umwallung bei Hellem Wetter die Wand des Riesengebirges. Geschlossener
erscheint die natürliche Begrenzung gegen Osten nach Schlesien hin, aber von
allen Gebirgsrändern rinnen die Wasserhunde schließlich in der Reiße zusammen,
die sie nach Osten ins schlesische Flachland hinausführt; auch in dieser Be¬
ziehung ist die Grafschaft ein kleineres Abbild Böhmens. In unmittelbarer
Nähe zu unsern Füßen ragen ringsum gewaltige, in mehreren Stockwerken
über- und hintereinander getürmte Wälle auf, zum Teil in Felsen gehauen


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[0644] Bilder aus der Grafschaft Glatz Die wiederholenden Stile von der Renaissance an setzen umgekehrt mit einer Änderung des Ornaments ein, und erst langsam lernt man die alte Konstruktion schätzen. Wir dürfen diesen Fehler nicht mehr wiederholen, denn wir kommen nicht mehr über das Alte hinaus wegen der geradezu erdrückenden Fülle der Formen; waren wir schon drauf und dran, in einem neuen Ornament einen neuen Stil zu sehen, den so viel verschrienen Bandwurmstil, so müssen wir, wenn wir tüchtig und ehrlich sein wollen, nun endlich am entgegengesetzten Ende, nämlich bei der Konstruktion anfangen und aus dieser heraus den neuen Stil, den Eisenbetonstil bildnerisch erzeugen und gebären. Bilder aus der Grafschaft Glatz Gelo Raemmel von 5. Stadt und Festung Glatz n dem langen Zuge der Sudeten, die Sachsen und Schlesien von Böhmen und Mähren trennen, also heute die Reichsgrenze bilden, die vielumkämpfte Grenze, von der aus Friedrich der Große die meisten seiner Feldzüge führte, und hinter die er sich wie hinter ein gewaltiges Bollwerk zurückzog, wenn er vom feindlichen Boden weichen wußte, von der aus noch 1866 die preußischen Heersäulen zum Entscheidungskampfe in Böhmen einbrachen, eine so natürliche Grenze wie wenige andre und deshalb auch eine uralte Grenze, nimmt ein kleines Gebiet geographisch, historisch und landschaftlich eine besondre Stellung ein. die Grafschaft Glatz. Wenn man von der alten engen Festungsstadt zur eigentlichen „Festung" durch sieben Tore und über drei Zugbrücken langsam bis zum obersten Burghofe emporgestiegen ist, dann entfaltet sich oben auf der windumbrausten Plattform des „Donjon", eines starken niedrigen runden Turmes, wo der heilige Nepomuk nach Osten, nach Böhmen gewandt, segnend seine Hand ausstreckt, eine der herrlichsten Aussichten Deutschlands über eine völlig abgeschlossene Landschaft. Langgestreckte waldbedeckte Bergzüge rahmen im Osten und Westen das Bild ein, dort die gleichförmige blaue Linie des Habel- schwerdter Gebirges und der Hohen Meuse, hier in größerer Nähe die Hohe Eule und das Reichensteiner Gebirge, zwischen denen der tiefe Einschnitt des Neißetales sichtbar wird, die natürliche Pforte nach Schlesien hin. Im Süden steigt über niedrigern Gipfeln das kahle, abgerundete Haupt des Hohen Schnee¬ berges auf, im Norden das steile Dach der Heuscheuer, in einer Lücke der Umwallung bei Hellem Wetter die Wand des Riesengebirges. Geschlossener erscheint die natürliche Begrenzung gegen Osten nach Schlesien hin, aber von allen Gebirgsrändern rinnen die Wasserhunde schließlich in der Reiße zusammen, die sie nach Osten ins schlesische Flachland hinausführt; auch in dieser Be¬ ziehung ist die Grafschaft ein kleineres Abbild Böhmens. In unmittelbarer Nähe zu unsern Füßen ragen ringsum gewaltige, in mehreren Stockwerken über- und hintereinander getürmte Wälle auf, zum Teil in Felsen gehauen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/644>, abgerufen am 29.06.2024.