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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Aus dem Dresdner Elbgau

Daß er dennoch einen weitreichenden Einfluß auf jüngere Literarhistoriker und
Kritiker gewann, spricht für die Stärke seines Wesens und den Wert seiner
Arbeit. Freudig hat sich Adolf Bartels, sein einflußreichster Schüler, immer
zu ihm bekannt und betont, daß er mit andern durch Stern zu Hebbel und
Ludwig zurückgekommen wäre. Und mit Recht ist noch beim Tode Sterns
hervorgehoben worden, daß die fruchtbare Arbeit des Kunstworts, die ja auch
wieder zum großen Teil den Meistern aus der Mitte des neunzehnten Jahr¬
hunderts zugute kam, durchaus in Sterns Sinne geleistet wurde. Und neben
Bartels sind zum Beispiel der mehrfach genannte Hermann Anders Krüger,
Heinrich Löbner, Karl Reuschel als Schüler Sterns anzusprechen. Daß sich
außer ihnen noch mancher müht, in Sterns Sinne die Literatur der Gegen¬
wart zu beurteilen, weiß jedermann, und in aller Bescheidenheit darf auch ich
vielleicht an dieser Stelle solches Streben für mich in Anspruch nehmen, an der
Stern oft genug selbst zu Worte gekommen ist. Über seinen literarischen Nachlaß,
der guten Händen anvertraut ist, wird nach seinem Hervortreten noch zu sprechen
sein. Seine vorhandnen Werke aber sichern dem Dichter und dem Literar¬
historiker, der so oft zugleich ein Kulturhistoriker war, ein dauerndes Andenken
überall in Deutschland, wo man die echte, aus dem Leben quellende und für
das Leben geschaffne Dichtung nicht als ein müßiges Spiel der Stunde, sondern
als eine der höchsten Offenbarungen des menschlichen Herzens ansieht und
Heinrich Sxiero dankbar empfängt.




Aus dem Dresdner Glbgau
Lügen Kalkschmidt von

urch die Linden vor dem Loschwitzer Gartenhäuschen fährt der
Wind. Er greift auch ins Gewirr der Rebenlaube, die an die
schmale Terrasse vorm Fenster kühn vorspringend hinausgebaut
ist, und zaust die welkenden Blätter los. Er packt die Pflaumen¬
bäume, schüttelt sie und biegt die Wipfel breit auseinander. Das
gibt dann allemal ein feines Fleckchen Luginsland.

Da liegt im silbernen Morgenduft das weite, weite Elbtal zu unsern
Füßen. Schier ohne Ende streckt sie sich nach Westen hinunter, die alte
sächsische Fürstenstadt. Dicht zueinander geschart ragen die grauen Türme aus
dem Dunst: die eigensinnig rundköpfige Frauenkirche, an der die Bomben des
großen Friedrichs glatt wie die Gummibälle abglitten; die ebenmäßige Kreuz¬
kirche, die außen den ehrwürdigen Barock trotz des ganz modernen Ausbaues
im Innern behalten hat; die zierlich durchbrochne katholische Hofkirche mit ihrer
japanischen Zwiebelspitze; ja selbst die grüne Palma des schlanken Schloßturms
leuchtet herüber, wenn die Sonne durchbricht. Sie stehn eng, die alten Türme
der ältesten Altstadt, und in klaren Mondscheinnächten wachen sie auf und
summen tief in sich hinein von jenen Tagen, als sie jung waren, und als die
Welt gottes- und königsfürchtiger war als heute. Denn wie sieht sie heut


Aus dem Dresdner Elbgau

Daß er dennoch einen weitreichenden Einfluß auf jüngere Literarhistoriker und
Kritiker gewann, spricht für die Stärke seines Wesens und den Wert seiner
Arbeit. Freudig hat sich Adolf Bartels, sein einflußreichster Schüler, immer
zu ihm bekannt und betont, daß er mit andern durch Stern zu Hebbel und
Ludwig zurückgekommen wäre. Und mit Recht ist noch beim Tode Sterns
hervorgehoben worden, daß die fruchtbare Arbeit des Kunstworts, die ja auch
wieder zum großen Teil den Meistern aus der Mitte des neunzehnten Jahr¬
hunderts zugute kam, durchaus in Sterns Sinne geleistet wurde. Und neben
Bartels sind zum Beispiel der mehrfach genannte Hermann Anders Krüger,
Heinrich Löbner, Karl Reuschel als Schüler Sterns anzusprechen. Daß sich
außer ihnen noch mancher müht, in Sterns Sinne die Literatur der Gegen¬
wart zu beurteilen, weiß jedermann, und in aller Bescheidenheit darf auch ich
vielleicht an dieser Stelle solches Streben für mich in Anspruch nehmen, an der
Stern oft genug selbst zu Worte gekommen ist. Über seinen literarischen Nachlaß,
der guten Händen anvertraut ist, wird nach seinem Hervortreten noch zu sprechen
sein. Seine vorhandnen Werke aber sichern dem Dichter und dem Literar¬
historiker, der so oft zugleich ein Kulturhistoriker war, ein dauerndes Andenken
überall in Deutschland, wo man die echte, aus dem Leben quellende und für
das Leben geschaffne Dichtung nicht als ein müßiges Spiel der Stunde, sondern
als eine der höchsten Offenbarungen des menschlichen Herzens ansieht und
Heinrich Sxiero dankbar empfängt.




