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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Vberlehrer und Abiturienten

und man hat in ein paar Minuten die Gewißheit, ob man es mit guter Ware
zu tun hat oder mit einer optischen Täuschung.




So weit meine Ratschläge. Sie beruhen auf Erfahrung, und sie zu geben
hat mich das Bestreben nach größerer Echtheit bestimmt, das von Anfang an
mein erstes und wichtigstes war bei allen Arbeiten, die ich bisher in meinem
Fache unternommen habe.

Auf Vollständigkeit macht das Gesagte keinen Anspruch. Das Gebiet ist
zu groß und vielseitig, und ich will dem Publikum keine neuen Waffen auf¬
drängen, ich will ihm nur zeigen, wie es die gebrauchen kann, die es schon hat.
Es gibt viele Fülle, wo man beim Einkauf ganz sicher gehen möchte, besonders
wenn es sich um größere Mengen und um wertvolle Waren handelt. Es gibt
auch Fülle genug, wo es sich um noch feinere Unterschiede handelt, als die
sind, die ich angeführt habe, so zum Beispiel, wenn verschiedenartige Fasern
in einen Faden versponnen sind, oder wenn verschiedenartige Farbstoffe in
einer Färbung vorhanden sind. Wenn so feine Unterschiede ins Spiel kommen,
ist es das Nichtige, die Proben einem öffentlichen Chemiker zur Untersuchung
zu geben. Meine Leser wissen ja jetzt, was sie in jedem Fall zu beachten,
wonach sie besonders zu fragen haben. Wo das unbewaffnete Auge, wo das
Streichholz, die Stecknadel, das Taschentuch und die Seife nicht ausreichen,
da hat der Chemiker noch feinere Apparate und schärfere Reaktionen, mit
denen er den Fragen analytisch aus den Grund gehen kann. Und da für das
Publikum in keinem Falle haarscharfe Analysen, genau bis in die dritte Dezi¬
male, nötig sind, sondern nur allgemeine Angaben, so ist die Ratserholung
beim Sachverständigen auch nicht zu teuer, sondern wird sich in den meisten
Fällen reichlich lohnen.




Oberlehrer und Abiturienten

MM>lljährlich zu bestimmten Zeiten liest man in den Blättern von
einem ganz regelmäßig wiederkehrenden Vorgang, der in den
Kreisen des Oberlehrerstandes mit Recht viel Ärgernis erregt.
In die Zeit der Reifeprüfungen füllt auch die der Abschieds-
! kommerse unsrer Abiturienten, ohne die man sich ja das Hinaus¬
treten der Jugend aus dem Schulzwang in die sogenannte Freiheit kaum mehr
denken kann. Diese Veranstaltungen sind alt, wenigstens in ihrer bescheidnen
Grundform; sie waren einst auf den Ton eines gewissen Ernstes abgestimmt,
der, wie man denken sollte, sich von selbst ergibt, wenn man sich von einer so


Vberlehrer und Abiturienten

und man hat in ein paar Minuten die Gewißheit, ob man es mit guter Ware
zu tun hat oder mit einer optischen Täuschung.




So weit meine Ratschläge. Sie beruhen auf Erfahrung, und sie zu geben
hat mich das Bestreben nach größerer Echtheit bestimmt, das von Anfang an
mein erstes und wichtigstes war bei allen Arbeiten, die ich bisher in meinem
Fache unternommen habe.

Auf Vollständigkeit macht das Gesagte keinen Anspruch. Das Gebiet ist
zu groß und vielseitig, und ich will dem Publikum keine neuen Waffen auf¬
drängen, ich will ihm nur zeigen, wie es die gebrauchen kann, die es schon hat.
Es gibt viele Fülle, wo man beim Einkauf ganz sicher gehen möchte, besonders
wenn es sich um größere Mengen und um wertvolle Waren handelt. Es gibt
auch Fülle genug, wo es sich um noch feinere Unterschiede handelt, als die
sind, die ich angeführt habe, so zum Beispiel, wenn verschiedenartige Fasern
in einen Faden versponnen sind, oder wenn verschiedenartige Farbstoffe in
einer Färbung vorhanden sind. Wenn so feine Unterschiede ins Spiel kommen,
ist es das Nichtige, die Proben einem öffentlichen Chemiker zur Untersuchung
zu geben. Meine Leser wissen ja jetzt, was sie in jedem Fall zu beachten,
wonach sie besonders zu fragen haben. Wo das unbewaffnete Auge, wo das
Streichholz, die Stecknadel, das Taschentuch und die Seife nicht ausreichen,
da hat der Chemiker noch feinere Apparate und schärfere Reaktionen, mit
denen er den Fragen analytisch aus den Grund gehen kann. Und da für das
Publikum in keinem Falle haarscharfe Analysen, genau bis in die dritte Dezi¬
male, nötig sind, sondern nur allgemeine Angaben, so ist die Ratserholung
beim Sachverständigen auch nicht zu teuer, sondern wird sich in den meisten
Fällen reichlich lohnen.




Oberlehrer und Abiturienten

MM>lljährlich zu bestimmten Zeiten liest man in den Blättern von
einem ganz regelmäßig wiederkehrenden Vorgang, der in den
Kreisen des Oberlehrerstandes mit Recht viel Ärgernis erregt.
In die Zeit der Reifeprüfungen füllt auch die der Abschieds-
! kommerse unsrer Abiturienten, ohne die man sich ja das Hinaus¬
treten der Jugend aus dem Schulzwang in die sogenannte Freiheit kaum mehr
denken kann. Diese Veranstaltungen sind alt, wenigstens in ihrer bescheidnen
Grundform; sie waren einst auf den Ton eines gewissen Ernstes abgestimmt,
der, wie man denken sollte, sich von selbst ergibt, wenn man sich von einer so


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/582>, abgerufen am 27.06.2024.