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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Die kleine graue Uatze

Tragiker und Schillers, die Feierlichkeit Klopstockscher Oden, die volkstümliche
Weise Herders, die Ironie und das geheimnisreiche Wesen der Romantiker, die
vaterländische Begeisterung der Freiheitssänger, aber auch das Liebesgeflüster
Catulls, das graziöse Lachen des Horaz, der ätzende Spott Martials: alle
diese verschiednen Töne klingen auf seiner Leier.

Im übrigen zeigt sein Wesen jene feine vielseitige Bildung und freund¬
liche Sitte, um deretwillen Rat Goethe sechs Jahre vor Apels Geburt seinen
Wolfgang nach Pleißathen auf die Universität schickte. In August Apel trieb
die alte Leipziger Geistesart, die sich aus gesundem Menschenverstand, Unter¬
nehmungsgeist, Unabhängigkeitstrieb, Natürlichkeit und Anmut und einem mit
tiefem Gemütsleben gepaarten Sarkasmus zusammensetzt, eine ihrer edelsten
Blüten. Er selbst hatte keinerlei hohe Meinung von sich, am wenigsten von
seinen Dichtungen, für die er in dem "Abschied" am Schlüsse'seiner "Zeit¬
losen" in graziösen Versen nur um ein bescheidnes Plätzchen bittet:




Vie kleine graue Katze
Ingeborg Maria Sick von(Schluß)

Skogstarp, 7. September


Liebe Wenda!

erzlichen Dank für alle deine lieben Worte, die du mir geschickt hast.
Mamas letzte Karte hat dir wohl den neuesten Ausspruch der Ärzte
mitgeteilt. Sie sind nun also entschieden der Meinung, daß Axel
am Leben bleiben werde.

Er hat mich fortgeschickt, weil ich ruhen solle. Solange er nur
auf Augenblicke bei Bewußtsein war, war es leichter für mich, Tag
und Nacht bei ihm zu sitzen. Nun muß ich mit seiner Fürsorge für mich kämpfen.
Meine Ruhe will ich nun dazu verwenden, mit dir zu plaudern. Ich sitze an
seinem Schreibtisch, und die Tür zu seinem Zimmer steht offen.

Du fragst, wie, ja wie ich über diese Nachricht und die entsetzlichen Tage und
Nächte hinübergekommen sei? Ich weiß es selbst nicht, ich bin bei Axel gewesen.
Das ist alles, was ich noch weiß.

Man wird dir mitgeteilt haben, daß wir vor ein paar Tagen Hochzeit gehabt
haben. Propst Bergstrom ist hier gewesen und hat uns getraut.


Die kleine graue Uatze

Tragiker und Schillers, die Feierlichkeit Klopstockscher Oden, die volkstümliche
Weise Herders, die Ironie und das geheimnisreiche Wesen der Romantiker, die
vaterländische Begeisterung der Freiheitssänger, aber auch das Liebesgeflüster
Catulls, das graziöse Lachen des Horaz, der ätzende Spott Martials: alle
diese verschiednen Töne klingen auf seiner Leier.

Im übrigen zeigt sein Wesen jene feine vielseitige Bildung und freund¬
liche Sitte, um deretwillen Rat Goethe sechs Jahre vor Apels Geburt seinen
Wolfgang nach Pleißathen auf die Universität schickte. In August Apel trieb
die alte Leipziger Geistesart, die sich aus gesundem Menschenverstand, Unter¬
nehmungsgeist, Unabhängigkeitstrieb, Natürlichkeit und Anmut und einem mit
tiefem Gemütsleben gepaarten Sarkasmus zusammensetzt, eine ihrer edelsten
Blüten. Er selbst hatte keinerlei hohe Meinung von sich, am wenigsten von
seinen Dichtungen, für die er in dem „Abschied" am Schlüsse'seiner „Zeit¬
losen" in graziösen Versen nur um ein bescheidnes Plätzchen bittet:




Vie kleine graue Katze
Ingeborg Maria Sick von(Schluß)

Skogstarp, 7. September


Liebe Wenda!

erzlichen Dank für alle deine lieben Worte, die du mir geschickt hast.
Mamas letzte Karte hat dir wohl den neuesten Ausspruch der Ärzte
mitgeteilt. Sie sind nun also entschieden der Meinung, daß Axel
am Leben bleiben werde.

