Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Die eigne Meinung Gustav Aleinert von >an kann es jeden Tag bei jeder Gelegenheit hören, daß der eine Wie kommt es denn nun eigentlich, daß jeder den Besitz einer eignen Die eigne Meinung Gustav Aleinert von >an kann es jeden Tag bei jeder Gelegenheit hören, daß der eine Wie kommt es denn nun eigentlich, daß jeder den Besitz einer eignen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0418" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302406"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341885_301987/figures/grenzboten_341885_301987_302406_000.jpg"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Die eigne Meinung<lb/><note type="byline"> Gustav Aleinert</note> von </head><lb/> <p xml:id="ID_1757"> >an kann es jeden Tag bei jeder Gelegenheit hören, daß der eine<lb/> dem andern vorwirft, er habe keine eigne Meinung. Das geht<lb/> sogar so weit, daß jeder fest davon überzeugt ist, er habe eine<lb/> eigne Meinung, und jeder so im füllen von dem andern annimmt,<lb/> ! er habe keine. Dabei ist die eigne Meinung das drolligste Ding<lb/> von der Welt. Jeder verlangt, man solle sie haben, und jeder behauptet, er<lb/> Hütte sie; wer sie aber wirklich und wahrhaftig hat, diese eigne Meinung, der<lb/> erregt damit überall Anstoß und kommt damit selten auf einen grünen Zweig.<lb/> Es ist zu allen Zeiten unvorsichtig, wenn nicht gar gefährlich gewesen, eine eigne<lb/> Meinung zu haben, und es ist auch zu allen Zeiten kein Zeichen von besondrer<lb/> Klugheit oder besser gesagt Schlauheit gewesen, diese eigne Meinung öffentlich<lb/> zu äußern und zu vertreten. Gerade in unsern allerneusten, aufgeklärtesten, in<lb/> unsern sogenannten konstitutionellen Zeitläuften sind „eigne Meinungen" sehr<lb/> verpönt, man schätzt nur die Zeitgenossen hoch, die die Meinungen der vorge¬<lb/> setzten Behörden, Regierungen und führenden Männer als ihre eigne Meinung<lb/> adoptieren, und hält wenig von Leuten, die sich herausnehmen, über die<lb/> Meinungen von oben wiederum eine eigne Meinung zu haben.</p><lb/> <p xml:id="ID_1758" next="#ID_1759"> Wie kommt es denn nun eigentlich, daß jeder den Besitz einer eignen<lb/> Meinung als etwas Erstrebenswertes, als etwas Anerkennungswertes, ja als<lb/> etwas Ideales hinstellt, daß jeder sich so gern den Anschein gibt, als hätte er eine<lb/> eigne Meinung, daß man aber trotzdem damit in der Welt den kürzern zieht?<lb/> Im wesentlichen ist das nämlich immer so gewesen, wenn auch die neueste<lb/> deutsche Ära diesen Satz etwas besonders kraß illustriert. Wenn man sich das<lb/> Tun und Treiben der Menschen umher besieht — ich spreche jetzt nicht nur<lb/> von unserm Jahrhundert, sondern auch von den frühern Jahrhunderten, in denen<lb/> die Leute von oben die Leute von unten glücklich zu machen suchten —, so könnte<lb/> man fast zu der Annahme gelangen, daß es zur Politik des einzelnen gehört,<lb/> den andern in eine eigne Meinung hineinzutreiben, zu einer eignen Meinung<lb/> zu provozieren, die eigne Meinung, die man selber hat, aber zu maskieren-<lb/> Ob dieses Versteckspiel, diese Diplomatie im kleinen, mehr eine komische als<lb/> eine traurige Seite hat, hängt ganz von.dem jeweiligen Objekt ab. Greifen wir<lb/> einmal einen konkreten Fall heraus. Leute, die die Welt kennen, haben meist</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0418]
[Abbildung]
Die eigne Meinung
Gustav Aleinert von
>an kann es jeden Tag bei jeder Gelegenheit hören, daß der eine
dem andern vorwirft, er habe keine eigne Meinung. Das geht
sogar so weit, daß jeder fest davon überzeugt ist, er habe eine
eigne Meinung, und jeder so im füllen von dem andern annimmt,
! er habe keine. Dabei ist die eigne Meinung das drolligste Ding
von der Welt. Jeder verlangt, man solle sie haben, und jeder behauptet, er
Hütte sie; wer sie aber wirklich und wahrhaftig hat, diese eigne Meinung, der
erregt damit überall Anstoß und kommt damit selten auf einen grünen Zweig.
Es ist zu allen Zeiten unvorsichtig, wenn nicht gar gefährlich gewesen, eine eigne
Meinung zu haben, und es ist auch zu allen Zeiten kein Zeichen von besondrer
Klugheit oder besser gesagt Schlauheit gewesen, diese eigne Meinung öffentlich
zu äußern und zu vertreten. Gerade in unsern allerneusten, aufgeklärtesten, in
unsern sogenannten konstitutionellen Zeitläuften sind „eigne Meinungen" sehr
verpönt, man schätzt nur die Zeitgenossen hoch, die die Meinungen der vorge¬
setzten Behörden, Regierungen und führenden Männer als ihre eigne Meinung
adoptieren, und hält wenig von Leuten, die sich herausnehmen, über die
Meinungen von oben wiederum eine eigne Meinung zu haben.
Wie kommt es denn nun eigentlich, daß jeder den Besitz einer eignen
Meinung als etwas Erstrebenswertes, als etwas Anerkennungswertes, ja als
etwas Ideales hinstellt, daß jeder sich so gern den Anschein gibt, als hätte er eine
eigne Meinung, daß man aber trotzdem damit in der Welt den kürzern zieht?
Im wesentlichen ist das nämlich immer so gewesen, wenn auch die neueste
deutsche Ära diesen Satz etwas besonders kraß illustriert. Wenn man sich das
Tun und Treiben der Menschen umher besieht — ich spreche jetzt nicht nur
von unserm Jahrhundert, sondern auch von den frühern Jahrhunderten, in denen
die Leute von oben die Leute von unten glücklich zu machen suchten —, so könnte
man fast zu der Annahme gelangen, daß es zur Politik des einzelnen gehört,
den andern in eine eigne Meinung hineinzutreiben, zu einer eignen Meinung
zu provozieren, die eigne Meinung, die man selber hat, aber zu maskieren-
Ob dieses Versteckspiel, diese Diplomatie im kleinen, mehr eine komische als
eine traurige Seite hat, hängt ganz von.dem jeweiligen Objekt ab. Greifen wir
einmal einen konkreten Fall heraus. Leute, die die Welt kennen, haben meist
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