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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Zur Psychologie der Mode

Lächeln, als mit Ärger liest man aus der Geschichte des Serrenbergschen Kleist¬
denkmals die eines andern Berliner Monuments heraus. Das Ganze ist, wie
fast immer bei Hanns von Zobeltitz, spannend und in seinem anspruchslosen
Wurf unterhaltend, es ist, möchte ich sagen, anständiger deutscher Unterhaltungs¬
roman in Reinzucht, diesmal aber ohne die das Ganze erhebende Tendenz des
Jndustrieromans "Arbeit" von demselben Verfasser.

Fast gleichzeitig erscheinen eben jetzt die Gesammelten Werke zweier Dichter,
die in der Blüte ihrer Jahre abberufen wurden, und deren Gedächtnis noch frisch
unter uns lebt: Jacob Julius Davids und Heinrich Harls. Beide Ausgaben
sind von Freundeshand veranstaltet. Es liegen bisher nur die ersten Bände vor
(Davids aus dem Verlage von R. Piper u. Co. in München, Harls aus dem von
Egon Fleischel u. Co. in Berlin); sobald die Ausgaben vollständig sind, wird
i Heinrich Sxiero hrer an dieser Stelle ausführlich zu gedenken sein.




Zur Psychologie der Mode
Joseph Aug. Lux i von n

">le Mode liefert den Geschmack für jedermann. Auch für die
Geschmacklosen. Sie uniformiert. Sie lebt für die Masse und
von der Masse. Das befestigt ihre Herrschaft, ihre Tyrannei.
Jeder will modern sein. Die meisten verzichten gern auf ein
! bißchen Individualität, wenn sie eine solche haben, und schließen
sich der Masse an, der Mode. Man will nicht auffallen, man will nicht ab¬
sonderlich erscheinen, und man fällt am wenigsten auf, wenn man mit der Mode
geht. Freilich, das sind die Modernsten, die nicht nach der Mode fragen,
sondern selbst bestimmen, was ihnen angemessen ist. Das sind die Rebellen
von heute und die Führer von morgen. Doch die Mode kümmert sich nicht
um die Persönlichkeit und ihre Mündigkeitsrechte; sie hebt diese Rechte auf,
vergewaltigt, macht unfrei und unselbständig und beglückt ihre Sklaven sodann
mit ihren gleißenden Gaben. Der persönliche Geschmack hat zu schweigen, ob
ihm die neue Mode paßt oder nicht paßt, ob sie schön ist oder nicht schön, ge¬
schmackvoll oder geschmacklos, ist keine Frage; man trägt sie, und damit basta!
Passend oder unpassend, schön oder unschön, geschmackvoll oder geschmacklos,
das sind großenteils rein persönliche Anschauungen, die von Mensch zu Mensch
verschieden sind, und wenn sich die Mode danach richten würde, wäre sie schon
keine Mode mehr. Verkörpert die Mode nichts Persönliches, keinen individuellen
Geschmack? O doch! Ein König findet einen neuen Westenschnitt, ein popu¬
lärer Schauspieler schafft eine neue Hutform, ein berühmter Dichter einen neuen
Schlips. Freilich ganz individuell, selbständig, schöpferisch; es paßt ihnen vor-


Zur Psychologie der Mode

Lächeln, als mit Ärger liest man aus der Geschichte des Serrenbergschen Kleist¬
denkmals die eines andern Berliner Monuments heraus. Das Ganze ist, wie
fast immer bei Hanns von Zobeltitz, spannend und in seinem anspruchslosen
Wurf unterhaltend, es ist, möchte ich sagen, anständiger deutscher Unterhaltungs¬
roman in Reinzucht, diesmal aber ohne die das Ganze erhebende Tendenz des
Jndustrieromans „Arbeit" von demselben Verfasser.

Fast gleichzeitig erscheinen eben jetzt die Gesammelten Werke zweier Dichter,
die in der Blüte ihrer Jahre abberufen wurden, und deren Gedächtnis noch frisch
unter uns lebt: Jacob Julius Davids und Heinrich Harls. Beide Ausgaben
sind von Freundeshand veranstaltet. Es liegen bisher nur die ersten Bände vor
(Davids aus dem Verlage von R. Piper u. Co. in München, Harls aus dem von
Egon Fleischel u. Co. in Berlin); sobald die Ausgaben vollständig sind, wird
i Heinrich Sxiero hrer an dieser Stelle ausführlich zu gedenken sein.




