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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Loben

Um diese Zeit sind auch die Bananen am schmackhaftesten, die in jedem Haus¬
warten wachsen. Aus reichem Füllhorn hat die gütige Natur noch zahlreiche
Arten von Früchten über das liebliche Eiland ausgeschüttet, so zum Beispiel
die saftreichen Anonas, Guavcis, Nesperes, neben Datteln, Feigen, Orangen,
Zitronen und den herrlichen Madeiratrauben. Der Handel mit Wein sowie
allen Naturprodukten ist, seitdem die Sanatoriumsgründungen begonnen haben,
bedeutend gestiegen, und in allen Zweigen des Erwerbslebens hat ein Um¬
schwung stattgefunden. So ist wohl anzunehmen, daß die Insel bei ihrer
Fühlung mit dem Weltverkehr einer glänzenden Zukunft entgegengeht und im
Laufe der Zeit zu einer Hohe der Erträgnisse gelangt, die ihr unter den über¬
seeischen Besitzungen Portugals den ersten Rang sichert. Das bedeutet viel,
wenn wir uns vergegenwärtigen, daß diese Kolonien zwanzigmal großer sind
als das portugiesische Festland. Sie umfassen die Loandaküste, das portu¬
giesische Guinea, Mozambique, die Gebiete am Sambesi, die Besitzungen in
Indien, Timor, die javanischen, die Kapverdischen Inseln, Macao, die
Azoren.

Madeira aber bildet auch in Hinsicht seiner Naturschönheiten die Krone
des Ganzen, und jedem, der in diesem Zaubergärten der Natur weilen dürfte,
wird das liebliche Eiland wie der Vorhof zum Paradies erschienen sein.




Heben Helene Voigt-Diederichs vonin

MMeuchend schleppt sich der Alte im blauen Leinenkittel den Waldweg
hinan, in der einen Hand den baumelnden Strick mit Lederenden,
in der andern den gebognen Krückstock, der den schweren magern
Körper tragen hilft.

Schatten soll das sein hier unter den Buchen -- Hitze ist das,
unerträglich stille schwüle Hitze das ganze eingeschlossene Tal entlang.
Vielleicht kommt endlich heute das Gewitter herauf. Die Mücken stechen wie toll,
und die Fliegen gehn einem überhaupt nicht mehr vom Kopfe. Jedesmal zappelt
sowas mit langen Flügeln und Beinen am bunten Tuche, mit dem der alte Mann
oft und öfter den Schweiß von der Stirn nimmt.

An andern Tagen geht er nie mehr als eine Stunde. Heute ist die Stunde
schon um, und noch sind es vier lange Wegbiegungen bis zu den drei Buchen, die
aus einer einzigen Wurzel herauszuwachsen scheinen, das heißt bis zu dem Platz,
von wo an der Wald freigegeben ist zum Holzsammeln für arme Leute.

Arm ist er ja nicht. Es gibt ärmere Leute als ihn. Er hätte nicht nötig,
ganz allein im Walde sich sein Holz zu sammeln.

Zwar ist er zu alt und zu blind zum Verdienen, seit Jahren schon, und auch
vorher, nachdem er beim Sprengen im Steinbruch ein Auge verloren, hat er nur
noch wenig mehr zusammengebracht.

Ja, das alles ist längst vorbei. Das eine Auge war blind, und bald hat
auch das andre nicht mehr recht gewollt, und als er dann endlich weit unten nach
Jena zum Professor gefahren ist, nur weil seine Tochter ihn immerfort damit ge¬
quält hat, da hat der gesagt, da wär nicht weiter viel mehr zu machen.


Loben

Um diese Zeit sind auch die Bananen am schmackhaftesten, die in jedem Haus¬
warten wachsen. Aus reichem Füllhorn hat die gütige Natur noch zahlreiche
Arten von Früchten über das liebliche Eiland ausgeschüttet, so zum Beispiel
die saftreichen Anonas, Guavcis, Nesperes, neben Datteln, Feigen, Orangen,
Zitronen und den herrlichen Madeiratrauben. Der Handel mit Wein sowie
allen Naturprodukten ist, seitdem die Sanatoriumsgründungen begonnen haben,
bedeutend gestiegen, und in allen Zweigen des Erwerbslebens hat ein Um¬
schwung stattgefunden. So ist wohl anzunehmen, daß die Insel bei ihrer
Fühlung mit dem Weltverkehr einer glänzenden Zukunft entgegengeht und im
Laufe der Zeit zu einer Hohe der Erträgnisse gelangt, die ihr unter den über¬
seeischen Besitzungen Portugals den ersten Rang sichert. Das bedeutet viel,
wenn wir uns vergegenwärtigen, daß diese Kolonien zwanzigmal großer sind
als das portugiesische Festland. Sie umfassen die Loandaküste, das portu¬
giesische Guinea, Mozambique, die Gebiete am Sambesi, die Besitzungen in
Indien, Timor, die javanischen, die Kapverdischen Inseln, Macao, die
Azoren.

Madeira aber bildet auch in Hinsicht seiner Naturschönheiten die Krone
des Ganzen, und jedem, der in diesem Zaubergärten der Natur weilen dürfte,
wird das liebliche Eiland wie der Vorhof zum Paradies erschienen sein.