Aus dem Dresdner Glbgau
Lügen Kalkschmidt von

urch die Linden vor dem Loschwitzer Gartenhäuschen fährt der
Wind. Er greift auch ins Gewirr der Rebenlaube, die an die
schmale Terrasse vorm Fenster kühn vorspringend hinausgebaut
ist, und zaust die welkenden Blätter los. Er packt die Pflaumen¬
bäume, schüttelt sie und biegt die Wipfel breit auseinander. Das
gibt dann allemal ein feines Fleckchen Luginsland.

Da liegt im silbernen Morgenduft das weite, weite Elbtal zu unsern
Füßen. Schier ohne Ende streckt sie sich nach Westen hinunter, die alte
sächsische Fürstenstadt. Dicht zueinander geschart ragen die grauen Türme aus
dem Dunst: die eigensinnig rundköpfige Frauenkirche, an der die Bomben des
großen Friedrichs glatt wie die Gummibälle abglitten; die ebenmäßige Kreuz¬
kirche, die außen den ehrwürdigen Barock trotz des ganz modernen Ausbaues
im Innern behalten hat; die zierlich durchbrochne katholische Hofkirche mit ihrer
japanischen Zwiebelspitze; ja selbst die grüne Palma des schlanken Schloßturms
leuchtet herüber, wenn die Sonne durchbricht. Sie stehn eng, die alten Türme
der ältesten Altstadt, und in klaren Mondscheinnächten wachen sie auf und
summen tief in sich hinein von jenen Tagen, als sie jung waren, und als die
Welt gottes- und königsfürchtiger war als heute. Denn wie sieht sie heut


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[0585] Aus dem Dresdner Elbgau Daß er dennoch einen weitreichenden Einfluß auf jüngere Literarhistoriker und Kritiker gewann, spricht für die Stärke seines Wesens und den Wert seiner Arbeit. Freudig hat sich Adolf Bartels, sein einflußreichster Schüler, immer zu ihm bekannt und betont, daß er mit andern durch Stern zu Hebbel und Ludwig zurückgekommen wäre. Und mit Recht ist noch beim Tode Sterns hervorgehoben worden, daß die fruchtbare Arbeit des Kunstworts, die ja auch wieder zum großen Teil den Meistern aus der Mitte des neunzehnten Jahr¬ hunderts zugute kam, durchaus in Sterns Sinne geleistet wurde. Und neben Bartels sind zum Beispiel der mehrfach genannte Hermann Anders Krüger, Heinrich Löbner, Karl Reuschel als Schüler Sterns anzusprechen. Daß sich außer ihnen noch mancher müht, in Sterns Sinne die Literatur der Gegen¬ wart zu beurteilen, weiß jedermann, und in aller Bescheidenheit darf auch ich vielleicht an dieser Stelle solches Streben für mich in Anspruch nehmen, an der Stern oft genug selbst zu Worte gekommen ist. Über seinen literarischen Nachlaß, der guten Händen anvertraut ist, wird nach seinem Hervortreten noch zu sprechen sein. Seine vorhandnen Werke aber sichern dem Dichter und dem Literar¬ historiker, der so oft zugleich ein Kulturhistoriker war, ein dauerndes Andenken überall in Deutschland, wo man die echte, aus dem Leben quellende und für das Leben geschaffne Dichtung nicht als ein müßiges Spiel der Stunde, sondern als eine der höchsten Offenbarungen des menschlichen Herzens ansieht und Heinrich Sxiero dankbar empfängt. Aus dem Dresdner Glbgau Lügen Kalkschmidt von urch die Linden vor dem Loschwitzer Gartenhäuschen fährt der Wind. Er greift auch ins Gewirr der Rebenlaube, die an die schmale Terrasse vorm Fenster kühn vorspringend hinausgebaut ist, und zaust die welkenden Blätter los. Er packt die Pflaumen¬ bäume, schüttelt sie und biegt die Wipfel breit auseinander. Das gibt dann allemal ein feines Fleckchen Luginsland. Da liegt im silbernen Morgenduft das weite, weite Elbtal zu unsern Füßen. Schier ohne Ende streckt sie sich nach Westen hinunter, die alte sächsische Fürstenstadt. Dicht zueinander geschart ragen die grauen Türme aus dem Dunst: die eigensinnig rundköpfige Frauenkirche, an der die Bomben des großen Friedrichs glatt wie die Gummibälle abglitten; die ebenmäßige Kreuz¬ kirche, die außen den ehrwürdigen Barock trotz des ganz modernen Ausbaues im Innern behalten hat; die zierlich durchbrochne katholische Hofkirche mit ihrer japanischen Zwiebelspitze; ja selbst die grüne Palma des schlanken Schloßturms leuchtet herüber, wenn die Sonne durchbricht. Sie stehn eng, die alten Türme der ältesten Altstadt, und in klaren Mondscheinnächten wachen sie auf und summen tief in sich hinein von jenen Tagen, als sie jung waren, und als die Welt gottes- und königsfürchtiger war als heute. Denn wie sieht sie heut

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/585>, abgerufen am 29.06.2024.