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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Literarische Rundschau

der Hamburger sagt, lehren als Schulbeispiele drei solche Romane, die mir
gerade vorliegen. Der erste und feinste, "Fatum" von Georg Wasuer (bei Egon
Fleischel u. Co. in Berlin), hat die stärksten poetischen Fühler. Wasuer arbeitet
fast nirgends mit Äußerlichkeiten, sondern führt in beiden, zeitlich weit aus¬
einander liegenden Teilen seines Buchs die Handlung fein und behutsam in
seiner an Fontane geschulten Sprache im Grunde jedesmal nur zwischen zwei
Seelen hin; im ersten Teil zwischen einem jungen Studenten und einer zwölf
Jahre ältern Frau, im zweiten zwischen dem auf die Lebenshöhe gelangten
Manne und einem jungen Mädchen, in dem er zuletzt die eigne Tochter aus
jener Jugendzeit erkennen muß. Ein aparter und sehr heikler Stoff, zu dein
mancher nicht gegriffen hätte, ohne sich mit allerlei eindeutigen Abschweifungen
und pikanten Schilderungen daran zu vergreifen. Bei Wahrer ist nichts der¬
gleichen. In schönem Fluß wird die Erzühluug durchgeführt, ohne jeden Zwang
den Dingen scheinbar ihr Lauf gelassen und die allmählich vorschreitende psycho¬
logische Entwicklung ohne ein unreines Wort sicher zu Ende geleitet. Und über
dem Reiz des Ganzen vergißt man wohl gar, daß die Katastrophe mehr ein
Abbruch als ein Ende ist, daß man sie etwas anders gewünscht hätte, als
Wasuer sie schließlich geschehn läßt.

Bei dem Roman von Liesbeth Dill "Die kleine Stadt. Tragödie eines Mannes
von Geschmack" (Stuttgart und Leipzig, Deutsche Verlagsanstalt) sieht es zuerst
so aus, als ob stärkere dichterische Elemente darin steckten. Das ist aber nicht
der Fall. Mit der Glaubwürdigkeit der erzählten Handlung sinkt auch der Roman
selbst von der zuerst eingenommnen Höhe herab, leidet auch unter seiner un¬
nötigen Breite. Es steckt eine Menge vorzüglich beobachteter Details aus
deutschen Kleinstädter in dem Buch. Aber das genügt nicht zur Stützung des
Hauptvorgangs, um den es sich dreht: wie nämlich ein geschmackvoller und
ehrgeiziger, von kleinen Leuten stammender Mann eine ganze Kleinstadt für seine
künstlerischen und kommunalen Pläne gewinnt, auf dem Gipfel seiner Wünsche
aber den innerlich erlittnen Schiffbruch an einer unerwiderten Liebe herb empfinden
muß. Ich bezweifle nicht, daß die Erzählung von Liesbeth Dill viele gespannte
Leser finden wird, und leugne nicht, daß sie sensationellen Aufputz überall ver¬
schmäht hat, aber ihr hat sich hier durchaus die Kunst der äußern und innern
Beschränkung versagt, die Georg Wahrer beherrscht, und die auch dem dritten
hier anzuschließenden Buch eigen ist, dem Roman "Der Bildhauer" von Hanns
von Zobeltitz (Deutsche Verlagsanstalt). Man kennt ja die robust zugreifende
Art dieses tüchtigen und gut beobachtenden Erzählers, der so wenig wie alle
seine schreibenden Standesgenossen den ehemaligen Offizier verleugnen kann. So
erzählt er auch hier mit derben Wirkungen die Geschichte des Bildhauers
Serrenberg, der ein stilles Glück an sein Herz zog und es nur zu bald in
neuem Künstlerrausch um ein schillerndes andres wieder ließ. Beide Brüder
Zobeltitz neigen, wie Adolf Bartels einmal richtig bemerkt, dazu, Aktualitäten
in ihre Romane hineinzuziehn. Das geschieht auch hier, aber wohl eher mit