Heben Helene Voigt-Diederichs vonin

MMeuchend schleppt sich der Alte im blauen Leinenkittel den Waldweg
hinan, in der einen Hand den baumelnden Strick mit Lederenden,
in der andern den gebognen Krückstock, der den schweren magern
Körper tragen hilft.

Schatten soll das sein hier unter den Buchen — Hitze ist das,
unerträglich stille schwüle Hitze das ganze eingeschlossene Tal entlang.
Vielleicht kommt endlich heute das Gewitter herauf. Die Mücken stechen wie toll,
und die Fliegen gehn einem überhaupt nicht mehr vom Kopfe. Jedesmal zappelt
sowas mit langen Flügeln und Beinen am bunten Tuche, mit dem der alte Mann
oft und öfter den Schweiß von der Stirn nimmt.

An andern Tagen geht er nie mehr als eine Stunde. Heute ist die Stunde
schon um, und noch sind es vier lange Wegbiegungen bis zu den drei Buchen, die
aus einer einzigen Wurzel herauszuwachsen scheinen, das heißt bis zu dem Platz,
von wo an der Wald freigegeben ist zum Holzsammeln für arme Leute.

Arm ist er ja nicht. Es gibt ärmere Leute als ihn. Er hätte nicht nötig,
ganz allein im Walde sich sein Holz zu sammeln.

Zwar ist er zu alt und zu blind zum Verdienen, seit Jahren schon, und auch
vorher, nachdem er beim Sprengen im Steinbruch ein Auge verloren, hat er nur
noch wenig mehr zusammengebracht.

Ja, das alles ist längst vorbei. Das eine Auge war blind, und bald hat
auch das andre nicht mehr recht gewollt, und als er dann endlich weit unten nach
Jena zum Professor gefahren ist, nur weil seine Tochter ihn immerfort damit ge¬
quält hat, da hat der gesagt, da wär nicht weiter viel mehr zu machen.


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[0716] Loben Um diese Zeit sind auch die Bananen am schmackhaftesten, die in jedem Haus¬ warten wachsen. Aus reichem Füllhorn hat die gütige Natur noch zahlreiche Arten von Früchten über das liebliche Eiland ausgeschüttet, so zum Beispiel die saftreichen Anonas, Guavcis, Nesperes, neben Datteln, Feigen, Orangen, Zitronen und den herrlichen Madeiratrauben. Der Handel mit Wein sowie allen Naturprodukten ist, seitdem die Sanatoriumsgründungen begonnen haben, bedeutend gestiegen, und in allen Zweigen des Erwerbslebens hat ein Um¬ schwung stattgefunden. So ist wohl anzunehmen, daß die Insel bei ihrer Fühlung mit dem Weltverkehr einer glänzenden Zukunft entgegengeht und im Laufe der Zeit zu einer Hohe der Erträgnisse gelangt, die ihr unter den über¬ seeischen Besitzungen Portugals den ersten Rang sichert. Das bedeutet viel, wenn wir uns vergegenwärtigen, daß diese Kolonien zwanzigmal großer sind als das portugiesische Festland. Sie umfassen die Loandaküste, das portu¬ giesische Guinea, Mozambique, die Gebiete am Sambesi, die Besitzungen in Indien, Timor, die javanischen, die Kapverdischen Inseln, Macao, die Azoren. Madeira aber bildet auch in Hinsicht seiner Naturschönheiten die Krone des Ganzen, und jedem, der in diesem Zaubergärten der Natur weilen dürfte, wird das liebliche Eiland wie der Vorhof zum Paradies erschienen sein. Heben Helene Voigt-Diederichs vonin MMeuchend schleppt sich der Alte im blauen Leinenkittel den Waldweg hinan, in der einen Hand den baumelnden Strick mit Lederenden, in der andern den gebognen Krückstock, der den schweren magern Körper tragen hilft. Schatten soll das sein hier unter den Buchen — Hitze ist das, unerträglich stille schwüle Hitze das ganze eingeschlossene Tal entlang. Vielleicht kommt endlich heute das Gewitter herauf. Die Mücken stechen wie toll, und die Fliegen gehn einem überhaupt nicht mehr vom Kopfe. Jedesmal zappelt sowas mit langen Flügeln und Beinen am bunten Tuche, mit dem der alte Mann oft und öfter den Schweiß von der Stirn nimmt. An andern Tagen geht er nie mehr als eine Stunde. Heute ist die Stunde schon um, und noch sind es vier lange Wegbiegungen bis zu den drei Buchen, die aus einer einzigen Wurzel herauszuwachsen scheinen, das heißt bis zu dem Platz, von wo an der Wald freigegeben ist zum Holzsammeln für arme Leute. Arm ist er ja nicht. Es gibt ärmere Leute als ihn. Er hätte nicht nötig, ganz allein im Walde sich sein Holz zu sammeln. Zwar ist er zu alt und zu blind zum Verdienen, seit Jahren schon, und auch vorher, nachdem er beim Sprengen im Steinbruch ein Auge verloren, hat er nur noch wenig mehr zusammengebracht. Ja, das alles ist längst vorbei. Das eine Auge war blind, und bald hat auch das andre nicht mehr recht gewollt, und als er dann endlich weit unten nach Jena zum Professor gefahren ist, nur weil seine Tochter ihn immerfort damit ge¬ quält hat, da hat der gesagt, da wär nicht weiter viel mehr zu machen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/716>, abgerufen am 27.06.2024.