Er hat mich fortgeschickt, weil ich ruhen solle. Solange er nur
auf Augenblicke bei Bewußtsein war, war es leichter für mich, Tag
und Nacht bei ihm zu sitzen. Nun muß ich mit seiner Fürsorge für mich kämpfen.
Meine Ruhe will ich nun dazu verwenden, mit dir zu plaudern. Ich sitze an
seinem Schreibtisch, und die Tür zu seinem Zimmer steht offen.

Du fragst, wie, ja wie ich über diese Nachricht und die entsetzlichen Tage und
Nächte hinübergekommen sei? Ich weiß es selbst nicht, ich bin bei Axel gewesen.
Das ist alles, was ich noch weiß.

Man wird dir mitgeteilt haben, daß wir vor ein paar Tagen Hochzeit gehabt
haben. Propst Bergstrom ist hier gewesen und hat uns getraut.


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[0481] Die kleine graue Uatze Tragiker und Schillers, die Feierlichkeit Klopstockscher Oden, die volkstümliche Weise Herders, die Ironie und das geheimnisreiche Wesen der Romantiker, die vaterländische Begeisterung der Freiheitssänger, aber auch das Liebesgeflüster Catulls, das graziöse Lachen des Horaz, der ätzende Spott Martials: alle diese verschiednen Töne klingen auf seiner Leier. Im übrigen zeigt sein Wesen jene feine vielseitige Bildung und freund¬ liche Sitte, um deretwillen Rat Goethe sechs Jahre vor Apels Geburt seinen Wolfgang nach Pleißathen auf die Universität schickte. In August Apel trieb die alte Leipziger Geistesart, die sich aus gesundem Menschenverstand, Unter¬ nehmungsgeist, Unabhängigkeitstrieb, Natürlichkeit und Anmut und einem mit tiefem Gemütsleben gepaarten Sarkasmus zusammensetzt, eine ihrer edelsten Blüten. Er selbst hatte keinerlei hohe Meinung von sich, am wenigsten von seinen Dichtungen, für die er in dem „Abschied" am Schlüsse'seiner „Zeit¬ losen" in graziösen Versen nur um ein bescheidnes Plätzchen bittet: Vie kleine graue Katze Ingeborg Maria Sick von(Schluß) Skogstarp, 7. September Liebe Wenda! erzlichen Dank für alle deine lieben Worte, die du mir geschickt hast. Mamas letzte Karte hat dir wohl den neuesten Ausspruch der Ärzte mitgeteilt. Sie sind nun also entschieden der Meinung, daß Axel am Leben bleiben werde. Er hat mich fortgeschickt, weil ich ruhen solle. Solange er nur auf Augenblicke bei Bewußtsein war, war es leichter für mich, Tag und Nacht bei ihm zu sitzen. Nun muß ich mit seiner Fürsorge für mich kämpfen. Meine Ruhe will ich nun dazu verwenden, mit dir zu plaudern. Ich sitze an seinem Schreibtisch, und die Tür zu seinem Zimmer steht offen. Du fragst, wie, ja wie ich über diese Nachricht und die entsetzlichen Tage und Nächte hinübergekommen sei? Ich weiß es selbst nicht, ich bin bei Axel gewesen. Das ist alles, was ich noch weiß. Man wird dir mitgeteilt haben, daß wir vor ein paar Tagen Hochzeit gehabt haben. Propst Bergstrom ist hier gewesen und hat uns getraut.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/481>, abgerufen am 29.06.2024.