Literarische Rundschau

der Hamburger sagt, lehren als Schulbeispiele drei solche Romane, die mir
gerade vorliegen. Der erste und feinste, „Fatum" von Georg Wasuer (bei Egon
Fleischel u. Co. in Berlin), hat die stärksten poetischen Fühler. Wasuer arbeitet
fast nirgends mit Äußerlichkeiten, sondern führt in beiden, zeitlich weit aus¬
einander liegenden Teilen seines Buchs die Handlung fein und behutsam in
seiner an Fontane geschulten Sprache im Grunde jedesmal nur zwischen zwei
Seelen hin; im ersten Teil zwischen einem jungen Studenten und einer zwölf
Jahre ältern Frau, im zweiten zwischen dem auf die Lebenshöhe gelangten
Manne und einem jungen Mädchen, in dem er zuletzt die eigne Tochter aus
jener Jugendzeit erkennen muß. Ein aparter und sehr heikler Stoff, zu dein
mancher nicht gegriffen hätte, ohne sich mit allerlei eindeutigen Abschweifungen
und pikanten Schilderungen daran zu vergreifen. Bei Wahrer ist nichts der¬
gleichen. In schönem Fluß wird die Erzühluug durchgeführt, ohne jeden Zwang
den Dingen scheinbar ihr Lauf gelassen und die allmählich vorschreitende psycho¬
logische Entwicklung ohne ein unreines Wort sicher zu Ende geleitet. Und über
dem Reiz des Ganzen vergißt man wohl gar, daß die Katastrophe mehr ein
Abbruch als ein Ende ist, daß man sie etwas anders gewünscht hätte, als
Wasuer sie schließlich geschehn läßt.

Bei dem Roman von Liesbeth Dill „Die kleine Stadt. Tragödie eines Mannes
von Geschmack" (Stuttgart und Leipzig, Deutsche Verlagsanstalt) sieht es zuerst
so aus, als ob stärkere dichterische Elemente darin steckten. Das ist aber nicht
der Fall. Mit der Glaubwürdigkeit der erzählten Handlung sinkt auch der Roman
selbst von der zuerst eingenommnen Höhe herab, leidet auch unter seiner un¬
nötigen Breite. Es steckt eine Menge vorzüglich beobachteter Details aus
deutschen Kleinstädter in dem Buch. Aber das genügt nicht zur Stützung des
Hauptvorgangs, um den es sich dreht: wie nämlich ein geschmackvoller und
ehrgeiziger, von kleinen Leuten stammender Mann eine ganze Kleinstadt für seine
künstlerischen und kommunalen Pläne gewinnt, auf dem Gipfel seiner Wünsche
aber den innerlich erlittnen Schiffbruch an einer unerwiderten Liebe herb empfinden
muß. Ich bezweifle nicht, daß die Erzählung von Liesbeth Dill viele gespannte
Leser finden wird, und leugne nicht, daß sie sensationellen Aufputz überall ver¬
schmäht hat, aber ihr hat sich hier durchaus die Kunst der äußern und innern
Beschränkung versagt, die Georg Wahrer beherrscht, und die auch dem dritten
hier anzuschließenden Buch eigen ist, dem Roman „Der Bildhauer" von Hanns
von Zobeltitz (Deutsche Verlagsanstalt). Man kennt ja die robust zugreifende
Art dieses tüchtigen und gut beobachtenden Erzählers, der so wenig wie alle
seine schreibenden Standesgenossen den ehemaligen Offizier verleugnen kann. So
erzählt er auch hier mit derben Wirkungen die Geschichte des Bildhauers
Serrenberg, der ein stilles Glück an sein Herz zog und es nur zu bald in
neuem Künstlerrausch um ein schillerndes andres wieder ließ. Beide Brüder
Zobeltitz neigen, wie Adolf Bartels einmal richtig bemerkt, dazu, Aktualitäten
in ihre Romane hineinzuziehn. Das geschieht auch hier, aber wohl eher mit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/306>, abgerufen am 01.07.2024.