Zur Psychologie der Mode
Joseph Aug. Lux i von n

«>le Mode liefert den Geschmack für jedermann. Auch für die
Geschmacklosen. Sie uniformiert. Sie lebt für die Masse und
von der Masse. Das befestigt ihre Herrschaft, ihre Tyrannei.
Jeder will modern sein. Die meisten verzichten gern auf ein
! bißchen Individualität, wenn sie eine solche haben, und schließen
sich der Masse an, der Mode. Man will nicht auffallen, man will nicht ab¬
sonderlich erscheinen, und man fällt am wenigsten auf, wenn man mit der Mode
geht. Freilich, das sind die Modernsten, die nicht nach der Mode fragen,
sondern selbst bestimmen, was ihnen angemessen ist. Das sind die Rebellen
von heute und die Führer von morgen. Doch die Mode kümmert sich nicht
um die Persönlichkeit und ihre Mündigkeitsrechte; sie hebt diese Rechte auf,
vergewaltigt, macht unfrei und unselbständig und beglückt ihre Sklaven sodann
mit ihren gleißenden Gaben. Der persönliche Geschmack hat zu schweigen, ob
ihm die neue Mode paßt oder nicht paßt, ob sie schön ist oder nicht schön, ge¬
schmackvoll oder geschmacklos, ist keine Frage; man trägt sie, und damit basta!
Passend oder unpassend, schön oder unschön, geschmackvoll oder geschmacklos,
das sind großenteils rein persönliche Anschauungen, die von Mensch zu Mensch
verschieden sind, und wenn sich die Mode danach richten würde, wäre sie schon
keine Mode mehr. Verkörpert die Mode nichts Persönliches, keinen individuellen
Geschmack? O doch! Ein König findet einen neuen Westenschnitt, ein popu¬
lärer Schauspieler schafft eine neue Hutform, ein berühmter Dichter einen neuen
Schlips. Freilich ganz individuell, selbständig, schöpferisch; es paßt ihnen vor-


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[0307] Zur Psychologie der Mode Lächeln, als mit Ärger liest man aus der Geschichte des Serrenbergschen Kleist¬ denkmals die eines andern Berliner Monuments heraus. Das Ganze ist, wie fast immer bei Hanns von Zobeltitz, spannend und in seinem anspruchslosen Wurf unterhaltend, es ist, möchte ich sagen, anständiger deutscher Unterhaltungs¬ roman in Reinzucht, diesmal aber ohne die das Ganze erhebende Tendenz des Jndustrieromans „Arbeit" von demselben Verfasser. Fast gleichzeitig erscheinen eben jetzt die Gesammelten Werke zweier Dichter, die in der Blüte ihrer Jahre abberufen wurden, und deren Gedächtnis noch frisch unter uns lebt: Jacob Julius Davids und Heinrich Harls. Beide Ausgaben sind von Freundeshand veranstaltet. Es liegen bisher nur die ersten Bände vor (Davids aus dem Verlage von R. Piper u. Co. in München, Harls aus dem von Egon Fleischel u. Co. in Berlin); sobald die Ausgaben vollständig sind, wird i Heinrich Sxiero hrer an dieser Stelle ausführlich zu gedenken sein. Zur Psychologie der Mode Joseph Aug. Lux i von n «>le Mode liefert den Geschmack für jedermann. Auch für die Geschmacklosen. Sie uniformiert. Sie lebt für die Masse und von der Masse. Das befestigt ihre Herrschaft, ihre Tyrannei. Jeder will modern sein. Die meisten verzichten gern auf ein ! bißchen Individualität, wenn sie eine solche haben, und schließen sich der Masse an, der Mode. Man will nicht auffallen, man will nicht ab¬ sonderlich erscheinen, und man fällt am wenigsten auf, wenn man mit der Mode geht. Freilich, das sind die Modernsten, die nicht nach der Mode fragen, sondern selbst bestimmen, was ihnen angemessen ist. Das sind die Rebellen von heute und die Führer von morgen. Doch die Mode kümmert sich nicht um die Persönlichkeit und ihre Mündigkeitsrechte; sie hebt diese Rechte auf, vergewaltigt, macht unfrei und unselbständig und beglückt ihre Sklaven sodann mit ihren gleißenden Gaben. Der persönliche Geschmack hat zu schweigen, ob ihm die neue Mode paßt oder nicht paßt, ob sie schön ist oder nicht schön, ge¬ schmackvoll oder geschmacklos, ist keine Frage; man trägt sie, und damit basta! Passend oder unpassend, schön oder unschön, geschmackvoll oder geschmacklos, das sind großenteils rein persönliche Anschauungen, die von Mensch zu Mensch verschieden sind, und wenn sich die Mode danach richten würde, wäre sie schon keine Mode mehr. Verkörpert die Mode nichts Persönliches, keinen individuellen Geschmack? O doch! Ein König findet einen neuen Westenschnitt, ein popu¬ lärer Schauspieler schafft eine neue Hutform, ein berühmter Dichter einen neuen Schlips. Freilich ganz individuell, selbständig, schöpferisch; es paßt ihnen vor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/307>, abgerufen am 29.06.2024.