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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Wahlrecht und Idealismus

>n einer hanseatischen Zeitung stellte vor einigen Jahren ein
Deutschamerikaner Betrachtungen über den Zauber an, den ge¬
wisse tönende Worte auf die Völker ausüben. Der Bannkreis
I solchen Klmigzaubers reiche freilich nur bis zur Sprachgrenze
> oder gar nur bis zu den politischen Grenzpfählen, und so komme
es, daß zum Beispiel der Sturm des Jubels, den in den Vereinigten Staaten
jeder Redner mit dem Hinweis auf die star8 "nÄ stripes entfessele, den Aus¬
länder nur komisch anmute. Über dem Splitter im Auge des Nächsten möge
man aber des Balkens im eignen nicht vergessen. Zur Rechtfertigung dieser
Mahnung schilderte der Verfasser in drastischer Weise, was er bei einem großen
studentischen Kommers in Berlin beobachtet habe. Man glaubt mit an der
Kneiptafel zu sitzen. Ein würdiger Greis mummelt eine Rede. Tödliche
Langeweile brütet über den Reihen der Festgenossen -- da, ein paar verständ¬
lichere Worte des Redners, Beifallsgetöse, die Chargierten schlagen wie besessen
mit den Rapieren auf die Tische. Was hat er gesagt? "Deutscher Idealismus!"
Bravo! "Ja, das ist der deutsche Idealismus!" Wiederum Beifallssturm und
krachende Schläger. "Ach laßt mich mit euerm deutschen Idealismus zufrieden.
Wieviel Gedankenlosigkeit, Philisterei und Feigheit hat sich dahinter schon ver¬
steckt. Oeiman iäeMslll, damit könnt ihr wirklich niemand imponieren."

An diese Lästerung mußte ich denken, als kürzlich in der Unterhaltung
über das Wahlrechtssturmgeläute derer um Naumann der Ausspruch gehört
wurde: "Ja, das ist nun mal der deutsche Idealismus." Es war die ent¬
schuldigende Antwort auf die bittere Frage, ob nach den im Reiche mit dem
allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Stimmrecht gemachten Erfahrungen
wirklich noch ein verständiger Mensch es als der Weisheit letzten Schluß ansehen
und von seiner Einführung in Preußen absonderlich Gutes erwarten könne.

In der Tat wird hierzulande mit dem Begriff Idealismus ein solcher
Mißbrauch getrieben, daß man das spöttische Lächeln der Ausländer über den


Grenzboten IV 1907 64


Wahlrecht und Idealismus

>n einer hanseatischen Zeitung stellte vor einigen Jahren ein
Deutschamerikaner Betrachtungen über den Zauber an, den ge¬
wisse tönende Worte auf die Völker ausüben. Der Bannkreis
I solchen Klmigzaubers reiche freilich nur bis zur Sprachgrenze
> oder gar nur bis zu den politischen Grenzpfählen, und so komme
es, daß zum Beispiel der Sturm des Jubels, den in den Vereinigten Staaten
jeder Redner mit dem Hinweis auf die star8 »nÄ stripes entfessele, den Aus¬
länder nur komisch anmute. Über dem Splitter im Auge des Nächsten möge
man aber des Balkens im eignen nicht vergessen. Zur Rechtfertigung dieser
Mahnung schilderte der Verfasser in drastischer Weise, was er bei einem großen
studentischen Kommers in Berlin beobachtet habe. Man glaubt mit an der
Kneiptafel zu sitzen. Ein würdiger Greis mummelt eine Rede. Tödliche
Langeweile brütet über den Reihen der Festgenossen — da, ein paar verständ¬
lichere Worte des Redners, Beifallsgetöse, die Chargierten schlagen wie besessen
mit den Rapieren auf die Tische. Was hat er gesagt? „Deutscher Idealismus!"
Bravo! „Ja, das ist der deutsche Idealismus!" Wiederum Beifallssturm und
krachende Schläger. „Ach laßt mich mit euerm deutschen Idealismus zufrieden.
Wieviel Gedankenlosigkeit, Philisterei und Feigheit hat sich dahinter schon ver¬
steckt. Oeiman iäeMslll, damit könnt ihr wirklich niemand imponieren."

An diese Lästerung mußte ich denken, als kürzlich in der Unterhaltung
über das Wahlrechtssturmgeläute derer um Naumann der Ausspruch gehört
wurde: „Ja, das ist nun mal der deutsche Idealismus." Es war die ent¬
schuldigende Antwort auf die bittere Frage, ob nach den im Reiche mit dem
allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Stimmrecht gemachten Erfahrungen
wirklich noch ein verständiger Mensch es als der Weisheit letzten Schluß ansehen
und von seiner Einführung in Preußen absonderlich Gutes erwarten könne.

In der Tat wird hierzulande mit dem Begriff Idealismus ein solcher
Mißbrauch getrieben, daß man das spöttische Lächeln der Ausländer über den


Grenzboten IV 1907 64
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[0497] [Abbildung] Wahlrecht und Idealismus >n einer hanseatischen Zeitung stellte vor einigen Jahren ein Deutschamerikaner Betrachtungen über den Zauber an, den ge¬ wisse tönende Worte auf die Völker ausüben. Der Bannkreis I solchen Klmigzaubers reiche freilich nur bis zur Sprachgrenze > oder gar nur bis zu den politischen Grenzpfählen, und so komme es, daß zum Beispiel der Sturm des Jubels, den in den Vereinigten Staaten jeder Redner mit dem Hinweis auf die star8 »nÄ stripes entfessele, den Aus¬ länder nur komisch anmute. Über dem Splitter im Auge des Nächsten möge man aber des Balkens im eignen nicht vergessen. Zur Rechtfertigung dieser Mahnung schilderte der Verfasser in drastischer Weise, was er bei einem großen studentischen Kommers in Berlin beobachtet habe. Man glaubt mit an der Kneiptafel zu sitzen. Ein würdiger Greis mummelt eine Rede. Tödliche Langeweile brütet über den Reihen der Festgenossen — da, ein paar verständ¬ lichere Worte des Redners, Beifallsgetöse, die Chargierten schlagen wie besessen mit den Rapieren auf die Tische. Was hat er gesagt? „Deutscher Idealismus!" Bravo! „Ja, das ist der deutsche Idealismus!" Wiederum Beifallssturm und krachende Schläger. „Ach laßt mich mit euerm deutschen Idealismus zufrieden. Wieviel Gedankenlosigkeit, Philisterei und Feigheit hat sich dahinter schon ver¬ steckt. Oeiman iäeMslll, damit könnt ihr wirklich niemand imponieren." An diese Lästerung mußte ich denken, als kürzlich in der Unterhaltung über das Wahlrechtssturmgeläute derer um Naumann der Ausspruch gehört wurde: „Ja, das ist nun mal der deutsche Idealismus." Es war die ent¬ schuldigende Antwort auf die bittere Frage, ob nach den im Reiche mit dem allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Stimmrecht gemachten Erfahrungen wirklich noch ein verständiger Mensch es als der Weisheit letzten Schluß ansehen und von seiner Einführung in Preußen absonderlich Gutes erwarten könne. In der Tat wird hierzulande mit dem Begriff Idealismus ein solcher Mißbrauch getrieben, daß man das spöttische Lächeln der Ausländer über den Grenzboten IV 1907 64

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/497>, abgerufen am 29.06.2024.