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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Die eigne Meinung

wenig Vertrauen zu Zeitgenossen, die das Wort "Ehrlich währt am längsten"
mit Vorliebe im Munde führen. Die Weltklugen nehmen nämlich dabei an, daß
man am besten im trüben fischen könne, wenn man den andern die Ehrlichkeit
Predige. Ehrlichkeit predigen und eine eigne Meinung andern anempfehlen ent¬
springt derselben Quelle: Steh auf, damit ich mich setze.

Wie hat sich denn nun der Begriff "eigne Meinung" entwickelt, und wie
kommt es, daß ein so zweifelhafter Begriff dennoch im Leben meist ernst ge¬
nommen wird? Ich rede hier also nicht von den Ausnahmemenschen, die es
zu allen Zeiten gegeben hat, von den Menschen, die sogar mit dem Tode für
ihre Meinung eintraten, ich rede hier von denen, die die allgemeine Regel be¬
stätigen, jene Regel, daß es stets klug und fördersam ist, mit seiner eignen
Meinung möglichst hinter dem Berge zu halten. Denn hätte es jene Ausnahme¬
menschen nicht gegeben, dann würden wir heutzutage nicht so stolz auf unsre
Kultur schauen können. Aber auch diesen bahnbrechenden Naturen, die die Etappen
in unsrer fortschreitenden Kultur darstellen, ist es mit ihren die Menschen ver¬
blüffenden eignen Meinungen so schlimm ergangen -- Folterkammern und Scheiter¬
haufen wissen davon zu berichten --. daß sich die Alltagsmenschen ein warnendes
Exempel daran nahmen und eigne Meinungen als einen gefährlichen Luxus be¬
trachteten. Wir brauchen da übrigens nicht einmal die höchsten Spitzen unter
den Vertretern der eignen Meinung herauszugreifen, die man ans Kreuz schlug,
um dann später aus dieser "eignen Meinung" eine Weltreligion zu machen,
wir brauchen nur an die Entdecker und Erfinder zu denken, die auf Grund
eigner Meinungen, die der Masse als eine Verrücktheit erschienen, Amerika ent¬
deckten und die Dampfkraft in den Dienst der Menschheit stellten. Auch diesen
großen Männern mit ihren großen eignen Meinungen ist es übel in der All¬
tagswelt ergangen. Die Nachwelt hat allerdings später, als derartige eigne
Meinungen erst Gemeingut wurden und dadurch das Verblüffende verloren,
dankend über jene Entdeckungen und Erfindungen quittiert: Rockefeller und Stinnes
halten die Leistungen von Kolumbus und Watt nicht mehr für Teufelswerk.
Wenn aber heute jemand seine eigne Meinung z. B. dahin formulieren wollte, daß
die Anhäufung von Milliarden in einer Hand staatswirtschaftlich recht bedenklich
sei. dann würde man damit bei Rockefeller und Stinnes wenig Beifall finden.

Warum hat also die breite Masse keine eigne Meinung, und warum kann
sie keine haben, warum loben wir den Besitz einer eignen Meinung und gehen
ihr trotzdem ängstlich ans dem Wege? Weil die Einzelmenschen notwendiger¬
weise in ihrem ganzen Tun und Lassen, das man Leben nennt, zuerst an sich
und ihre Bedürfnisse denken müssen, weil das Ganze nur insofern für sie vor¬
handen ist, als sie es als Einzelne anerkennen müssen. Unabhängig sein, seinen
Nebenmenschen nicht nötig haben, ist deshalb so schwierig für uns, weites be¬
sondern Mut erfordert, jenen Mut, der uns mit Undank belohnt wird, den
Mut der eignen Meinung. Ebensowenig wie aus unsrer eignen Haut können
wir auch aus dem Banne der gesellschaftlichen Einrichtungen, aus dem Dunst-


Die eigne Meinung

wenig Vertrauen zu Zeitgenossen, die das Wort „Ehrlich währt am längsten"
mit Vorliebe im Munde führen. Die Weltklugen nehmen nämlich dabei an, daß
man am besten im trüben fischen könne, wenn man den andern die Ehrlichkeit
Predige. Ehrlichkeit predigen und eine eigne Meinung andern anempfehlen ent¬
springt derselben Quelle: Steh auf, damit ich mich setze.

Wie hat sich denn nun der Begriff „eigne Meinung" entwickelt, und wie
kommt es, daß ein so zweifelhafter Begriff dennoch im Leben meist ernst ge¬
nommen wird? Ich rede hier also nicht von den Ausnahmemenschen, die es
zu allen Zeiten gegeben hat, von den Menschen, die sogar mit dem Tode für
ihre Meinung eintraten, ich rede hier von denen, die die allgemeine Regel be¬
stätigen, jene Regel, daß es stets klug und fördersam ist, mit seiner eignen
Meinung möglichst hinter dem Berge zu halten. Denn hätte es jene Ausnahme¬
menschen nicht gegeben, dann würden wir heutzutage nicht so stolz auf unsre
Kultur schauen können. Aber auch diesen bahnbrechenden Naturen, die die Etappen
in unsrer fortschreitenden Kultur darstellen, ist es mit ihren die Menschen ver¬
blüffenden eignen Meinungen so schlimm ergangen — Folterkammern und Scheiter¬
haufen wissen davon zu berichten —. daß sich die Alltagsmenschen ein warnendes
Exempel daran nahmen und eigne Meinungen als einen gefährlichen Luxus be¬
trachteten. Wir brauchen da übrigens nicht einmal die höchsten Spitzen unter
den Vertretern der eignen Meinung herauszugreifen, die man ans Kreuz schlug,
um dann später aus dieser „eignen Meinung" eine Weltreligion zu machen,
wir brauchen nur an die Entdecker und Erfinder zu denken, die auf Grund
eigner Meinungen, die der Masse als eine Verrücktheit erschienen, Amerika ent¬
deckten und die Dampfkraft in den Dienst der Menschheit stellten. Auch diesen
großen Männern mit ihren großen eignen Meinungen ist es übel in der All¬
tagswelt ergangen. Die Nachwelt hat allerdings später, als derartige eigne
Meinungen erst Gemeingut wurden und dadurch das Verblüffende verloren,
dankend über jene Entdeckungen und Erfindungen quittiert: Rockefeller und Stinnes
halten die Leistungen von Kolumbus und Watt nicht mehr für Teufelswerk.
Wenn aber heute jemand seine eigne Meinung z. B. dahin formulieren wollte, daß
die Anhäufung von Milliarden in einer Hand staatswirtschaftlich recht bedenklich
sei. dann würde man damit bei Rockefeller und Stinnes wenig Beifall finden.

