Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Sankt Hvons Gericht Ei Clara Hohrath ne Liebes- und Heiligengeschichte aus der Bretagne von (Schluß) l achten der erste heftige Fieberanfall gebrochen war, stand Yvonne noch Was für ein kluger und geschickter Herr war doch dieser Se. Avon! Er Guten Tag, Yvonne! rief er herüber, laut und fröhlich. Am nächsten Abend harrte sie wieder auf ihrer Bank aus bis zur Heimkehr- Guten Abend, Alanik! sagte Yvonne nun mit ihrer neuen leisen, ein wenig Da sah er sie mit reumütigen, schen bettelnden Augen an. Du bist mir nun Sie schüttelte den Kopf. Dann sagte sie, und es klang so, als habe sie sich Grenzboten II 1907 55
Sankt Hvons Gericht Ei Clara Hohrath ne Liebes- und Heiligengeschichte aus der Bretagne von (Schluß) l achten der erste heftige Fieberanfall gebrochen war, stand Yvonne noch Was für ein kluger und geschickter Herr war doch dieser Se. Avon! Er Guten Tag, Yvonne! rief er herüber, laut und fröhlich. Am nächsten Abend harrte sie wieder auf ihrer Bank aus bis zur Heimkehr- Guten Abend, Alanik! sagte Yvonne nun mit ihrer neuen leisen, ein wenig Da sah er sie mit reumütigen, schen bettelnden Augen an. Du bist mir nun Sie schüttelte den Kopf. Dann sagte sie, und es klang so, als habe sie sich Grenzboten II 1907 55
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[Abbildung]
Sankt Hvons Gericht
Ei Clara Hohrath ne Liebes- und Heiligengeschichte aus der Bretagne von
(Schluß)
l achten der erste heftige Fieberanfall gebrochen war, stand Yvonne noch
einmal von ihrem Bette auf. Doch sie war kaum wieder zu erkennen, so
sehr hatte die kurze Krankheitszeit sie schon mitgenommen. Eine bleiche,
magere Frau war sie geworden, die sich mühsam auf die alte Stein¬
bank vor dem Hause schleppte, wenn die Sonne voll und warm darauf
herabschien. Keiner ging an ihr vorüber, ohne bei ihrem Anblick zu
denken: Sie ist gezeichnet, lange wird sie es nicht mehr machen. Was sie selbst
dachte, verriet sie nicht. Ihre müden Hände quälten sich unablässig mit Flicken und
Stricken ab, denn sie mochte ihrer Verwandtschaft nicht zur Last fallen. Ein stiller
Ausdruck lag auf ihrem Gesicht, eine Resignation, die fast einer ernsthaften Fröh¬
lichkeit gleichkam. Sie wandte das Gesicht häufig seewärts, wo die Fischerboote
Jede auftauchten, jetzt wieder verschwanden im rosigen Nebel der Ferne. Eines
Abends blieb sie länger als sonst auf ihrer Bank. Da kamen auf der tiefergelegnen
Hafenstraße die heimkehrenden Fischer lachend und singend vorübergezogen. Und
unter ihnen erkannte sie Alan. Trotz der Entfernung gewahrte sie deutlich, daß sein
aussehen wieder sauber und schmuck geworden war, und daß sich in seiner Haltung
das alte fröhliche Selbstbewußtsein aussprach. Aber auch er sah sie da oben auf
ihrer Bank sitzen, und seine schwarzen Augen glänzten auf. Ein stummes Dankgebet
IMdte er gen Himmel.
Was für ein kluger und geschickter Herr war doch dieser Se. Avon! Er
hatte sein Ansehen glänzend wiederhergestellt, und nun, wo er die verwirrten
Sachen in Richtigkeit gebracht hatte, zog er die strafende Hand von Yvonne zurück,
^hr Tod war ja nun überflüssig geworden, jetzt durfte sie wieder genesen! Und
b" saß sie richtig schon draußen in der frischen Luft vor ihrem Hause!
Guten Tag, Yvonne! rief er herüber, laut und fröhlich.
Am nächsten Abend harrte sie wieder auf ihrer Bank aus bis zur Heimkehr-
stuude der Fischerbarken. Alan blieb diesmal hinter den andern zurück. Dann kam
^' die Treppen herauf, die von der Hafenstraße auf ihr Haus zuführten. Als er
""he herangekommen war, erschrak er sichtlich über ihr Aussehen. Er brachte sein
^nten Tag, Yvonne! nicht heraus. Die Seemannsmütze zwischen den gebräunten
Händen drehend, stand er vor ihr und suchte vergeblich nach Worten. Die Lippen
Zitterten ihm.
Guten Abend, Alanik! sagte Yvonne nun mit ihrer neuen leisen, ein wenig
heisern Stimme.
Da sah er sie mit reumütigen, schen bettelnden Augen an. Du bist mir nun
wohl bitterböse, Yvonne?
Sie schüttelte den Kopf. Dann sagte sie, und es klang so, als habe sie sich
diese Rede eingeübt wie einen Spruch: Ich hatte die Tür zugeschlagen zwischen
Grenzboten II 1907 55
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