Warum hat also die breite Masse keine eigne Meinung, und warum kann
sie keine haben, warum loben wir den Besitz einer eignen Meinung und gehen
ihr trotzdem ängstlich ans dem Wege? Weil die Einzelmenschen notwendiger¬
weise in ihrem ganzen Tun und Lassen, das man Leben nennt, zuerst an sich
und ihre Bedürfnisse denken müssen, weil das Ganze nur insofern für sie vor¬
handen ist, als sie es als Einzelne anerkennen müssen. Unabhängig sein, seinen
Nebenmenschen nicht nötig haben, ist deshalb so schwierig für uns, weites be¬
sondern Mut erfordert, jenen Mut, der uns mit Undank belohnt wird, den
Mut der eignen Meinung. Ebensowenig wie aus unsrer eignen Haut können
wir auch aus dem Banne der gesellschaftlichen Einrichtungen, aus dem Dunst-


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[0419] Die eigne Meinung wenig Vertrauen zu Zeitgenossen, die das Wort „Ehrlich währt am längsten" mit Vorliebe im Munde führen. Die Weltklugen nehmen nämlich dabei an, daß man am besten im trüben fischen könne, wenn man den andern die Ehrlichkeit Predige. Ehrlichkeit predigen und eine eigne Meinung andern anempfehlen ent¬ springt derselben Quelle: Steh auf, damit ich mich setze. Wie hat sich denn nun der Begriff „eigne Meinung" entwickelt, und wie kommt es, daß ein so zweifelhafter Begriff dennoch im Leben meist ernst ge¬ nommen wird? Ich rede hier also nicht von den Ausnahmemenschen, die es zu allen Zeiten gegeben hat, von den Menschen, die sogar mit dem Tode für ihre Meinung eintraten, ich rede hier von denen, die die allgemeine Regel be¬ stätigen, jene Regel, daß es stets klug und fördersam ist, mit seiner eignen Meinung möglichst hinter dem Berge zu halten. Denn hätte es jene Ausnahme¬ menschen nicht gegeben, dann würden wir heutzutage nicht so stolz auf unsre Kultur schauen können. Aber auch diesen bahnbrechenden Naturen, die die Etappen in unsrer fortschreitenden Kultur darstellen, ist es mit ihren die Menschen ver¬ blüffenden eignen Meinungen so schlimm ergangen — Folterkammern und Scheiter¬ haufen wissen davon zu berichten —. daß sich die Alltagsmenschen ein warnendes Exempel daran nahmen und eigne Meinungen als einen gefährlichen Luxus be¬ trachteten. Wir brauchen da übrigens nicht einmal die höchsten Spitzen unter den Vertretern der eignen Meinung herauszugreifen, die man ans Kreuz schlug, um dann später aus dieser „eignen Meinung" eine Weltreligion zu machen, wir brauchen nur an die Entdecker und Erfinder zu denken, die auf Grund eigner Meinungen, die der Masse als eine Verrücktheit erschienen, Amerika ent¬ deckten und die Dampfkraft in den Dienst der Menschheit stellten. Auch diesen großen Männern mit ihren großen eignen Meinungen ist es übel in der All¬ tagswelt ergangen. Die Nachwelt hat allerdings später, als derartige eigne Meinungen erst Gemeingut wurden und dadurch das Verblüffende verloren, dankend über jene Entdeckungen und Erfindungen quittiert: Rockefeller und Stinnes halten die Leistungen von Kolumbus und Watt nicht mehr für Teufelswerk. Wenn aber heute jemand seine eigne Meinung z. B. dahin formulieren wollte, daß die Anhäufung von Milliarden in einer Hand staatswirtschaftlich recht bedenklich sei. dann würde man damit bei Rockefeller und Stinnes wenig Beifall finden. Warum hat also die breite Masse keine eigne Meinung, und warum kann sie keine haben, warum loben wir den Besitz einer eignen Meinung und gehen ihr trotzdem ängstlich ans dem Wege? Weil die Einzelmenschen notwendiger¬ weise in ihrem ganzen Tun und Lassen, das man Leben nennt, zuerst an sich und ihre Bedürfnisse denken müssen, weil das Ganze nur insofern für sie vor¬ handen ist, als sie es als Einzelne anerkennen müssen. Unabhängig sein, seinen Nebenmenschen nicht nötig haben, ist deshalb so schwierig für uns, weites be¬ sondern Mut erfordert, jenen Mut, der uns mit Undank belohnt wird, den Mut der eignen Meinung. Ebensowenig wie aus unsrer eignen Haut können wir auch aus dem Banne der gesellschaftlichen Einrichtungen, aus dem Dunst-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/419>, abgerufen am 06.02.2025.